Kollisionen
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18.28 Uhr Invalidenstraße

Eine Webcam ist eine Art Bildbeschreibung. Der Autor/die Autorin ist ein Aufzeichnungsapparat, der/die wie eine Kamera eigenartige Geschehnisse, Alltagssituationen, Ereignisse wie Nichtereignisse, Smalltalks und Spaziergänge aufnimmt. 18.28 Uhr Invalidenstraße

Ein Mann steht an der Straßenecke. Der Kragen seines Mantels ist hoch aufgestellt. Er trägt eine graue Schiebermütze und eine Aktentasche unter seinem linken Arm. Er steht da und blickt geradeaus. Ein einzelner Stern leuchtet zwischen den Häuserzeilen. In einiger Entfernung fährt eine Tram der Linie M10 ein. Der Mann wendet sich zur Ampel, deren Licht – ein Ostampelmännchen – Rot leuchtet. Wenn er ausatmet, steigt Dampf aus seinem Mund. Er dreht sich wieder zur Straßenecke. Dann, die Ampel immer noch auf Rot, hüpft er raschen Schrittes bis zur Mitte der Straße und bleibt dort stehen. Die kleinen Kieselsteine gegen die Eisglätte knirschen unter den Reifen der fahrenden Autos. Die Ampel tickt rhythmisch. Zwei Männer unterhalten sich auf einer unbekannten Sprache, während sie warten. Es riecht nach frisch gemahlenem Kaffee. „IT von Mensch zu Mensch“, steht an einem Fenster. Der Mann mit dem Mantel schaut sich mehrmals um, überquert die zweite Hälfte der Straße und biegt links auf den Gehweg der Invalidenstraße ab. Er beginnt zu rennen. Seine Mantelschöße schlagen abwechselnd auf und ab. Die Tasche klemmt weiter unter seinem Arm. Dann wird er langsamer und kleiner in der Ferne. Die Tram fährt mit beschlagenen Scheiben vorbei. Der Rauch des hohen dünnen Turms bläst in den Nachthimmel. Ganz oben an der Spitze des Turms glüht rotes Licht. Die Ampel wird grün, sie piept nun. Ein Mädchen trägt eine Papiertüte von „Esprit“ in der linken Armbeuge, einen großen weißen Geldbeutel in der Hand. In ihrer rechten Hand schlenkert eine durchsichtige Tüte mit einer dieser beigen Essensboxen drin. Rotöliger Saft hat sich in der einen Ecke der Tüte angesammelt. Die Leuchtanzeige des Hotels, dessen Namen „Garden Living“ in großen Lettern auf der Hausfassade angeschrieben ist, sagt „Langzeitaufenthalte“. Im linken, unteren der hohen Fenster des Naturkundemuseums geht das Licht aus. 18.32 Uhr

Beitragsbild: Annett Gröschner

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Kategorie: Kollisionen

Stella Schalamon

Vielleicht liegt es daran, dass sie quasi in Zeitungsbergen aufwuchs, jedenfalls ist für Stella Schalamon die mit intuitivste Art sich zu äußern das Schreiben. Schreiben, das ist für sie wie kochen: Man schmeckt die Worte auf der Zunge und guckt, was gut zusammenpasst. Die zukünftige Filmemacherin aufregender Reportagen oder Schriftstellerin liebt Kunst, Kino, Sterne und Bienen.

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