Kunst
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„An der Kunst ist nichts brauchbar“

Der Klangkünstler Hans Peter Kuhn spricht im Interview über das Grundrauschen der Moderne und die Schwierigkeit, genau hinzuhören

Ob der Raum nicht zu sehr halle, will Hans Peter Kuhn erst einmal wissen. Um die Akustik sei es in den hohen Räumen der Berliner Universität der Künste nicht so gut bestellt. Dort ist der Künstler seit letztem Jahr Gastprofessor. Unter seiner Leitung ist gerade die permanente Klanginstallation „Der Gang der Dinge“ entstanden. Kuhns Arbeiten aus Klang und Licht wurden in Museen von Paris bis Boston ausgestellt. Vor 20 Jahren gewann er zusammen mit Theaterregisseur Robert Wilson den Goldenen Löwen der Venedig-Biennale. Bekannt wurde Kuhn durch Installationen im öffentlichen Raum, am Kieler Hafen etwa oder in einem Tunnel im englischen Leeds.

Hans Peter Kuhn ist ein Mensch, der gern und ausgelassen lacht. Wenigen Leuten ist der Spaß, den sie bei ihrer Arbeit haben, so sehr anzusehen wie Hans Peter Kuhn. Auf die Versicherung, der Hall sei nicht so dramatisch, schließlich sei der Mitschnitt ja nicht für das Radio, kann das Gespräch beginnen. 

Herr Kuhn, was kommt bei Ihren Arbeiten zuerst, der Ort oder die Idee?

Am Anfang steht die Beschäftigung mit dem Ort. Was ich bei den ortsbezogenen Arbeiten mache, das sind immer Reaktionen auf den Raum, auf die Architektur, auf die Temperatur. Ich lasse den Ort zuerst auf mich wirken, dann kommen irgendwann die Ideen. Bei einer Arbeit für ein Museum ist das natürlich anders.

Sie wählen für Ihre Installationen sehr unterschiedliche Orte. Im vergangenen Jahr haben Sie im österreichischen Krems ein „Lineares Universum“ eingerichtet – und zwar in einer Kirche. Wie kamen Sie darauf?

Eine Kirche ist ja ein Raum, der mit universellen Ideen zu tun hat. Deshalb wollte ich etwas Universelles machen. Ich habe an die Galaxie-Bilder des Hubble-Teleskops gedacht. Auf denen sieht man zufällig im Raum umherschwebende Farbformationen. Ich habe versucht, dieses Bild durch Leuchtstoffröhren einzufangen. Zwischen die Röhren habe ich 50 Lautsprecher gehängt, die eine Klangwolke erzeugen. Man hat das Gefühl, in einem kleinen Universum zu stehen.

Eine Klangwolke – wie kann man sich die vorstellen?

Das ist so schwer zu beschreiben.

Weil es generell so schwer ist, Töne zu beschreiben?

Ja, das ist so. Die Sprache hat ja eine Menge lautmalerischer Begriffe für Geräusche. Knacken zum Beispiel, oder Klirren. Aber versuchen Sie mal, einen Orchesterklang zu beschreiben, ohne zum Beispiel zu sagen, das klingt wie Mahler. Das geht immer nur über Vergleiche. Oder diese Farbe hier, würden Sie auch sagen, das ist orange?

Sieht sehr danach aus.

Aber sehen Sie wirklich die gleiche Farbe wie ich? Sie nennen sie nur gleich. Vielleicht haben Sie gerade einen ganz anderen Farbeindruck als ich.

In Ihren Arbeiten verbinden Sie Klang und Licht. Warum kommt das eine ohne das andere nicht aus?

Es gibt natürlich Installationen im dunklen Raum, die nur aus Geräuschen bestehen. Aber die Menschen wollen nicht im Dunkeln sein. Wen man zum Beispiel in die Philharmonie geht, dann hört man nie nur die Philharmoniker. Man sieht dort 80 Leute in schwarz-weiß, riecht das Parfum der Nachbarin, spürt den Luftzug der Klimaanlage. Alle diese Eindrücke finden parallel statt. Wir nehmen immer ganzheitlich wahr. Deshalb ist die Umgebung auch so wichtig.

Wie bringen Sie Akustisches und Visuelles zusammen?

Es kann nicht um ein Eins-zu-eins-Verhältnis gehen – dass zum Beispiel bei jedem Ton eine Lampe aufblitzt. Das wäre zwei Mal die gleiche Information. Ich versuche, eine Klangwelt zu schaffen und dazu eine visuelle Welt, die zur ersten aber nicht simultan ist, sondern etwas ganz Anderes.

Kandinksy etwa hat mit seinen Kompositionen versucht, Musik zu visualisieren. Glauben Sie nicht, dass das geht?

