Auf den ersten Blick sehr sachliche Darstellungen, tragen diese Lebensmittel-Fotos auch viel Kritik in sich. Eine Kritik der Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau
Woher kommt eigentlich das, was bei uns auf den Tisch kommt? Dieser Frage ist der deutsche Fotograf Michael Schmidt mit der Kamera nachgegangen. Von 2006 bis 2010 hat er die Lebensmittelproduktion in verschiedenen europäischen Ländern begleitet und dokumentiert. Er war in Fischfarmen, Bäckereibetrieben, Supermärkten und Schlachthöfen. Herausgekommen ist eine Ausstellung mit dem Titel „Lebensmittel“, die noch bis zum 1. April im Martin-Gropius-Bau zu sehen ist.
Die Ausstellung beginnt mit Schwarz- Weiß-Fotografien. Typisch für Schmidt. „Grau als Farbe“, das war bisher sein Motto. Man sieht Gurken im Pappkarton, ein totes Schwein, und ein abgeerntetes Getreidefeld. Die Bilder wirken klar. Sie dokumentieren das, was da ist. Sie wirken authentisch.
Im nächsten Raum dann das Unerwartete: Eine Farbfotografie gesellt sich zu den Schwarz-Weiß-Bildern. Speck in irgendwas. Eine genaue Identifikation fällt schwer. Da das Foto, genau wie alle anderen 176 Bilder, unbetitelt ist, kann man nur raten, worum es sich handelt. Ein bezeichnender Entschluss des Fotografen. Auch die Aufnahmeorte werden nicht genannt. Womöglich eine Anspielung darauf, dass die Lebensmittelproduktion in Europa oft ebenso anonym wie diese Fotos ist.
Im nächsten Raum befinden sich noch mehr Farbfotografien – oder nein: bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass es sich um Schwarz-Weiß-Fotografien handelt, die mit einem Grünstich versetzt wurden. Abgebildet sind Äpfel und Teile von riesigen Maschinen – stets im Wechsel angeordnet. Irgendwie wirkt das irritierend. Wieso braucht man so riesige Maschinen um so kleine Äpfel zu verwerten? Auch das Foto von einem lebendigen Schwein im selben Raum mit Fotos von Wurst mit Gesicht bringen einen zu nachdenken.
Erst im Zusammenspiel merkt man, dass die Fotografien nicht nur sachliche Darstellungen sind, sondern auch Kritik beinhalten. Insofern trägt die Arbeit des Kurators Markus Heinzelmann einen großen Teil zum Gelingen dieser Ausstellung bei. Die wohl überlegte Anordnung der Bilder macht unverhoffte Zusammenhänge deutlich oder sorgt dafür, dass Kontraste besonders stark erscheinen. Außerdem fällt auf: Umso weiter der Betrachter in die Ausstellung eindringt, umso mehr Fotos wirken gleichzeitig auf ihn ein. Während die Fotografien im ersten Raum noch recht verloren an der Wand hängen und der Betrachter das Gefühl hat, gut mit ihnen zurecht zu kommen, wirkt der letzte Raum regelrecht überladen. Dicht aneinander gedrängt, hängen die Fotografien nicht nur neben- sondern auch übereinander und lassen dem Betrachter keine Möglichkeit, sich abzuwenden. Ein perfekt polierter Apfel zwischen abgepacktem, blutigem Fleisch, übereinander geschichteten Pappkartons und einer in Schaumstoff gepackten Mango: Das zeigt die Absurditäten in der Lebensmittelindustrie. Der Ausstellungsbesuch hat sich gelohnt.
Titel- und Artikelbild: © Michael Schmidt