Was bei Marcel Proust die Madeleine ist, ist bei mir das Frühstücksei. Ein gekochtes Ei, in das ich einen Streifen warmes Toastbrot mit Butter tauche, löst in mir beim Berühren der Lippen eine Vielzahl an Erinnerungen aus: In meiner Kindheit wartete an Sonntagen das perfekt gekochte Ei mit wachsweichem Gelb und hartem Weiß auf dem Frühstückstisch auf mich. Ich erwachte mit der Vorfreude auf das Ei. Meine Eltern saßen bereits am Tisch und lasen die Zeitung, wenn ich ins Esszimmer kam und mich immer an denselben Platz setzte. Ich klopfte dem Ei mit dem Löffel auf die Haube, bis es Risse bekam, und nahm die Schale behutsam ab. Bis heute läuft mir bei dem Geräusch, wenn jemand das Ei stattdessen mit dem Messer köpft, ein kalter Schauer über den Rücken. Dann schnitt ich ein geröstetes und mit Butter bestrichenes Toastbrot in vier Streifen (ich nannte diese „Zebrastreifen“), die ich in das Eigelb tauchte: Ein Geschmack und ein Gefühl, für mich unvergleichlich, das knusprige, buttrige Brot mit der warmen, weichen Konsistenz des Eigelbs. Die leere Eihülle drehte ich jeden Sonntag aufs Neue um und stellte sie im Eierbecher meinem Vater vor den Teller. Er, der den Trick längst kannte, spielte geduldig jedes Mal mit, klopfte auf das Ei und tat verwundert und enttäuscht, sobald sich herausstellte, dass es leer war, während ich mir heimlich ins Fäustchen lachte.