Gesellschaft
Schreibe einen Kommentar

Zwischen Plüschhund und Schaufensterpuppe

Die Rezeption als Stillleben: In einer Nacht im "Comebackpackers" Hostel kehrt auch mal Ruhe ein. (Foto: Monica Camposeo)

Wie schnell vergeht eine Nacht an einer Hostelrezeption? Autorin Monica Camposeo hat es sich in einer Herberge am Kottbusser Tor gemütlich gemacht, um es herauszufinden.

Es gibt Orte, an denen es angebracht ist, sich direkt mit Vor- und Nachnamen vorzustellen. Und dann gibt es andere Orte, an denen Namen keine Rolle spielen. Wo man sich mit Fremden unterhält, lacht, ein paar Bier trinkt und es egal ist, ob man die Leute später bei LinkedIn wiederfindet oder nicht. Ein Mikrokosmos, wie herausgeschnitten aus dem Leben, wo sich Menschen treffen, die in ihrem Alltag nie zusammenfinden würden, ein paar Tage miteinander oder nebeneinander leben und dann wieder ihrer Wege gehen. Ein solcher Mikrokosmos ist das Comebackpackers Hostel am Kottbusser Tor. Eine Reportage von Monica Camposeo

Freitagabend, 22:30 │ Gareth hat sein Fahrrad an den Kickertisch angelehnt, er lässt es nie draußen stehen. Eigentlich gehört er nicht zu dem Typ Mensch, der dem Treiben am Kotti nicht traut. Aber vielleicht ist ihm sein Fahrrad einfach zu wichtig, um es darauf ankommen zu lassen. Der Laptop liegt aufgeklappt auf dem Rezeptionstresen, eine Packung Babybel und Crackers stehen griffbereit. Gareth hat sich für die Nachtschicht gut vorbereitet. Er ist aus Dublin und auf die Frage nach seinem Alter antwortet er gezielt mit 29, verbessert sich dann schnell wieder. Er ist bereits 30, wünscht sich aber, noch eine Zwei vorne zu haben.
Vereinzelte Gäste sitzen im großen Gemeinschaftsraum, der eher aussieht wie mehrere ineinandergewürfelte Wohnzimmer. Viele scheinen alleine hier zu sein, sie sitzen auf den Sofas, spielen auf ihren Handys herum. Es sieht aus, als würden sie auf jemanden warten, der nicht kommt. Im Hintergrund läuft David Bowie. Die Einrichtung ist bunt und willkürlich. Kein gezwungener Hipster-Schick oder minimalistisches Ikea-Design, vielmehr eine Art „Wohnzimmer-trifft-Dachboden-Atmosphäre“.

In der Ecke lauert ein rosa Hund aus Plüsch

Samstagmorgen, 00:15 │ Kurz nach Mitternacht kommt eine Vierergruppe herein. Gareth stellt sie mir als „Freunde des Hostels“ vor. Rosa kommt aus den Niederlanden und besucht gerade ihre Freunde in Berlin. Weil sie Geburtstag hat, werden farbige Luftballons aufgeblasen. Ihren Gin haben sie selbst mitgebracht. Einer aus der Gruppe fragt, ob wir nicht „peppigere“ Musik auflegen könnten, Techno vielleicht. Kurz darauf dröhnt Freddy K aus den Boxen. Auch für uns wird es Zeit für das erste Bier. Vor neun Jahren haben die zwei Freunde Tommaso und Paul das Hostel eröffnet. Sie wollten das umsetzen, was ihnen auf Reisen gefehlt hat: Komfort und ein Gefühl von Heimat. Im Gemeinschaftsraum häuft sich alles an, was die Inhaber angesammelt haben, aber auch Erinnerungsstücke, die die Gäste nach langen Partynächten mitbringen. Mitten im Raum steht eine Schaufensterpuppe mit abgehackten Händen, sie trägt einen Hut, zerschlissene Jeans und ein blaues T-Shirt mit der Aufschrift „Comebackpackers“ im Disney-Design. An den Wänden hängen Fotos, Bilder von Landschaften in verschnörkelten, goldenen Rahmen und Postkarten. Auf einer der Karten steht „Wann hast du entschieden, hetero zu sein?“. Und dann sind da noch Gegenstände, von denen niemand so richtig weiß, warum sie da sind. Neben dem gut gefüllten Getränkekühlschrank steht ein Plüschhund in Originalgröße, der mir später noch einige Probleme bereiten wird.

