Kunst

Der Wolkenmacher

Installationskünstler Tomás Saraceno macht aus Plastikbällen funkelnde Luftblasen.

Galerien sind unpersönliche Orte. Boden, Wände und Decken sind in sterilem Weiß gehalten – als makelloser Grund für Gemälde, Skulpturen oder Installationen. Bis auf die Kunst sind die Räume leer, denn jede Requisite würde die Wirkung der Kunst schmälern. Der Purismus schützt aber auch ein Geheimnis: Die Beziehung zwischen Kunst und Künstler. Blicken wir auf das Werk eines Tyrannen, der monatelang in einem Materialwust gehaust hat – mutterseelenallein, denn seine Mitarbeiter sind allesamt entsetzt geflüchtet? Oder war hier ein Esoteriker am Werk, der mit Bedacht, Weltliebe und Räucherstäbchen zu seinem Endprodukt gelangt ist? Einmal dem Künstler bei der Arbeit über die Schulter sehen, das wünschen sich viele ratlose Ausstellungsbesucher, die verstehen möchten, welche Gefühle sich hinter der entstellten Gummipuppe, der verdorrten Blume oder dem Bleistift-Berg verbergen.

Saracenos Wolkenstädte: eine fantastische Reduktion der Realität auf Formen und Farben

Die seltene Gelegenheit, den Aufbau einer Ausstellung mitzuerleben, bietet in diesen Tagen der Hamburger Bahnhof. Tomás Saracenos Installation„Cloud Cities“ eröffnet  zwar erst am 14. September, bis dahin kann jeder Besucher der Dauerausstellung  dem Künstler aber schon mal beim Aufbau über die Schulter schauen.

Der erste Eindruck der Ausstellung ist eine Erinnerung an ein Kinderspielzeug: Beim Blick durch das Kaleidoskop sah man Kreise aus funkelnden Farbmustern, die sich beim behutsamen Drehen des Rohres zu neuen Kreisen zusammensetzten. Saracenos „Cloud Cities“ scheinen dem Kaleidoskop entsprungen – sie funkeln, sie sind symmetrisch, sie sind einander ähnlich und differieren doch in Farbe, Größe und Oberfläche.

Schwebende Luftblasen

Der Hamburger Bahnhof hängt voller transparenter Plastikbälle, in die kontinuierlich Luft gepumpt wird. Einige sind so klein wie Fußbälle, andere reichen vom Boden bis hinauf zu den Eisenträgern an der Decke. Einige lassen Pflanzen in ihrer Mitte schweben, andere sind hohl. Befestigt sind sie mit schwarzen Stricken, die sich netz-ähnlich um die Bälle spannen und dann quer durch den Raum verlaufen. Sie halten die Bälle in der Luft. Eine der Kugeln ist mit einer künstlichen Moosschicht bedeckt, auf der sich lange, ebenso künstliche Blätter kringeln. Die Kugel schwebt im vorderen Teil des Raumes. Genau darunter sitzt ein schmales Mädchen in Rock und Turnschuhen auf einem Holzstuhl und knüpft versunken weitere Blätter zusammen, die kurz danach vorsichtig auf dem Moos befestigt werden. Etwas weiter fehlt die Kugel – und doch ist sie da: Die schwarzen Schnüre sind so ineinander verknotet, dass sie dreidimensionale, kugelförmige Hohlräume bilden. Einige Schnurenden hängen lose zu Boden.

Die größten Kugeln dürfen ab dem 14. September auch vom Publikum betreten werden. Eine Flugzeugleiter führt zum Einstieg an der Seite. Drinnen ist eine Gummiplane quer durch die Kugel gespannt – ein Trampolin, das den Eindruck erweckt, in der Luft zu springen, mit freiem Blick zum Boden durch viele transparente Kreise, durch viel Luft hindurch.

Künstler Tomás Saraceno: liebevoller Umgang mit seinen Luftschlössern

In der zweitgrößten Kugel turnt der Künstler barfuß über das Trampolin und lässt sich dabei fotografieren. In Jeans und blauem Hemd liegt er auf dem quietschenden, durchsichtigen Untergrund. Die Arme hinterm Kopf verschränkt kämpft er ab und zu mit dem Gleichgewicht, denn auch der Fotograf schlägt Wellen auf dem bewegten Grund. Der Balanceakt scheint beiden Spaß zu machen, es ist kein sehr ernstes Fotoshooting. Saraceno wirkt mit fünf-Tage-Bart und zerwühlten Haaren wie ein großer Junge, der voller Vorfreude seiner Ausstellung entgegensieht, aber es nicht nötig hat, nervös zu sein. Er wirkt relaxt  – auch, als er wenig später wieder festen Boden unter den Füßen hat. Er schlendert zwischen offenen Kisten, Plastikplane und Wasserflaschen hindurch zu einer Mitarbeiterin, nimmt ihr einen monströsen, roten Föhn aus der Hand und beginnt, eine Plastikkugel damit aufzupusten. Behutsam legt er den fertigen Ball auf einen breiten Streifen Knisterfolie am Rand des Ausstellungsfeldes.

Saraceno strahlt und fegt

Insgesamt sind zehn Menschen in der Halle des Hamburger Bahnhofs damit beschäftigt, Knoten zu machen, Luft zu pumpen oder Fellbüschel und Kunstgewächs an den Bällen zu befestigen. Handys werden weitergereicht, Anweisungen gegeben, Kabel ent- und verwirrt. Ein oranger Mini-Kran kurvt durch das Wirrwarr am Boden. Es kommt einem Wunder gleich, dass er in keiner der Schnüre hängen bleibt, die durch die Halle gespannt sind. An fast jeder Kugel wird gearbeitet, emsig und entspannt. Dazwischen: Saraceno, der strahlend umherläuft, anpackt, manchmal nicht sofort eine passende Baustelle findet und hilflos beginnt, zwei Quadratmeter freien Boden in der Hallenmitte zu fegen.

Trotz des Chaos liegt Ruhe über den Arbeiten im Hamburger Bahnhof. Der liebevolle Umgang Saracenos mit seiner Kunst hat sich auf seine Mitarbeiter übertragen. Ihnen beim Aufbau zuzusehen, vermittelt jedem Zuschauer die Begeisterung für die Cloud Cities. Die Wolkenstädte sind eine liebevolle Utopie, eine fantastische Reduktion der Realität auf Farben und Formen, die Spannung erzeugen und glücklich machen.

schwebende Pflanzen in schwebenden Luftblasen

Diesen Luftschlössern beim Wachsen zusehen zu können, ist ein Privileg. Der Entstehungsprozess zeigt, dass Kunst immer Technik und Chaos braucht, um zu seiner finalen Form zu gelangen, dass Kunst nicht die reine, umgesetzte Idee ist, sondern mit ihr gerungen werden muss. Gerade im Hamburger Bahnhof sensibilisiert sich das Gespür für die Wechselwirkung zwischen Raum und Kunstwerk – und wirft Fragen auf: Wie wird sich die räumliche Spannung ändern, wenn die Schnüre alle straff, wenn die losen Enden verschwunden, wenn der Boden frei ist?

Eines steht fest: Am 14ten September wird sich auch Tomás Saraceno vor den makellos weißen Wänden des Hamburger Bahnhofs den Fragen der Ausstellungsbesucher stellen. Fragen wie: Und welche Beziehung haben Sie eigentlich zu ihrer Kunst?“

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Kategorie: Kunst