Kunst
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Die visuelle Geschichtenerzählerin

Comic "Euqual" von Soufeina Hamed (tuffix)

Sie erzählt Geschichten in Bilderfolgen: Als einzige muslimische Comiczeichnerin in Deutschland hat Soufeina Hamed sogar den Bundespräsidenten als Fan

Eine junge Frau steht in der U-Bahn. Ihr Blick ist gesenkt, sie fühlt sich unwohl. Neben ihr sitzt eine ältere Frau. Sie schaut die junge Frau mit großen aufgerissenen Augen an. Ihre Mundwinkel sind nach unten gezogen, ihr Blick zeigt Entsetzen. In einer Gedankenblase über ihrem Kopf schweben die Worte „Oh my God!“. Die junge Frau trägt ein blaues Kopftuch. Ihre lange weiße Bluse reicht ihr fast bis zu den Knien. Die erste Sequenz von Soufeina Hameds berühmtem Comic zeigt eine Muslima, die sie selbst sein könnte.

Soufeina Hamed ist 24, Studentin, Comiczeichnerin und Muslima. Seit knapp zwei Jahren lebt sie in Osnabrück und belegt den Masterstudiengang “Interkulturelle Psychologie“. Aus ihrem Studium, das sich mit den Prinzipien und Sozialstrukturen einer nicht westlich geprägten Psychologie befasst, wie auch aus ihrem eigenen Alltag als kopftuchtragende Muslima in Deutschland, zieht sie Inspirationen für ihre Comics.

Ein Pfeil führt zum zweiten Bild ihres berühmten Comics. Es wird mit den Worten „From her point of view…“ eingeleitet. Man sieht den Hinterkopf der älteren Frau. Neben ihr steht ein blauer Alien mit zwei aus dem Kopf ragenden Fühlern, dunklen Augen und einer schmalen heraushängenden Zunge. Dieses Gefühl, ein Alien zu sein, teilt Soufeina mit vielen anderen Muslimas in Deutschland.

Frech und mit viel Humor erzählen ihre Comics über Vorurteile und Klischees. Dabei geht es nicht nur um das Kopftuch oder den Islam, sondern um den ganz normalen Alltag. Doch auch sie habe Vorurteile und neige dazu, Leute zu kategorisieren, sagt sie. Das wird ebenso zum Thema ihrer Comics, mit denen sie Distanzen und Missverständnisse von kulturell verschiedenen Menschen überbrücken möchte.

Sofort fallen Soufeina Hameds große braune Augen auf. Ihr breites offenes Lächeln ist ansteckend. Sie trägt ein schlichtes langes blaues Oberteil. Darüber eine blaue Strickjacke. Sie hat den gleichen Farbton, wie das Tuch, das sorgsam um ihren Kopf gelegt ist. „Ein viereckiges Tuch tragen häufig Frauen türkischer Herkunft. Araberinnen lieber Schals“, erklärt sie mit einer angenehm ruhigen Stimme. Dann nimmt sie einen Schluck Wasser und merkt an, dass dies ihr Lieblingsgetränk sei. Weder Tee noch Kaffee könnten da mithalten.

gezeichnet von Soufeina Hamed (c) Soufeina Hamed

Gezeichnetes Portrait von Soufeina Hamed

Geboren wurde Soufeina in Tunesien. In ihren ersten Lebensjahren wohnt sie dort mit ihrer Familie. Ihre Mutter stammt aus Ostberlin, ihr Vater, ein Architekt, aus Tunesien. Als Soufeina sieben Jahre alt ist, zieht die Familie mit ihren vier Kindern nach Berlin. Soufeina ist die Jüngste. Trotz der vier Jahre unterschied waren sie und ihre Schwester wie Zwillinge. Sie teilten sich ein Zimmer, stritten manchmal und vertrugen sich spätestens vor dem zu Bett gehen wieder.Seit sie zwölf ist, trägt sie ein Kopftuch.