01:40 │ Der Hunger setzt ein. Die Mutter von Hostel-Inhaber Paul backt regelmäßig Cookies, die für zwei Euro an die Gäste verkauft werden. Ein knuspriger Keks mit weichen Schokoladenstückchen, ein Geschmackserlebnis, das in sich ein Gefühl von Heimat zu vermitteln scheint. Ich fühle mich ein bisschen wie bei meiner Oma. Es ist wenig los, die Gruppe raucht Gras auf der Terrasse und Gareth füllt die Bar neu auf. Hmood, einer aus der Gruppe, bietet uns Gin an und quatscht mit Gareth übers Berghain und Fußball. Sie wollen jetzt langsam gehen. Hmood ist sein Spitzname, erklärt er mir. Er ist aus Syrien und lebt jetzt in Berlin. Wir wünschen Rosa nochmal alles Gute zum Geburtstag und Hmood verabschiedet sich mit den Worten: „Wir sehen uns dann am Sonntagnachmittag im Berghain.“

Eine Runde Tischkicker gegen die Langeweile

02:30 │ Nach dem Bier wird es Zeit für Kaffee. Während das Pulver langsam durch den Filter fließt, klingelt es unten an der Eingangstür. Zwei junge Männer aus Griechenland schleppen sich die Stufen bis zur Rezeption hoch und checken ein. Sie sehen müde aus und etwas verloren. Zeit für einen kurzen Plausch haben sie nicht. Sie bringen schnell ihre Koffer in den Schlafsaal und verschwinden dann auf der Suche nach etwas Essbarem. Der Gemeinschaftsraum hat sich geleert, es wird Zeit für ruhigere Musik. Nach Freddy K läuft nun Perfume Genius.

03:05 │ Die Zeit vergeht, ohne sich wirklich bemerkbar zu machen. Ob das zum “Sich-Zuhause-Fühlen” dazugehört? Wir setzen uns auf die Couch, trinken Kaffee und reden über Musik und Gareths Job. Der Kaffee ist zu heiß und brennt in meinem Hals. Ich bin relativ überrascht, dass ich gar keine Müdigkeit verspüre. Gareth erzählt mir, dass er nur ein einziges Mal bei einer Nachtschicht eingeschlafen sei. In der Zwischenzeit haben Leute ausgecheckt und ihn nicht geweckt. Das schlechte Gewissen, weil die beiden ihre Kaution nicht zurückbekommen haben, ist heute noch in seiner Stimme zu hören.

04:50 │ Gareths Job ist echt entspannt, obwohl ich mir vorstellen kann, dass es nachts alleine ganz schön langweilig werden kann. Damit wir der Langeweile nicht verfallen, stellen wir Gareths Fahrrad zur Seite und spielen eine Runde Tischkicker. Der Kampf um den kleinen Ball wird nur einmal durch Stefanie unterbrochen, die auschecken will, um zurück nach Madrid zu fliegen. Zwischendurch vergesse ich, dass Gareth gerade bei der Arbeit ist. Wir funktionieren mittlerweile beide etwas langsamer, was das Kickerspielen zur Herausforderung werden lässt.