Das kann überhaupt nur durch Assoziationen funktionieren. Kandinsky erinnerte ein bestimmter Klang etwa an die Farbe gelb. Das ist immer subjektiv. Auch die Notenschrift ist keine Visualisierung von Musik, sondern eine Spielanweisung. Mir geht es weder um Visualisierung noch um Vertonung.

Kritiker beklagen eine immer stärkere Orientierung der Gesellschaft an Bildern. Haben wir das Hören verlernt?

Wir leben nicht erst seit der Digitalisierung in einer visuellen Gesellschaft. Trotzdem wird gerade die Musik durch ihre ständige Verfügbarkeit zusätzlich entwertet. Das Hörbare wird noch unbedeutender. Früher stand dort ein Musiker mit seinem Instrument, heute wird das Stück zum Download angeboten. Ständig läuft irgendwo irgendwas, von der Bilderflut ganz zu schweigen. Durch dieses sensorische Bombardement stumpfen unsere Sinne natürlich ab.

Warum ist das für den Hörsinn gefährlich?

Das Hören ist der wichtigste Überlebenssinn. Wir hören nicht nur sehr viel schneller als wir sehen, wir hören immer, 24 Stunden am Tag. Sonst würde man nicht aufwachen, wenn der Wecker klingelt. Deshalb muss das Gehirn auch aussortieren, es kann sich unmöglich auf alle Nebengeräusche des Alltags konzentrieren.

Sie verwenden für Ihre Arbeiten gerade solche „Sounds“, das Pfeifen des Windes zum Beispiel oder das Geräusch einer Telefonwählscheibe.Gehen diese Geräusche sonst unter?

Weil das spannende Töne sind. Sie scheinen unbedeutend zu sein, haben aber einen besonderen Klang. Und man kann mit ihnen Geschichten erzählen.

Zu denen Sie dann aber wieder die Bilder brauchen.

Das sind zwei verschiedene Dinge. Die visuelle Information ist keine Illustration der akustischen. Ich erzähle zwei Geschichten, die eine würde auch ohne die andere funktionieren. Indem ich Bild und Klang zusammenbringe, entsteht eine höhere Konzentration.

Was meinen Sie damit?

Der Mensch ist narrativ und macht Geschichten aus dem, was er hört und sieht. Aus diesen beiden Ebenen entsteht in meinen Arbeiten ein dritte. Der Besucher macht aus dem Gehörten und aus dem Gesehenen eine weitere Geschichte. Damit spiele ich.

Sie haben auch Hörspiele für das Radio gemacht. Das ist ja allein auf das Hören angewiesen. Hat das Radio eine Zukunft?

Das Besondere am Radio ist, dass man sehr für sich ist und gleichzeitig mit der Welt verbunden. Ich glaube, dass wir trotz der Überstrapazierung wieder lernen werden, uns zu konzentrieren. Dafür ist das Radio ideal.

Wenn die Konzentration heute so schwierig geworden ist, kann die Kunst die Sinne schärfen?

Darin sehe ich eine wichtige Aufgabe der Kunst. Viele fordern von der Kunst ja, dass sie zu politischen Fragen Stellung nehmen soll. Das halte ich nicht für ihre wesentliche Aufgabe. Ihr sollte es eher um unsere Wahrnehmungsfähigkeit gehen. Heute zählen viele sogar das Design zur Kunst, obwohl dort die Brauchbarkeit im Mittelpunkt steht. An der Kunst ist nichts brauchbar. Gleichzeitig ist die Kunst sehr verkopft geworden und hat die Ästhetik immer mehr aufgegeben. Wenn wir den Kunstbegriff noch haben wollen, dann müssen wir mehr darunter verstehen als nur einen Diskurs.

Steht in der Klangkunst das Schöne im Mittelpunkt?

Ich versuche, die Aufmerksamkeit wieder auf ganz gewöhnliche Geräusche zu legen. Auch, weil sie schön sind. In der Dauerbeschallung gehen sie meistens unter. Es lohnt sich, genauer hinzuhören.

Sie sprechen viel vom Spielen in der Kunst. Und Sie haben großen Spaß an dem, was Sie machen. Woher kommt Ihre Lust am Spielen?

Das Spielen gehört zu unserem Dasein. Wir müssen spielen. Ich liebe es, zu experimentieren und auf Unvorhergesehenes zu stoßen. Auch dafür ist die Kunst da.

 

 

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Kategorie: Kunst

Im Bachelor studierte Franz Philosophie und Linguistik, seit 2012 Kulturjournalismus im Master. Zu seinen Lieblingsthemen gehört die Sprache - in der Literatur, im Leben, in verschiedenen Kulturen.

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