Kunst
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Federflaum in Bronze

Der Kopf des frisch geschlüpften Kükens ist von einer zarten, individuellen Schönheit. Hoch reckt er sich, der kleine Schnabel scheint nach Luft zu schnappen. Klar zeichnen sich die Umrisse der Augen ab. Die Federn kleben nass am fragilen, nach hinten gebogenen Hals. Fast erwartet man eine leise Bewegung, ein Zittern, ein Schnappen nach Luft. Doch dieses Küken wird sich nicht bewegen, es ist in  Bronze erstarrt und blickt mit leeren Augen in den Raum.

Seit Filmen wie We Feed the World wissen wir, was mit männlichen Küken geschieht. Da sie weder zur Mast, noch zur Eierproduktion taugen, werden sie direkt nach dem Schlüpfen entsorgt. Millionen von ihnen werden jedes Jahr in den großen Geflügelbetrieben vergast, zermahlen und zu Tiermehl verarbeitet.

Deckel

Dem Industrieabfall ein Denkmal setzen

Stefan Träger studiert im sechsten Semester Bildende Kunst an der UdK. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, den anonymen Tod der kleinen Vögel zu einer sinnlichen Erfahrung zu machen. In wochenlanger, kleinschrittiger Arbeit verwandelt er Industrieabfall in Kunst und setzt so jedem einzelnen Küken sein eigenes bronzenes Denkmal. Es sind kleine, auf den ersten Blick unscheinbare Denkmäler: Beschläge an Küchenfronten, Deckel für Zuckerdosen, Flaschenverschlüsse.

Bevor er sie in Bronze goss, stopfte Stefan die Küken aus, legte sie in Formaldehyd ein und kreierte sogar einen Ohrring aus einem Kükenkopf. „Niemand wollte die präparierten Vögel anfassen, manche fürchteten sich sogar davor“, sagt er. „Also ging ich einen Schritt weiter.“ Dies bedeutete monatelanges Ausprobieren, Hantieren mit vielen Materialen, dutzende Fehlversuche. Schließlich gelang es ihm, detaillierte Abgüsse der Köpfe aus Bronze herzustellen.

„Wenn man aus den getöteten Küken etwas Schönes macht, dann nähern sich die Menschen ihnen ganz anders, als wenn sie mit Blut und Gedärmen konfrontiert werden“, erklärt Stefan seine Vorgehensweise. „Allein durch die Materialtransformation wird es schön und man will es sich ins Regal stellen. Dabei hat es exakt dieselbe Form, denn das Küken war direkt in Berührung mit der Bronze.”

Der Produktionsvorgang ist etwas kompliziert und nimmt mehrere Wochen in Anspruch. Erst erhält der blonde Student Post aus Holland, in einem Tiefkühlcontainer werden ihm die toten Vögel geliefert, ca. 200 Stück toter Industrieabfall pro Kiste. Die leblosen Körper bewahrt er in seinem Atelier in der Hardenbergstraße 33 auf, wo er sich liebevoll mit jedem einzelnen beschäftigt: Erst wird das Küken aufgetaut und mit Hilfe von Drähten in die richtige Form gebracht, anschließend mit Gusskanälen aus Wachs versehen und wieder eingefroren. Wenn es steif gefroren ist, bettet Stefan das Küken vorsichtig in Gips und Schamotte ein und brennt die so entstandene Form zwei Tage bei niedriger Temperatur. Danach wird die feuerfeste Form zwei Tage bei hohen Temperaturen gebrannt, um das Wachs zu schmelzen und das Küken einzuäschern. Letztendlich schmilzt Stefan bei 1400° Bronze in seinem selbstgemauerten Ofen und gießt diese in den Raum, den vorher das Küken eingenommen hat. Diese Jahrtausendealte Kulturtechnik, derer sich schon die Ägypter bedienten, um Figuren aus ihren Haustieren herzustellen, brachte Stefan sich selbst bei.

„Ich habe drei Öfen gemauert, die über 1000°aushalten. Mit Klebeband habe ich einen Föhn zum Anfeuern befestigt, das Werkzeug habe ich auch selbst geschweißt“, erinnert Stefan sich lächelnd. Seit drei Jahren beschäftigt der Student sich schon mit den männlichen Küken, „weil sie sehr, sehr schön sind – sie sind wunderschön und ganz charakterstark.“

Korkzu1klSkulpturobjekt und Alltagsgegenstand

Der Betrachter wird in einem alltäglichen Umfeld mit den Köpfen konfrontiert. Da sie als Teile von Gebrauchsgegenständen funktionieren, sind wir gezwungen, mit den Objekten zu interagieren. „Die Bronze, die auf dem Sockel steht, ist tatsächlich ein Skulpturobjekt. Aber den Griff oder die Beschläge kann man ja auch benutzen, das ist eine regelrechte Aufforderung, es anzufassen“, sagt Stefan. Die Scheu vor der Berührung abzulegen bedeutet gleichzeitig, am Schicksal der männlichen Küken Teil zu haben und zu reflektieren.

Etwas merkwürdig ist es schon, die Köpfe zu berühren. Erst sind sie kühl und liegen starr in der Handfläche, doch schon nach kurzer Zeit erwärmen sie sich, fast schon schmiegen sie sich an. Es ist, als würde man den kleinen Skulpturen durch die eigene Körperwärme Leben einflößen. Ganz vorsichtig geht man mit ihnen um, dreht sie zwischen den Fingern – und will sie eigentlich nicht mehr aus der Hand legen.

Wer Stefan Trägers Kunst sehen – oder in diesem Fall berühren möchte – kann dies im Rahmen des UdK Rundgangs vom 11.-14.7.2013 im Hauptgebäude der UdK in der Hardenbergstraße 33 tun.

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Kategorie: Kunst

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