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Leben mit Spätfolgen

Aus der Blauen Kugel sendet Sabine Christiansen 10 Jahre lang ihre Sendung

Vor genau sieben Jahren flimmerte die letzte Sendung Sabine Christiansen über den Bildschirm. Kaum ein TV-Format hat den politischen Diskurs in Deutschland so nachhaltig geprägt – und verunstaltet

Die Luft ist dünner geworden – und klarer. Damals war das Fernsehen eine verrauchte, nickelbebrillte Männerwelt. Silberrücken wie Werner Höfer oder Günter Gaus regierten die deutschen Wohnzimmer. Seit jenen Tagen hat sich viel verändert. Politisch, gesellschaftlich und medial.

Vor genau sieben Jahren lief eine Sendung zum letzten Mal, die wie keine andere für diese Entwicklung steht. Von 1998-2007 hatte Politik im Fernsehen ein Gesicht. Es war braungebrannt, hatte ein Zahnpasta-Lächeln und trug eine randlose Brille. Die Sendung, die dieses Gesicht präsentierte, trug den Namen der Gastgeberin: Sabine Christiansen.

Um das Phänomen Christiansen zu verstehen, muss man die Zeit verstehen, in der die Sendung lief: die Jahrtausendwende. Genauer gesagt die Ausläufer der 90er Jahre. Die Übergangsphase von der alten Bonner zur neuen Berliner Republik. Eine Zeit der New Economy, in der Geschäft plötzlich Business heißt und in der die Ökonomie den Diskurs regiert.1998 endet die schon zum Naturgesetz gewordene Kanzlerschaft Helmut Kohls, Rot-Grün zieht als erste bundesrepublikanische Regierung in den Krieg auf dem Balkan. Gerhard Schröder macht seine Politik mit Bild, BamS und Glotze. Und im September 2001 fliegen zwei Passagierflugzeuge in zwei New Yorker Wolkenkratzer.

Die Wehen dieser Ereignisse pressen eine Sendung heraus, die zum Lautsprecher dieser Zeit wird. Moderiert von einer grob unpolitischen Frau, die dennoch Teil des politischen Systems ist. „Paradoxe Distanznähe“ nennt das Lutz Hachmeister. Mit Strenge, Disziplin und einer scheinbaren Immunität für Humor drängt sich diese Frau in die männerdominierte Welt des politischen TV-Journalismus.

Servicejournalismus vom feinsten

Entweder Gourmetrestaurant oder Journalistin: Mit diesen Alternativen entscheidet sich die ehemalige Flugbegleiterin Christiansen schließlich für eine Karriere im TV und wird Moderatorin der Tagesthemen. „Ein guter Nachrichtensprecher dachte nicht. Er wollte die schwarzäugigen Außenminister richtig betonen, was sie sagten, war ihm egal,“ schreibt Alexander Osang in seinem Roman “die nachrichten”. Manche Menschen scheinen eben für ein gewisses System wie geschaffen zu sein.

Diese Frau, Sabine Christiansen, moderiert nun eine Sendung, die vorgibt, über den Ist-Zustand der Republik aufzuklären, dabei aber mehr verklärt als aufklärt. Die politische Klasse fixiert sich dennoch auf Christiansen. Immerhin hat sie im Gegensatz zu den erfolglosen Versuchen im Privatfernsehen einen Marktanteil von bis zu 27 Prozent. Die Quoten geben ihr Recht. „Irgendwann würden sie die Quoten sicher nach einzelnen Meldungen aufschlüsseln,“ prophezeit Osang über die Fernsehnachrichten. „Dann endlich wüssten sie, dass eine Meldung über die Fusion zweier asiatischer Elektronikkonzerne mehr Zuschauer hatte als eine Regierungskrise in Italien. Aber was wären die Schlussfolgerungen?

Der Anfang jeder Ausgabe Sabine Christiansen wurde eingeläutet von der Melodie einer RTL-Nachmittagstalkshow, gefolgt vom Titel der Sendung: „Ehrenmord und Nazischläger – in was für einer Welt leben wir?“ „Melkkuh Sozialstaat – sind wir ein Volk von Abzockern?“. Alles Politische wird „in dicke Layer von Neuworten eingepackt,“ sagt der Publizist und Internet-Aktivist Frank Rieger. „Und wozu das geführt hat, ist, dass man an bestimmten Punkten heute keine Debatte mehr führen kann, wenn man dieses Vokabular benutzt. Weil es nichtssagend ist und immer wieder umgedeutet werden kann.“

Die Darstellung überstrahlt also zunehmend das Dargestellte. Das zeigt sich allein schon darin, dass es Christiansen gelingt, ihre Sendung im Unterhaltungs- und nicht im Politikressort der ARD anzusiedeln. “Die Sendung wird zum Schaulaufen von Pressesprechern. Ein echter, politischer Austausch findet nicht statt. Einige Berater der Politiker stehen sogar bei Christiansen auf der Gehaltsliste. Sicher gab es Verstrickung zwischen Politik und Medien schon immer, aber Sabine Christiansen ist Unternehmensberater-Fernsehen vom Feinsten. Service-Journalismus, aber nicht für die Zuschauer, sondern für die Auftraggeber.

“Sie bekommen emotionales Kapital”

Das Fernsehen ist nicht mehr das, was es früher mal war. Dem Presseclub fehlen heute nicht nur der Rauch und der Alkohol. Nein, früher brachten die Journalisten wenigstens noch internationales Flair nach Bonn, so wird häufig geklagt. Allerdings war das damals auch bitter nötig. Und Berlin ist heute nun mal nicht so provinziell wie Bonn es damals war. Will heißen, das Fernsehen macht die Veränderung nicht alleine. Es ist der politische Diskurs, der sich gravierend verändert hat. Und jede Ideologie sucht sich das wirkungsmächtigste Medium. In diesem Fall das Fernsehen. Dadurch bekommen Sendungen wie Sabine Christiansen unweigerlich auch wieder die Macht, diesen Diskurs zu formen.

Einer, der sich immer gegen das Mantra des „Früher war alles besser“ gewandt hat, war Frank Schirrmacher. Und dennoch konstatiert auch er: „Keine Sendung hat so viel für den Neoliberalismus getan, wie Sabine Christiansen. Und mit den Spätfolgen müssen wir heute leben.” Diese neoliberale Entwicklung, von der Schirrmacher spricht, hat schon vor Sabine Christiansen angefangen. Mit Magazinen wie dem Focus. Und setzt sich auch nach ihr weiter fort. Die Sendungen von Peter Hahne und Michel Friedmann, aber auch direkte Epigonen wie Illner, Will und Jauch verwalten dieses Erbe.” Heute bedient Günther Jauch auf dem selben Sendeplatz die selben Mechanismen, mit der selben Mischung aus Angst, Ressentiments und Boulevard.

Bei all dem stellt sich allerdings die Frage: Was wollen die Zuschauer sehen, warum schalten sie ein, wenn nicht wegen des Inhalts? “Was Sie bekommen, ist emotionales Kapital,“ sagt Schirrmacher. “Es geht dabei gar nicht darum, was da gesagt wurde, sondern dass die Gesellschaft eine Emotion, ein Gefühl entwickelt.“ Und so steht am Ende dieser Talkshows, nach langer Rede, meist ein erschreckend kurzer Sinn, der uns beruhigend zuflüstert: „Gut, dass wir darüber geredet haben.“

Foto: cc flickr Felix

 

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