Kunst
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Warten auf Warhol

Ein echter Picasso, Miró oder Richter für Zuhause? Für die Nutzer der Artothek des Neuen Berliner Kunstvereins ist das keine Frage des Geldes, sondern eine Frage der Zeit

„Der Warhol ist ausgeliehen, aber Sie können ihn gerne reservieren.“ Bärbel Kirchhoff versetzt meinem Enthusiasmus einen herben Dämpfer. Sie ist die Leiterin der Artothek des Neuen Berliner Kunstvereins. Artotheken sind wie Bibliotheken, nur leiht man sich statt Bücher Kunstwerke aus, und zwar im Original. Der Sammlungskatalog auf der Website verzeichnet allein unter „A“ 40 Namen, darunter Marina Abramović, unter „B“ dann Joseph Beuys, Max Bill, Georg Baselitz und unter „W“ Andy Warhol mit einem Lenin-Porträt. Das wollte ich.

Originale für eins fünzig

Erst war ich skeptisch. Originale von solchen Berühmtheiten soll man einfach mit nach Hause nehmen dürfen? Ja, tatsächlich. Wenn man die Ausleihbedingungen erfüllt: Mindestalter 16, Wohnsitz in Berlin. Kostenpunkt pro Ausleihe: 1.50 Euro Versicherungsgebühr für drei Monate. Also habe ich mich auf den Weg zur Chausseestrasse in Mitte gemacht, um mir den Lenin zu holen. Aber der hängt nun schon woanders. So schaue ich mich nach einem Ersatz um. Die Artothek des Neuen Berliner Kunstvereins ist mit der größte Kunstverleih Deutschlands. Über 4000 Zeichnung, Malereien, Drucke, Fotografien und Skulpturen des 20. und 21. Jahrhunderts stehen hier zur Ausleihe bereit. Oder eben nicht. „Gut zwei Drittel der Werke sind in der Regel draußen“, sagt Bärbel Kirchhoff. Seit 2005 leitet sie die Artothek, pflegt die Sammlung, bedient die Nutzer und Nutzerinnen, nimmt Rückgaben entgegen und packt Bilder ein.

Kunst für alle

Heute Nachmittag ist es ruhig in der Artothek. Nur Johanna Koopmann, 27, und Andrea Düerkop, 28, durchstöbern wie ich die Sammlung. „Ich bin etwas überfordert. Es ist fast wie auf dem Flohmarkt“, sagt Andrea Düerkop. Sie nimmt Bilder aus dem Regal, stemmt sie hoch und legt jene zur Seite, die in die engere Auswahl kommen. Hier ist Kunst im wahrsten Sinne des Wortes für jeden griffbereit.

Seit dem 19. Jahrhundert lebt die demokratische Idee der Artotheken: Jeder soll unabhängig von seinem finanziellen Status die Möglichkeit haben, sich kulturell zu bilden und sich in den eigenen vier Wänden mit Kunst auseinanderzusetzen. Dennoch erreicht die Artothek nicht alle sozialen Schichten. „Natürlich sind unsere Nutzer vor allem Menschen, die sich ohnehin für Kunst interessieren“, sagt Bärbel Kirchhoff. „Wir laden aber auch Kindergärten, Schulen und Unternehmen hierher ein, um sich Kunst für ihre Räume auszuleihen. So kommen doch Menschen aller Milieus in den Genuss unserer Kunst.“

Sieben Jahre warten

Nun kommt Leben in die Artothek. Raffaela Schmitz, 51, lässt ihre vier Ausleihen verlängern. Kurz darauf bringt eine junge Frau zwei Bilder zurück: „Den André Masson hab’ ich gar nicht aufgehängt. Der war mir dann doch zu düster“, sagt sie und zeigt auf ein Gemälde in Dunkelgrün und Schwarz. Andrea Düerkop hat sich inzwischen für die großformatige Fotografie „Träger“ von Dagmar Uhde entschieden. „Ich ging nur nach der Ästhetik, ich kenne die meisten Künstler nicht, die hier zu haben sind. Die bekannten sind wohl ausgeliehen.“

So wie Andrea Düerkop machen es viele. „Die Leute suchen sich etwas Passendes zum Sofa. Manche wollen bei der nächsten Einladung mit etwas Exklusivem angeben“, erklärt Bärbel Kirchhoff. Ich gebe zu, ich gehöre zur Gruppe der Angeberinnen. Doch bis ich mit Warhol aufwarten kann, muss ich mich gedulden. Auf der Warteliste bin ich auf Platz neun. Bei Ausleihfristen von bis zu einem Jahr werde ich meinen Lenin wohl frühestens 2020 nach Hause nehmen können. Als Trost leihe ich mir eine Fotocollage von Christian Boltanski aus. Sie heißt „Sans Soucis“.

www.nbk.org

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