Kunst
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you’re not seeing double ‒ you’re seeing trouble!

Für Gregor Schneider wird die Doppelung immer wieder zum künstlerischen Werkzeug. Auch „Die Familie Schneider“ bewegt sich im schaurigen Spannungsfeld zwischen Wahrnehmung und Irritation. 

Mit der Ausstellung „Gregor Schneider – Die Familie Schneider“ dokumentierte die Berliner Galerie Konrad Fischer im Januar nicht nur eine herausragende Arbeit des deutschen Künstlers, sondern wagte zugleich einen Blick in die Vergangenheit. Vor rund zehn Jahren lud Gregor Schneider seine Besucher in die Häuser der Walden Street No. 14 und Walden Street No. 16 des Londoner Stadtteils Whitechapel. Einen unrühmlichen Namen hatte sich die von Reihenhäusern gesäumte Nachbarschaft schon als Schauplatz der Jack the Ripper-Morde um 1890 gemacht. Ein morbides Pflaster also, das der gespenstischen Arbeit Gregor Schneiders gerecht wurde.

Einmal mehr setzte Schneider für sein unheimliches Kammerspiel die Doppelung als Verwirrspiel des persönlichen Erlebnisses in den Fokus. Von der Tapete bis zu den beißenden Gerüchen, vom Kühlschrankinhalt bis zum Surren der Heizlüfter: Jedes noch so kleine Detail der beiden Häuser wurde peinlichst genau kopiert und zum exakten Duplikat stilisiert. In Form von Schauspielern ‒ allesamt Zwillinge versteht sich ‒ war auch „die Familie Schneider“ selbst zum Inhalt der Installation geworden. Gregor Schneider inszenierte sie als tragische Symbole der Vereinsamung: In exakter Choreografie tätigten die Zwillinge, jeweils in einem der Häuser, die gleichen Handlungsabläufe. Da ist die Mutter, die in emsiger Unbeirrbarkeit den Abwasch erledigt, während das Kind im Schlafzimmer des ersten Stocks unter einer Plastiktüte zu ersticken droht. Ein Zimmer weiter masturbiert der Vater in der Dusche. Sinnbilder der Belanglosigkeit, Vernachlässigung, Isolation.

Ein grauenvolles Déjà-vu

Welches Haus „das Original“ und welches „die Kopie“ sein mag, das blieb dem Besucher verschlossen. Darum ging es Gregor Schneider nicht. Viel eher stellt er mit der Doppelung jede Einzigartigkeit zum Diskurs und hinterfragt die Unwiederbringlichkeit des einzelnen Moments. Zwangsläufig musste der Besucher das gerade Gesehene ein zweites mal durchleben. Dass jeder Gast an einem zuvor verabredeten Termin nur ganz allein für jeweils zehn Minuten durch die Häuser gehen durfte, wurde zum wichtigen Charakteristikum des künstlerischen Moments, hätte doch das Begegnen mit anderen Besuchern die absolute Gleichheit der beiden Hausbesuche verfälscht. Den strikten Anweisungen des Künstlers folgte auch, wie und wo man sich im Haus zu bewegen hatte: Jede zurück gelassene Tür fiel ins Schloss, ein Umkehren, einen Ausweg aus dem duplizierten Horrorszenario der Alltäglichkeit gab es nicht. Weder herzlich willkommen noch ungebeten, blieb der Besucher handlungsunfähiger Zaungast. Mehr noch: ein Haus weiter muss er die selbe Sequenz ein zweites Mal durchleben, immer auf einen Ausweg lauernd. Ein grauenvolles Déjà-vu.

Nur ansatzweise ließ sich dieses beklemmende Gefühl bis zum 10. Januar im White Cube der Galerie Konrad Fischer erahnen. Umringt von fotografischen Dokumentationen des Großprojekts „die Familie Schneider“, thront in der Mitte des Raumes die Installation „Nursery“: Ein kleiner Holzkasten, mit geblümten Tapeten und Heizkörper zu einem klaustrophobischen Kinderzimmer entfremdet. Ein Raum weiter zeigt eine Video-Verdoppelung jeweils die Rundgänge durch die Walden Street 14 und 16. Das Rauschen des fließenden Wassers, das Klappern des Geschirrs, die immergleichen Handlungsabläufe auf beiden Seiten: Schon in bloßer digitaler Übertragung verfehlt die Installation Gregor Schneiders ihr Vorhaben nicht. Die Galerietür hinaus auf die belebte Straße wird zur ersehnten Befreiung. Bloß das beste aus dem Tag heute machen, bloß nicht das selbe wie gestern tun. Das Geschirr bleibt heute schmutzig.

Hier geht’s zu einem Videorundgang durch das Haus der “Familie Schneider”: https://m.youtube.com/watch?v=fmWRfpFXkOs

Bild: Manuel Almeida Vergara

 

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Kategorie: Kunst

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