Gesellschaft, Raum
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Wir wollen raus aufs Land!

Eine Kuh läuft über das Grasufer der Havel.
[cow, running] von [Sascha Kohlmann] unter [CC BY-SA 2.0]

Anne und Nico haben ein sanierungsbedürftiges Haus gekauft, das sie Schritt für Schritt renovieren. Sie waren Städter und wohnen jetzt auf dem Dorf. Warum tun sie das? Ein Kurzbesuch in Phöben

Dieser und andere Beiträge erschienen als Kurztexte in der taz im Rahmen des Mentorenprojekts „Printjournalismus“.

Wenn Anne Käding jetzt morgens mit dem Auto zur Arbeit fährt, dann schaut sie auf den großen rot-bläulichen Himmel, an dem die Sonne noch nicht aufgegangen ist. Ihr Blick streift durch die Windschutzscheibe über die Havel und die langen Pappeln des am anderen Ufer gelegenen Ortes Töplitz. Anne ist zufrieden.

Früher begann ein gewöhnlicher Morgen bei ihr noch so: Anne trat hastig vor die Tür, brachte eilig die Kinder in den Kindergarten – aber Achtung: „Nicht in Hundescheiße treten!“ – hetzte zur Tram und schwupp: Bahn verpasst …
Diese Zeiten sind vorbei. Anne Käding (40) ist mit ihrem Mann Nico (37) und den beiden Kindern Carlotta (5) und Frederik (3) aufs Land gezogen. Weg vom Berliner Stadtteil Weißensee, weg von den hippen Cafés und dem Späti um die Ecke, weg vom Kino und Theater. Jetzt sitzen beide am Frühstückstisch der soeben fertig gewordenen Wohnküche und erzählen ihre Stadtflucht-Geschichte.

„Ich hatte einfach das Bedürfnis mal wieder rauszugehen und richtige Luft zu spüren“, sagt Anne, die in Berlin in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen arbeitet. Die Luft in Phöben ist wahrlich eine andere als die in Berlin. Berlin – die Metropole, in der so viele Menschen leben, man sich aber nie wirklich kennenlernt, die immer pulsiert und dabei doch nie zur Ruhe kommt. „Das ist so ein Gefühl, das ich an mir beobachte, hier auf dem Dorf wieder Zeit zu haben und das hatte ich in der Stadt nicht mehr“, sagt sie und stellt die Kaffeetasse ab.

Sind nicht nur wegen der frischen Luft hier: Anne und Nico verwirklichen sich mit Frederik und Carlotta ihren Traum vom Landleben. | Foto: Jonas Kühlberg

Großstädte prosperieren zu urbanen Metropolen und das Land wird zum neuen Sehnsuchtsort

Vielleicht dachten sich etwas Ähnliches auch der Fernsehmoderator Max Moor und seine Ehefrau Sonja als sie auf einen Bauernhof mit Pferd, Eseln, Rindern, Enten und Co. zogen, oder die Schriftstellerin Juli Zeh, die sich von ihrer Heimatstadt Leipzig lossagte und im schönen Havelland landete. Überhaupt scheint sich eine kleine Gegenbewegung gebildet zu haben. Während die einen – meist jung und ledig – vom Dorf in die Metropolen flüchten, ziehen immer mehr Familien raus aufs Land und kehren den Großstädten den Rücken. Allenthalben werden fleißig Beete bepflanzt, zu Hause in der Küche wird Marmelade eingeweckt und das Wohnzimmer mit Trockensträußen drapiert. Es scheint, als würden Großstädte wie Berlin immer mehr zu Globalen Dörfern und das Land drumherum zu einem neuen Sehnsuchtsort.

Medial wird die neue Sehnsucht der Mittdreißiger vom Leben auf dem Lande gerne rezipiert. Zeitschriften mit verheißungsvollen Namen wie „Landlust“, „Liebes Land“ oder „Landspiegel“ erfreuen sich seit Jahren großer Beliebtheit und lassen mit ihren Verkaufserfolgen die Herzen alter Printverleger höher schlagen. Im „Dritten“ treffen sich die „Landfrauen“ und kochen gemeinsam köstliche „Landmenüs“ (hier, hier und hier) – zur Freude öffentlich-rechtlicher Programmmacher über einen Reichweitenerfolg. Und auch Neu-Havelländerin Juli Zeh traf mit ihrem Roman „Unterleuten“ offenbar den Zeitgeist. Das Buch wurde auf Anhieb ein Bestseller.

“Wir wollten halt nicht das Einfamilienhaus im Neubaugebiet”

Der Sehnsuchtsort der Kädings ist Phöben, ein 750-Seelen-Dorf in der Nähe von Werder, gelegen im Berliner Speckgürtel. Im Sommer schauen hier Ausflugstouristen mit ihrem Fahrrad aus Berlin und Potsdam vorbei und baden an der kleinen Bootsanlegestelle in der Havel.
„Wir suchen schon seit vier, fünf Jahren. Mal mehr, mal weniger intensiv“, sagt Nico. Doch nie war das Richtige dabei. „Wir wollten halt nicht das Reihenhaus und auch nicht das Einfamilienhaus im Neubaugebiet“, ergänzt Anne. Vor einigen Monaten schaute sich Nico dann ein 350 Quadratmeter großes Grundstück in Phöben an. Darauf befindet sich ein Haus aus dem späten 19. Jahrhundert, ein weiterer Hausteil wurde um 1925 angebaut. Gegenüber vom Hof liegt noch eine kleine Scheune, in der früher das Vieh untergebracht war. Bis zur Havel sind es keine hundert Meter.

