Medien
Schreibe einen Kommentar

Kulturpessimistische Perspektiven

Ein Kommentar zum multimedialen Storytelling im Onlinejournalismus.

Multimedia verändert den Journalismus in der Hinsicht, dass die klassischen Formate Nachricht, Reportage, Kommentar usw. nicht mehr in Stein gemeißelt sind. Alles kann jetzt auf einmal gehen. Durch den Trend zu Multimedia im Onlinejournalismus entstehen neue Hybridformate, für die wir noch keine richtigen Namen gefunden haben. Deswegen nennen wir sie erstmal: Scroll-Reportage, Audio-Slideshow, interaktives Interview oder multimediales Dossier. Der Journalist wird zum Alleskönner, er schreibt, schneidet, nimmt auf, erstellt Grafiken und Karten und versucht sie mit digitalen Nadeln und Häkchen noch interaktiver, noch anschaulicher, noch unübersichtlicher zu machen. Der Prototyp dieser neuen Formate ist der ewige Text zu einem Lawinenunglück gespickt mit allem multimedialen Firlefanz, der als „Snow fall“ in der New York Times gefeiert wurde. Mittlerweile hat sich das zu Newsgames wie „Inside the Haiti Earthquake“ gesteigert, in dem man in eine Rolle schlüpfen kann (Überlebender, Helfer, Journalist) und die Katastrophe quasi nachspielt – in naher Zukunft, wenn 3D-Brillen auf den Markt kommen, steht man dann virtuell in Port-au-Prince.

Multimediale Alleskönner ohne Fantasie

Die Frage ist aber: Wer macht sich den Aufwand das zu lesen, zu hören, zu sehen und alles auch noch gleichzeitig? Vielleicht klingt das oldschool, kompromisslos, kulturpessimistisch, aber mir ist es einfach zu anstrengend alles gleichzeitig machen zu sollen. Wenn ich eine Reportage sehen will, sehe ich sie auf einem Bildschirm. Wenn ich eine Reportage lesen will, lese ich sie in einer Zeitung. Wenn ich eine Reportage hören will, dann höre ich sie im Radio. Das Online-Storytelling verlangt nun aber von mir alles auf einmal zu tun: kurz lesen, dann hören – ach nee, doch wieder schauen und wieder lesen, ach! Und da ist ja noch so eine Karte, die klick ich mal kurz an. Lesen, hören, gucken und denken. Vielleicht ist das Gehirn zukünftiger Generationen in der Lage 100 Prozent seiner Kapazität zu nutzen – meins ist es nicht. Es ist einfach nicht darauf programmiert sich zwei bis drei Stunden mit einem Thema in drei verschiedenen Formaten auseinanderzusetzen. Und überhaupt: Was ist das für ein Anspruch an den Journalismus? Multimediale Alleskönner sollen wir sein, aber was, wenn ich nun mal besser schreiben kann als schneiden? Was dann? Ist es nicht besser, weniger zu können und das Wenige dafür verdammt gut? Und muss sich ein Hörfunkredakteur überhaupt noch anstrengen Bilder im Kopf zu erzeugen, wenn die Bilder doch mit einem Scroll weiter schon erscheinen? Was bleibt da für ein Anreiz das Unmögliche möglich zu machen?

Fünf Stunden vorm Screen?

Digitales Storytelling macht sicher Spaß, wenn man darauf Bock hat fünf Stunden vor einem Screen zu sitzen und seine Sinne zu schärfen. Ich bleibe bei den Bleiwüsten auf den Reportageseiten und erkenne einen guten Journalisten daran, dass er die Bleiwüste in eine bunte Oase aus Tönen und Farben verwandelt, in meinem Kopf, mit seinen Worten. Es ist die Kunst Video und Audio nicht nötig zu machen, weil man schon visuell schreibt oder weil man im Radio Bilder durch Geräusche malt. Das weckt bei mir als Leser, Hörer oder Zuschauer Fantasie, dauert auch nur circa 30 Minuten und dann kann man raus gehen und seine Sinne anderweitig schärfen. Oldschool eben.

Foto: http://www.insidedisaster.com/experience/

FacebooktwitterFacebooktwitter

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert