Gesellschaft
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Wenn Gott gewollt hätte…

Mehr denn je wird man beim Konsum von Zucker, Weizen und Tierprodukten vom schlechten Gewissen begleitet. Eine Glosse

Seit einiger Zeit ist die Ernährung zur Ersatzreligion und die These „Du bist, was Du isst“ zur zentralen Botschaft geworden. Alle Welt strebt nach Askese, die früher als zwanghaft und spaßbefreit gegolten hätte. Heute wird ein Mensch, der schon einmal gefastet hat, wie der Messias höchstpersönlich bewundert. Denn man selbst ist randvoll mit schlechtem Gewissen, weil man immer noch Zucker, Weizen und Tierprodukte hinunterschlingt, dass „ich habe es auch geschafft“ wie das süßeste Heilsversprechen klingt. Wer will schon dahinsiechen in einer Adipositas-Hölle, von deren Wänden Ketchup und Coca Cola triefen und deren Boden mit Bifi-Roll-Verpackungen und Cheeseburger-Papieren übersät ist? Gott bewahre, niemand!

Und morgen, ja morgen, nach der letzten Currywurst-Pommes und dem letzten Mc-Sunday mit Schokosauce werden all die sündigen Gerichte zum Teufel gejagt. Dann gibt es nur noch Gemüsesticks und Sojaquark, später Brühe und Saft und zum Schluss Luft und Liebe, sodass man engelsgleich gen Himmel schweben kann. Es ist ein göttliches Gefühl, endlich zum Kreis der Erleuchteten zu gehören und über knackige Äpfel und verpackte Buchweizenflocken zu streicheln. Das Sakrament: Nur noch Unverarbeitetes kommt auf den Tisch. Also Pfoten weg von Geschmacksverstärkern und damit auch von Restaurantbesuchen mit Freunden.

Wäre die Versuchung nur nicht so teuflisch groß

Macht nichts, für die hat man sowieso keine Zeit mehr. Der Tag ist mehr als ausgefüllt mit Wallfahrten zu Lebensmitteltempeln und dem bibelgleichen Studium der Zutatenlisten. Das Leben fühlt sich gut an, sehr gut, sehr, sehr gut, es ist nie besser gewesen, denkt man, während man einen Löffel Trockenfutter genießt, das wie die köstlichste Oblate am Gaumen klebt. Bei einem Schluck kristallklarem Wasser zum Herunterspülen gerät man ins Träumen: von einem herrlichen Bad in einem Bergsee, unter einem glitzern die Hildegard-von-Bingen-Steine in den schönsten Farben.

Doch Hilfe! Auf einmal geht man unter, taucht wieder auf, geht unter, hustet Flocken aus… Wie ein Geschenk des Himmels fällt plötzlich ein riesiger mit Zuckerperlen besetzter Donut herab. In letzter Sekunde kann man sich daran festbeißen und ist gerettet. Und als man nach der Offenbarung zu sich kommt, weiß man: Wenn Gott gewollt hätte, dass der Mensch auf Kuchen verzichtet, hätte er ihm keine Dunkin’-Donut-Filialen geschenkt.

Foto: Anna Fastabend

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