Ein Wochenende am Meer, die „dünne Gegenwart“ einer Liebesbeziehung und die Lebenserinnerungen eines Schriftstellers: Ohne sich in die heißgeliebte Fiktion zu flüchten erzählt Max Frisch in Montauk von authentischen Erlebnissen. Das wohl aufrichtigste Buch eines großen Geschichtenerzählers.
„Ich probiere Geschichten an wie Kleider“ hatte er zehn Jahre zuvor in Mein Name sei Gantenbein geschrieben. 1974 war er des Verkleidens überdrüssig geworden: Max Frisch – der „große Fabulierer, der Meister der Parabel“, als den ihn Marcel Reich-Ranicki bezeichnete – wollte sie nicht mehr, diese bildreiche Fiktion seiner früheren Romane. Autobiografisch waren sie ohnehin gewesen – wenn auch verborgen hinter erdachten Protagonisten: Homo Faber, Stiller und besagter Gantenbein. Für Montauk beschränkte sich der große Geschichtenerzähler auf Authentisches: Ein Wochenende, das er im Mai 1974 mit seiner jungen Geliebten Lynn in dem verschlafenen Ort Montauk an der Nordspitze Long Islands verbrachte. Der Protagonist von Montauk ist niemand anderes als Max Frisch selbst.
Eine Romanze ohne Vergangenheit und Zukunft
Als „Eine Erzählung“ hat der Autor sein Buch per Untertitel charakterisiert. Montauk war ein Experiment, ein Versuch, die Wahrheit zu erzählen, nichts hinzuzuerfinden, nichts wegzulassen: „Ich möchte dieses Wochenende beschreiben können, ohne etwas zu erfinden, diese dünne Gegenwart.“ Dieser Entschluss, den der Autor am Strand von Montauk fasste, ist Programm: Frisch erzählt von einer Romanze, ohne Vergangenheit und ohne Zukunft, die nur ein einziges Wochenende andauert.
Puzzleteile eines Lebens
Und doch ist Montauk mehr als eine schlichte, schnörkellose Erzählung. Es ist das Selbstbekenntnis eines großen Schriftstellers: Frisch verschmelzt die Beschreibung des Wochenendes mit Erinnerungen, Tagebuchauszügen und Selbstreflexionen. Situationen, Gefühle und Gedanken als Puzzleteile seines Lebens. Als ließe Max Frisch seinen Gedanken schweifen, entsteht ein dichtgewebtes, assoziativ verknüpftes Geflecht: Das Zusammensein mit seiner Lynn erweckt Erinnerungen an alte Liebesbeziehungen, Orte, Erlebnisse und beflügelt neue Erkenntnisse.
Montauk ist autobiografisch und dennoch keine reine Ich-Geschichte. Vielmehr treibt Max Frisch ein vertracktes Spiel, schwankt zwischen der ersten und dritten Person. Bisweilen scheint es als betrachte sich Frisch von außen. Er erzählt über sich und von sich. Die Perspektiven von Autor und Protagonist verschmelzen.
Montauk erzählt viele Geschichten
Dieser sprunghafte Erzählstil macht es nicht leicht sich einzulesen. Vieles ist für den Leser aus dem Zusammenhang gerissen, angedeutet, kaum ausformuliert: Namen, Orte, Jahreszahlen, Gesprächsfetzen. Alles könnte ebenso gut der Fantasie des Autors entspringen und doch hat Max Frisch dieses eine Mal nichts erdichtet. Tatsächlich sind alle Begebenheiten Fragmente seiner Biografie. Das beschriebene Wochenende von Montauk, „diese dünne Gegenwart“, bleibt nur Rahmen für eine Vielzahl anderer Geschichten: der Liebe, der Freundschaft, der Endlichkeit, der Irrtümer. Eben deswegen tut die Bruchstückhaftigkeit des Textes der Verständlichkeit keinen Abbruch. Vielmehr macht sie Montauk letztendlich zu dem, was es im Kern ist: eine durch und durch moderne Erzählung über das Leben und die Liebe.