Schwarze dünne Linien und Punkte zieren ihre rechte Hand. Vom kleinen Finger bis zum Handgelenk ranken sich die dunklen Striche empor, die sich in florale Ornamente verwandeln. Harkous heißt diese typisch tunesische Bemalung, die einem Henna ähnelt. Soufeina erzählt, dass sie es sich erst kürzlich auf einer Reise durch Paris machen ließ. Jeden Sommer fliegt sie nach Tunesien, trifft dort auch ihre mittlerweile in Deutschland verstreut lebende Familie und verbringt mit ihnen einige Wochen gemeinsam am Meer. Nach London, Granada, Paris und Venedig unternahm sie mit ihrer Freundin zuletzt einige Städtetrips. Eine Reproduktion von Monets Canale Grande hing jedoch schon vor ihrer Reise in die Lagunenstadt an der Wand neben ihrem Schreibtisch.

Sie zeigt auf die große Weltkarte, die über ihrem Bett hängt. Gerne würde sie noch mehr Reisen, am liebsten nach Australien. Ein Stück weiter ziert ein Poster mit den 99 Namen Allahs in arabischer Schrift ihre Zimmerwand. Im Bücherregal stehen Bücher übers Comiczeichnen neben Romanen von Jane Austen. An Sammelboxen der Serie „Gilmore Girls“ lehnen DVD-Hüllen der Filme „Vom Streben nach Glück“ und „Stolz und Vorurteil“. Auf einer verblassten Fotografie auf dem Fensterbrett sind zwei kleine Mädchen mit wilden braunen Locken zu sehen. Es ist Soufeina mit ihrer Schwester. Eine dicke buntbemalte Matroschka wacht daneben.

Nach dem Schulabschluss in Berlin studierte Soufeina Psychologie in Potsdam. Vor knapp zwei Jahren zog sie dann nach Osnabrück. Nach ihrem Masterabschluss will sie in die Wirtschaft und im Bereich Personalentwicklung arbeiten, am liebsten bei einem großen Unternehmen. Das Comiczeichnen ist ihr Hobby. „Ich habe schon als Kind gern gezeichnet und das hat mir viel Spaß gemacht“, erzählt sie und verrät, von Ölmalerei bis Kohlezeichnungen alles ausprobiert zu haben. Das war ihr aber alles zu aufwendig, und weil sie manchmal etwas faul ist, blieb sie an den Comics hängen. „Da braucht man nur einen Stift, ein Stück Papier und irgendeine Geschichte, die man visuell verpacken kann. Ich mag es, Geschichten zu erzählen und andere Menschen zu erreichen“, erklärt Soufeina. Außerdem liebt sie es, sich kurz zu fassen. Schon in der Schule waren ihre Aufsätze immer die kürzesten.

Portrait von der Comiczeichnerin Soufeina Hamed

Portrait von der Comiczeichnerin Soufeina Hamed

Vor fünf Jahren fing sie an, ihre Bilder ins Internet zu stellen. Ihre Fangemeinde wächst seitdem stetig. Mit der Ausstellung „Was glaubst du denn?!“ von der Bundeszentrale für politische Bildung touren ihre Bilder sogar durch Schulen in Deutschland.

Auch Bundespräsident Joachim Gauck ist von Soufeinas Comics begeistert. „Ihm hat besonders gut gefallen, dass ich gezeigt habe, dass man aus zwei verschiedenen Perspektiven manchmal etwas ganz anderes sieht und wahrnimmt. Und dass es auf beiden Seiten Extreme gibt, ist ihm anscheinend hängen geblieben“, erzählt sie. Oft sind es die Perspektiven von Muslimen und Nichtmuslimen.

Das Medieninteresse an ihr und ihren Arbeiten ist seither groß. „Die Ausstellung war der Startpunkt von allem. Das ist irgendwie ganz verrückt. Es kam wie eine Welle“, fährt sie fort. Zu Gesprächsrunden von Kirchengemeinden oder in Schulen wird sie vermehrt eingeladen. Neben dem Zeichnen engagiert sie sich auch ehrenamtlich im Netzwerk „Zahnräder“, eine Plattform für aktive Muslime aus Wirtschaft, Politik, Medien und Wissenschaft.

Soufeina Hamed schreibt gerade an ihrer Masterarbeit zum Thema „Vorstellungskraft und soziale Wahrnehmung“. Es wird ein Paper, eine wissenschaftliche Dokumentation, die kürzere Alternative zur langen Masterarbeit. Natürlich kurz und knapp. Wie ihre Comics, die mit wenigen Bildern unzählige Geschichten erzählen.

 

Foto: Comic “Equal” (c) Soufeina Hamed, gezeichnetes Portrait (c) Soufeina Hamed, Portrait (c) Soufeina Hamed

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