Kunst
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Marina Abramović bittet zur Audienz

Der Film Marina Abramović. The artist is present dokumentiert eine ganz besondere Performance der Künstlerin. Drei Monate saß die „Großmutter der Performancekunst“ tagein, tagaus auf einem Stuhl im MoMA und empfing die Besucher. In Museum und Kinosaal flossen Tränen.

Es erinnert ein wenig an Lourdes, Medjugorje oder eine andere Marienpilgerstätte. Touristen in Sandalen stehen Schlange, Digitalkameras blitzen, Tränen fließen und Hände werden hingebungsvoll auf’s Herz gelegt. Die Szenen spielen jedoch im MoMA New York, wo die serbische Künstlerin Marina Abramović  im Rahmen ihrer Retrospektive drei Monate lang jeden Tag auf einem Stuhl sitzt.  Sie empfängt die Besucher zur stillen Audienz. Sie nehmen Platz und blicken der Künstlerin – dem Kunstwerk – in die Augen. Marina Abramović wirkt ein wenig abgekämpft. Die Augen sind rot, die Haut blass.

by Marco Anelli 2010

by Marco Anelli 2010

Marina Abramović. The Artist ist present heißt die Show, die hält, was sie verspricht. Den gleichen Namen trägt Matthew Akers Dokumentation, die seit 30.November in den deutschen Kinos zu sehen ist.  Der Filmemacher zeigt die Künstlerin während der Vorbereitung und der Performance aus nächster Nähe. Er erwähnt auch die prägende Kindheit im ehemaligen Jugoslawien, sowie deren Einfluss auf ihre Kunst. Akers folgt der Künstlerin auf Schritt und Tritt – in ihr Loft in Soho, zum Workshop mit den Künstlern, die Abramovićs Performances im MoMA nachstellen sollen und sogar in ihr Bett oder Badezimmer.

 

Filmemacher Matthew Akers mit Marina Abramović

Filmemacher Matthew Akers mit Marina Abramović

Als ihr das MoMA 2010 eine Retrospektive widmen wollte, überlegte Abramović lange. Performances sollten originalgetreu reinszeniert werden, während die Künstlerin selbst auftritt.  MoMA-Kurator Klaus Biesenbach entwirft den Untertitel The Artist is present und ihr war klar: Ihre eigene Präsenz wird, wieder einmal, zur körperlichen Herausforderung.

 

Der eigene Körper als Medium

Seit den 1970er Jahren tritt Marina Abramović als Performance-Künstlerin auf. Medium und Zentrum ihrer Arbeit: der eigene Körper. Wie ein Suchgerät lotet sie  Grenzen und Möglichkeiten des eigenen Körpers und Schmerzes aus und kämpft gegen Wiederstände. Sie erlaubt dem Publikum – fordert es sogar auf –  Teil dieser Erfahrung zu werden. Sie peitscht sich selbst aus, ritzt sich einen Stern in den Bauch und provoziert mit nackten Performern, zwischen denen sich die Ausstellungsbesucher durchzwängen müssen. Gegen diese starke, provokative Künstlerin, wirkt die Marina, die jeden Morgen am Stuhl im MoMA Platz nimmt, verletzlich, sanft und liebevoll. Das liegt vor allem an ihrer Liebe zum Publikum. Aber auch an der Streichermusik, die Emotionalität der Filmbilder ins Unermessliche steigert. Zahlreiche Nahaufnahmen und schnelle Schuss-Gegenschuss-Methoden dramatisieren die Séance-Szenen im MoMA zusätzlich.

Kurz bekommt der Zuseher das Gefühl, Marina Abramović wäre mit der Vorbereitung oder der Performance selbst überfordert. Doch sie kennt das Kunstgeschäft. Die Ausstellung bereitet ihr Sorgen und Schmerzen. Sie liebt ihre Besucher, die – ähnlich wie Pilger oder Groupies – nächtelang vor dem MoMA campen.

Die Dichotomie zwischen sanft und provokativ fängt Matthew Aker ein. Abramović selbst erzählt, dass es mehrere Marinas gibt.Die eine ist die Tochter zweier jugoslawischer Partisanen. Die Zweite erfuhr während ihrer Kindheit zuhause nie etwas wie Liebe. Die Künstlerin schildert, wie sie von der Mutter nachts aufgeweckt wurde. Marina solle sich gefälligst ordentlich hinlegen. Und dann gibt es noch die dritte Marina. Die, die über all dem steht. Diese Spirituelle ist Marina Abramović am liebsten und hat sie in ihrer Arbeit beeinflusst. In der Kunst verbindet sie kommunistischen Soldatendrill mit gefühlvoller Hingabe und Leidenschaft.

Marinas Wegbegleiter kommentieren im Film. Der Kurator Klaus Biesenbach kommt ebenso zu Wort wie, Kritiker, Art Direktoren oder ihr Langzeitlebensgefährte Ulay. Der Film widmet sich der Geschichte der beiden Arbeits- und Lebenspartner eingehend. Akers zeigt Marina Abramović  und Ulay, wie sie miteinander, lachen, in Erinnerungen schwelgen und ihre Arbeit The Lovers – The Great Wall Walk (1988), die das Ende ihrer Beziehung bedeutete, rekonstruieren.

Marina Abramović erzählt von der Performance The Lovers – Great Wall Walk :

Das inszenierte Zusammentreffen in der Wohnung ist freundschaftlich. Die Begegnung im MoMA umso emotionaler. Der Zuschauer weiß, im Gegensatz zu Künstlerin, wer Platz nimmt. Ulay, sichtlich angespannt, setzt sich neugierig hin. Nun leistet der Film ganze Arbeit. Die Musik geht langsam aus. Abramović im close up. Als sie ihren Blick hebt, geht ein Zucken durch den Saal. Die Kinozuschauer halten die Luft an. Ulay lächelt, Marina Abramović wirkt erleichtert. Sie kommunizieren über ihre freundlichen Blicke und das Kinopublikum schluchzt.

 

„Performance ist Blut. Theater ist Ketchup“

Der Film geht Marina Abramovićs Kunst auf den Grund. Einige Bilder leben von Dramatisierung und Inszenierung. Die Performance jedoch war echt. 721 Stunden saß Marina Abramović auf dem Stuhl und blickte 1565 Besuchern in die Augen. Ihre Hingabe und Erschöpfung war ebenso echt. Marina Abramovic sagt selbst: „Performance ist Blut. Theater ist Ketchup.“

 

Der Trailer zum Film:

 

 

 

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Kategorie: Kunst

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