Der Haken: Das Grundstück ist in einem komplett sanierungsbedürftigen Zustand, Plumpsklo inklusive. „Hier sah es anfangs aus wie nach archäologischen Ausgrabungen“, lacht Nico und deutet auf den Boden, auf dem beide gerade sitzen. Inzwischen sind neue Fenster und Türen verbaut – auch Heizung und sanitäre Einrichtungen funktionieren. Nach und nach wird es wohnlich. Doch es ist noch viel zu tun: Der erste Stock ist noch unbewohnbar und der kleine Hof gleicht bisher einer halben Baustelle. „Ich bin mir sicher, die Zeit wird kommen, da geht einem das vielleicht auf den Keks. Aber das Wichtigste war erst mal, hierher zu ziehen“, sagt Anne und schaut sich in der Wohnküche um. Beiden sei stets klar gewesen, wofür sie das hier machen, keiner denkt ans Aufgeben. „Das ist absolut positiver Stress“, pflichtet Nico bei.

Vor allem eine Gruppe zieht raus aufs Land – geht das ohne Konflikte?

Die neue Lust aufs Land beschäftigt auch Leonore Scholze-Irrlitz. Sie ist Ethnologin und erforscht an der Humboldt Universität die Anthropologie ländlicher Räume. Nach ihrer Meinung betrifft das Phänomen eine relativ homogene Gruppe. „Das sind meist jene, die eine Hochschulausbildung abgeschlossen und den Einstieg ins Berufsleben gefunden haben, also meist zwischen 30 und 40 Jahren sind“, erläutert die Wissenschaftlerin. Motive sind etwa, dass es sich als Familie auf dem Land gesünder leben lässt und die Kinder auch mal im Garten spielen können, ohne als Erwachsener direkt dahinter zu stehen.

Die Ethnologin Leonore Scholze-Irrlitz sitzt in ihrem Büro an der Berliner Humboldt Universität.

Forscht an der Berliner Humboldt Universität über Lebens- und Arbeitsräume auf dem Land: die Ethnologin Leonore Scholze-Irrlitz. | Foto: Jonas Kühlberg

Doch handelt es sich um ein neues Phänomen? „Nicht wirklich“, findet Leonore Scholze-Irrlitz. Vielmehr handelt es sich um eine Art Wiederentdeckung: Denn das Land entpuppt sich als ein Sehnsuchtsort, der eigentlich schon immer da war – spätestens seit der Industrialisierung und dem massiven Zuzug in die Städte, einschließlich beengter, ungesunder Mietsquartiere dort. „Hier ist das Land wieder als das Andere entdeckt worden – zunächst von denen, die sich das finanziell leisten konnten“, sagt sie. Betuchte Familien fuhren an die See oder raus aufs Land, in die Sommerfrische. „Auch in Paris hatten viele ihre Chalets und Wochenendhäuser außerhalb der Stadt.“

Wenn heute junge Familien als Raumpioniere wieder Leben in entlegene Dörfer bringen wollen, vergessen sie dabei etwas. Nämlich die Leute, die bereits seit mehreren Generationen auf dem Land wohnen. „Das Zuziehen kann nur gut funktionieren, wenn die Zuziehenden nicht mit der Haltung kommen: Wir sind jung, gut ausgebildet, verfügen über mehr Geld und jetzt sagen wir den Leuten auf dem Land mal, wie eigentlich ein schönes Dorf aussieht“, ist Scholze-Irrlitz überzeugt. Die Dorfbewohner lebten meist schon sehr lange dort und pflegten ein bestimmtes soziales Miteinander. Das müsse man als Zugezogene ernst nehmen und für einen sensiblen Austausch offen sein. Letztlich könnten dann beide Seiten etwas lernen.

“Auf dem Dorf kommt man viel leichter mit Menschen in Kontakt als in der Stadt”

Das mit der Integration ins Phöbener Dorfleben haben die Kädings schon ganz gut hingekriegt. „Die Kontakte, die wir hier in ein paar Monaten geschlossen haben, sind größtenteils toll“, findet Nico. Jedes Jahr gibt es in Phöben ein Feuerwehr- und ein Erntedankfest, man trifft sich beim Anglerball oder beim Singen in der Kirche. Hier und da waren sie schon mit dabei. Für die Kinder im Dorf gab es im Herbst ein gemeinsames Kürbisschnitzen und „die Großen“ trafen sich am ersten Advent zum Glühweintrinken. Das hilft beim Freundschaften-Schließen. „Unsere Erfahrung ist, dass man hier viel leichter mit den Leuten in Kontakt kommt als in Berlin“, ist Nico überzeugt. In Berlin gebe es eine große Anonymität – das sei auf dem Dorf ganz anders. „Man darf aber auch im Umkehrschluss nicht empfindlich sein, wenn einer auf den Hof läuft und neugierig ist, wie denn so die Baumaßnahmen voranschreiten.“

Aber wenn den Kädings doch einmal die Sehnsucht nach dem Kino um die Ecke packt und sich so etwas wie Einsamkeit einstellt? „Neulich haben wir uns diese Frage auch gestellt und beide herzhaft gelacht“, gibt Nico zu und schmunzelt zu Anne rüber. Einsam ist es in Phöben nie, und über zu wenig Besuch von Freunden aus Berlin könnten sich die vier auch nicht beklagen. „Freunde von uns haben sich jetzt gerade in der Nähe ein Haus angeguckt. Die haben vorher auch gesagt: Nee, wir sind Städter.“

Beitragsbild: Cow, running von Sascha Kohlmann unter [CC BY-SA 2.0]

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