05:25 │ Die Zeit vergeht, ohne dass wir so richtig merken, was wir gemacht haben. Am frühen Morgen kommen Vasco und Guillermo mit jeweils einem Kebab in der Hand vom Feiern zurück. Vasco hat Soße in seinem dichten Bart. Ich würde ihn so gerne darauf hinweisen. Wir diskutieren über Sonnenaufgänge und Heimweh. Und über Lissabon, wo die beiden herkommen. Guillermo fliegt in ein paar Tagen zurück in die Heimat, erzählt er, weil er wieder zur Arbeit muss. Er ist Neurologe. Vasco möchte sich lieber in Europa durchschlagen. Wo es hingehen soll, weiß er nicht, Prag wahrscheinlich.

Früh um 8 Uhr geht’s dann erstmal feiern

05:55 │ Kurz vor sechs geht die Sonne auf. Im Hintergrund singt Perfume Genius bestimmt schon zum dritten Mal „I see the sun go down// I see the sun come up// I see a light beyond the frame”. Es riecht wieder nach Kaffee. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich schon oder noch wach bin. Seltsam, wenn die Zeit vergeht, ohne dass man sie wahrnimmt. Sie scheint einfach wie Sand durch die Finger zu rinnen.

06:30 │ Vasco und Guillermo verabschieden sich. Sie gehen schlafen, während andere Hostelgäste aufwachen. Schon fertig angezogen kommt eine Frau gezielt auf die Couch zu. Sie trägt raspelkurze, blonde Haare und eine schwarze Jacke, der Schal ist grau mit etwas Glitzer, das passt nicht zu ihr. Sie lässt sich auf das weiche, durchgesessene Polster fallen und ehe ich mich versehe, verwickelt sie mich in ein Gespräch über Spiritualität und schwarze Magie. Ich nicke höflich und schaffe es nicht, mich zu befreien. Da ist er also, dieser eine typische Hostel-Moment. Gespräche, die man eigentlich nicht führen will, aber in die man immer wieder hineinschlittert. Mit der Ausrede, aufs Klo zu müssen, reiße ich mich los.

07:45 │ Die letzten 15 Minuten sind die längsten. Wir warten auf Patrick, der ebenfalls Ire ist und nun den St. Patricks Day bei der Arbeit verbringen muss. Das scheint ihm aber nichts auszumachen. Mein Blick fällt neben den Kühlschrank. Obwohl ich mir einbilde, nicht müde zu sein, spielt mir mein Gehirn seltsame Streiche. Der Plüschhund scheint auf einmal aus Fleisch und Blut. Ich drehe mich ein paar Mal hintereinander erschrocken um, so als wäre mein Gehirn zu dem einer Eintagsfliege mutiert. Gareth erzählt Patrick, wer in der Nacht eingecheckt hat und wir verabschieden uns. Jetzt geht es für ihn erstmal ins About Blank, wo seine Freunde schon seit einigen Stunden feiern und ihm regelmäßig Nachrichten schicken. Was er sonst in seinem Leben machen will? So genau weiß er das noch nicht. Ein bisschen Heimweh nach den irischen Weiden klingt in seinen Erzählungen schon heraus. Vielleicht will er mal ein eigenes Hostel für Surfer an der Westküste Irlands aufmachen, das könnte er sich als Option gut vorstellen. Gareth packt sich sein Fahrrad und trägt es die Stufen hinunter. Als er über den Kotti davonradelt, erinnere ich mich an einen Satz, den er in der Nacht zwischen Bier und Kickerpartie gesagt hat: „Das werde ich entscheiden, wenn ich erwachsen werde. Wenn ich das jemals sein werde.”

FacebooktwitterFacebooktwitter
Kategorie: Gesellschaft

Monica Camposeo

Monica Camposeo ist eine Grenzgängerin zwischen den Welten: In Luxemburg geboren und aufgewachsen - dazu kommen italienische Wurzeln. Das ist das perfekte Rüstzeug für’s Studium in einer der buntesten Städte Europas, dachte sich Monica, und landete in Berlin. Hier findet sie die Stoffe, über die sie so gerne berichtet: Interessante Menschen in vielfältigen Kulturen. Ein bisschen so, wie sie selbst.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert