Kunst, Raum
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Kosmopolitinnen mit Blick fürs Detail

Piloten für eine Festivalbühne, Gerti Deutsch

Das Verborgene Museum zeigt Arbeiten von zwei jüdischen Fotografinnen, die ein emanzipiertes und aufregendes Leben führten. Der Versuch, sie miteinander zu kombinieren, geht nicht ganz auf. Dennoch ist die Ausstellung einen Besuch wert. 

Aus dem Musterbuch, Gerti Deutsch

Es gibt kaum einen Ort, der Abschiede und Neuanfänge mehr versinnbildlicht als ein Bahnhof. Deshalb ist auf dem Flyer zur Ausstellung „Schicksal Emigration“ im Verborgenen Museum auch ein Kleinstadtbahnhof abgebildet. Das Schwarz-Weiß-Foto stammt von Gerti Deutsch, die 1936 vor den Nationalsozialisten nach London floh. Damit teilen die damals 28-Jährige und die zweite ausgestellte Fotografin ein ähnliches Schicksal. In einer Vitrine im Museum liegt Jeanne Mandellos aufgeblätterter Reisepass. Die Stempel zeigen, wie weit sie nach ihrer Flucht herumgekommen ist: von ihrer Heimatstadt über Paris nach Montevideo und schlussendlich nach Barcelona.

Gleich zu Beginn der Ausstellung befindet sich eine Bilderserie von Deutsch. Darauf zu sehen sind jüdische Flüchtlingskinder, die im Rahmen der Kindertransporte nach Großbritannien kamen. Die Fotos zeigen Menschen in einer Sammelunterkunft und Freiwillige, die Essen verteilen. Eindrücke, die an die aktuelle Flüchtlingssituation erinnern.

Daneben befinden sich die Biografien von Gerti Deutsch und Jeanne Mandello. Beide hatten – anders als viele Frauen ihrer Generation – das Glück, eine richtige Berufsausbildung zu absolvieren. Deutsch lernte Fotografie an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien. Mandello besuchte den Lette-Verein in Berlin und machte zwischendurch ein Praktikum bei Paul Wolff. Der Leica-Pionier brachte ihr das Fotografieren mit der Kleinbildkamera bei.

Das Neue Sehen – Reisefotos, Modeaufnahmen, Architekturbilder

Deutsch spezialisierte sich auf Porträts, Reisefotos und Bildreportagen, Mandello auf Porträts, Mode- und Architekturfotos. Im Exil wurden sie zu erfolgreichen Fotografinnen. Als Vertreterinnen des Neuen Sehens experimentierten sie mit Überbelichtung, Licht und Schatten und ungewöhnlichen Perspektiven. Sie bestückten einige wenige Ausstellungen, wurden aber nie so bekannt wie ihre Zeitgenossen László Moholy-Nagy und Germaine Krull. Damit passen sie gut ins Konzept des Verborgenen Museums, das unterschätzte Künstlerinnen bekannter machen möchte.

Arbeiter, Jeanne Mandello

„Schicksal Emigration“ will die Geschichte der Frauen rekonstruieren. Ein ehrgeiziges Ziel bei zwei Fotografinnen mit derart vielen Arbeitsgebieten und Lebensorten. So sind die einzelnen Aufnahmen oft nur schwer zusammenzubringen wie zum Beispiel Schutteimer schleppende Bauarbeiter in Montevideo (Mandello) und in Trachten gehüllte Trauernde im Bregenzerwald (Deutsch).

Dennoch hat das Motiv- und Länder-Hopping seinen Reiz. Etwa, wenn man nach der Betrachtung von Deutschs feinfühligen Aufnahmen der japanischen Alltagswelt plötzlich vor Mandellos fantasievollen Fotos aus Spanien steht. In ihrem letzten Heimatland sind ihr immer wieder ungewöhnliche Details aufgefallen wie mondförmige Riesenradgondeln und ein Baum, der mit seinen knorrigen Ästen wie ein mehrköpfiges Monster aussieht.

Gerti Deutsch war eine gefragte Magazinfotografin mit einem besonderen Gespür fürs Zeitgeschehen und das Seelenleben ihres Umfeldes

Gut gelungen ist der Bereich, der sich mit der journalistischen Arbeit von Deutsch beschäftigt. Nach ihrer Ankunft in London fertigte sie für die Picture Post kulturelle und gesellschaftspolitische Fotoserien an. Ein Magazin zeigt Aufnahmen von Flüchtlingskindern, die zeichnen, wie sie den Krieg sehen. Nach dem Kriegsende versorgte sie das Magazin mit ausdrucksstarken Momentaufnahmen von Wien, wo das Leben nur langsam wieder in Gang kam.

Haus des Architektenverbandes, Jeanne Mandello

Deutsch und Mandello haben viele Gemeinsamkeiten. So liegt es nicht fern, sie in einer Schau zu präsentieren. Doch geht der Plan nicht ganz auf. Ihre Lebensgeschichten sind zu vielschichtig, als dass sie miteinander kombiniert werden können. Zumindest hätten die Werke in der Doppelausstellung stärker getrennt und mit mehr Hintergrundinfos versehen werden müssen, damit sich der Besucher schneller zurechtfindet. Wer jedoch etwas Geduld mitbringt, erfährt viel über zwei Frauen, die sich trotz aller Hürden nicht haben unterkriegen lassen.

Das Verborgene Museum, Schicksal Emigration
bis 5. März
Öffnungszeiten: Donnerstag und Freitag von 15 bis 19 Uhr, Samstag und Sonntag von 12 bis 16 Uhr

Fotos: Gerti Deutsch, Piloten für eine Festivalbühne, Bodensee 1950, Gerti Deutsch © FOTOHOF archiv und gettyimages
Gerti Deutsch, Aus dem Musterbuch, 1936, Gerti Deutsch © FOTOHOF archiv and gettyimages
Jeanne Mandello, Arbeiter, Architekturfakultät Montevideo 1945, Jeanne Mandello © Isabel Mandello de Bauer
Jeanne Mandello, Haus des Architektenverbandes, Barcelona 1962, Jeanne Mandello © Isabel Mandello de Bauer

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