Gesellschaft
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Plötzlich dieser Bulle!

Manchmal fahren die Student*innen des Studiengangs Kulturjournalismus nach Sauen, einem Gutshof der Udk mitten im grünen Brandenburg. Warum es vorkommen kann, dass sie dann plötzlich vor einem Bullen stehen, hat uns der Verwalter des Gutshofs Jörn Geffers erzählt.

Kulturschwarm: Sauen wirkt wie ein geschichtsträchtiger Ort. Können Sie uns etwas zu der Geschichte des Gutshauses erzählen?
Jörn Geffers: Das Haus, in dem wir uns befinden, ist 1767 auf bestehenden Fundamenten errichtet worden. Das ist ein typisch märkisches Gutshaus, in dem der Landadel gelebt hat. Der berühmteste Bewohner war der Berliner Chirurg August Bier, der sich dem Waldbau gewidmet hat. Er hat das heruntergewirtschaftete Gut um 1912 erworben, um den Kiefernwald hier nach philosophischen Gesichtspunkten in einen mehrstufigen Mischwald umzugestalten. 1945 ist August Bier dann mit seiner Familie geflohen. Sie wurden von einer sowjetischen Offizierin aufgegriffen – zu seinem Glück eine ehemalige Studentin von ihm. Sie sorgte dafür, dass er und seine Familie das Wohnhaus zurückbekam, die Ländereien und der Wald gingen in Volkseigentum über. 1949 ist August Bier gestorben und sein ältester Sohn hat das Vermächtnis des Vaters weitergeführt. Anfang der 1980er Jahre war das Gebäude so marode, die Leute alt und die Kinder ausgezogen, dass es verkauft werden musste.

Wie gelangte das Gebäude dann in den Besitz der Berliner Kunsthochschulen?
Ein Professor der Kunsthochschule Weißensee wurde darauf aufmerksam und es wurde ein Kaufvertrag geschlossen. Bis zur Wende wurde es mehr schlecht als recht vor dem Verfall bewahrt. Nach 1989 konnte sich die Kunsthochschule Weißensee das Gut nicht mehr leisten und wollte es verkaufen. Zum Glück ist dann der damalige Kanzler der UdK, damals noch HdK, drauf aufmerksam geworden und hat die Initiative ergriffen, das Haus für alle Berliner Kunsthochschulen zu erhalten. Die Sanierung des Gutshauses ist 1993 fertig geworden,1998 die Remise als Arbeitsraum und 2003 das Verwalterhaus, in dem sich heute Schlaf- und Arbeitsräume befinden.

Und dann gibt es noch die August-Bier-Stiftung…
Ja, die Stiftung setzt sich für den Nachlass und den Weiterbestand des Mischwaldes ein. Da muss man forstwirtschaftlich speziell zu Werke gehen, man darf nur die erntereifen Bäume entnehmen, so war eigentlich die Maxime von August Bier. Die Stiftung profitiert jetzt von dem Experiment von damals und erntet die Früchte, zum Beispiel hochwertige Hölzer.

Wer hat denn die Geweihe im Eingangsbereich geschossen?
Das wird wohl der August Bier oder einer seiner Vorfahren gewesen sein, denn wir wissen, dass die Geweihe alle zwischen 1905 und 1910 geschossen wurden. Vielleicht hingen die hier aber auch schon im Haus. Die Lampen sind auch noch von August Bier, genauso wie die großen Schränke auf zwei Etagen des Gutshauses.

Hierher kommen Designer, Musiker, Schauspieler…
Je nach Studienrichtung sind die schon unterschiedlich. Sowohl vom Aussehen und der Lautstärke als auch von der Organisation, der Struktur und dem, was am Ende ihres Aufenthalts herauskommt. Interessante Sachen bisweilen. Viele führen dann auch eine Präsentation durch, mitunter vor der Öffentlichkeit. Dann wird es im Dorf angeschlagen, und da es sich um ein kulturinteressiertes Dorf handelt, kommen auch gerne Leute vorbei und gucken, was die Studenten entwickelt haben.

Wie viele Leute wohnen denn jetzt noch dauerhaft in Sauen?
In Sauen sind das so 90 Personen. Sie haben auch den Verein Eulennest gegründet, der sich zum Ziel gesetzt hat das Dorf so schön zu erhalten.

Wie sehen die Dorfbewohner die Aliens aus Berlin? Wir stellen uns jetzt so die typischen UdK-Kunststudenten vor, die wie der Englishman in New York durch Sauen stolpern.
Na sicher, als Studenten fallen die sofort auf. Manche Sachen verstehen sie nicht, weil das in Berlin anders ist. Es kann also mal passieren, dass Studenten über die Höfe laufen, oder einer von denen die Hoftür aufmacht oder über den Zaun hopst und dann steht da der große Hund vor ihm oder der Bulle, das ist dann doch nicht so spaßig. Und der Chef von der Agrargenossen-schaft sieht das natürlich auch nicht gerne, wenn die Studenten quer über die Felder laufen. Für Sie sieht das aus wie Gras, ist aber Getreide und wird dabei zerlatscht. Das sind so Dinge, die verstehen die Berliner nicht. Die Dörfler verstehen wiederum nicht immer, was die hier überhaupt machen. Das müssen aber auch nicht alle verstehen, das ist Kunst.

Aber dann ist das Verhältnis zu den Dorfbewohnern eigentlich gut…
Ja, manchmal wird halt zu doll gefeiert oder draußen zu viel Krach gemacht. Das kriege ich dann schon mal von den Nachbarn zu hören, aber dann sage ich: „Da müsst ihr persönlich auf die Leute zugehen, ich bin ja nicht der Erziehungsberechtigte!“.

Das Gespräch führten Christopher Kammenhuber und Yannah Alfering

Foto: “Bulle im Portrait” von chrmh unter CC BY-NC-SA 2.0; Illustration: Heike Fischer

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