Gesellschaft
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Innen

Ich suche es mir nicht aus, „weg“ zu sein. Das passiert, ohne, dass ich darauf Einfluss nehmen kann. Es ist ein Überbleibsel aus der Zeit, die neun Jahre zurück liegt. Eine Lösung, dass es nicht passiert, habe ich nicht. Weg – das heißt mal Depression, mal Rückzug vom sozialen Leben. Weg ist dann auch die Konzentration auf das, was im Alltag dran wäre.

Dieser und andere Beiträge erschienen als Kurztexte in der taz im Rahmen des Mentorenprojekts „Printjournalismus“.

Weg von Emotionen: Für den Job, den ich damals gemacht habe, war es nötig zu funktionieren. Funktionieren, wo andere längst weg sind oder weg sein wollen. Dabei Lebensgefahr zu ertragen, gehörte zum Job. Erst Jahre später bahnt sich all das den Weg an die Oberfläche. Wenn ich nicht mehr steuern kann, was auf mich einprasselt. Wenn autoritäre Chefs ihre Interessen durchsetzen und ich Entscheidungen folgen soll, wie ich es damals tun musste. Meine Wahrnehmung ist voll da. Mein Kopf weiß, dass das nicht mehr Afghanistan ist. Mein Körper aber reagiert mit Stress. Statt konzentriert und kreativ zu arbeiten, hängen die Gedanken schnell wieder an dem Geschehen von damals.

Mehr als zehn Jahre lang hatte ich keinen Grund, an dem zu zweifeln, was die Bundeswehr in Auslandseinsätzen tut. Doch dann reichten die Erlebnisse einiger Stunden aus, meine Sicht zu verändern. Die Möglichkeit zu desertieren fehlte mir. Meine Zeit in Uniform endete wenige Tage nach diesem Erlebnis. Mich journalistisch damit zu befassen hilft. Ich verfolge Themen rund um die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Ich äußere mich kritisch zur Aufrüstung mit Drohnen und zur Abschiebepolitik der Bundesregierung, wenn Afghanistan wieder einmal angeblich genug Sicherheit bieten soll, um Menschen dorthin zurückzuschicken.

Therapiewege

Weg – das wird auch immer dann zu einem Problem, wenn ich mich sehr intensiv mit der Zeit in Afghanistan befassen muss. Seit Dezember nehme ich an einer Studie teil, die das Psychotraumazentrum der Bundeswehr mit zivilen Psychologen der Freien Universität Berlin durchführt. Im Rahmen einer Online-Schreibtherapie arbeite ich belastende Aspekte der Einsatzzeiten auf. Ich muss dazu weder in eine Praxis noch in das Bundeswehrkrankenhaus, sondern kann die Schreibaufgaben von zu Hause aus erledigen.

Ich erhalte pro Woche bis zu zwei Schreibaufgaben, die rund 45 Minuten in Anspruch nehmen sollen. Das ist der Plan. Doch es kommt vor, dass ich mitunter zwei Stunden damit verbringe, bis geschrieben ist, was geschrieben werden muss, ohne, dass ich dabei die Zeit bemerke. Zu jeder dieser Schreibaufgaben erhalte ich Rückmeldungen der Psychologin.
Expressives Schreiben eignet sich gut für den Umgang mit traumatisierenden Ereignissen. Der Psychologe James W. Pennebaker erforschte die Wirkung des Tagebuchschreibens und auch der direkten Konfrontation mit traumatischen Erlebnissen. Durch das wiederholte Schreiben über das belastende Erlebnis irren die Gedankenfetzen nicht mehr durch das Gedächtnis der betroffenen Person, sondern sind in die entstandenen Texte gebannt. Betroffene haben wieder Raum, sich anderen Dingen im Leben zuzuwenden.

Umgang mit Stress

Stress lässt sich auch objektiv messen. Der Cortisolwert, der über Haar, Blut und Speichelproben ermittelt werden kann, sagt etwas über kurz-, mittel,- und langfristig erfahrenen Stress aus. Auch andere Hormonwerte werden zur Stressbestimmung herangezogen. Während ich schreibe, trage ich einen Brustgurt, den auch viele Freizeitsportler kennen. Die Herzfrequenz wird gemessen. Über den Verlauf der Studie gebe ich auch regelmäßig Speichelproben ab. Die Ärzte prüfen, wie sich die Hormonwerte im Speichel verändern, die Rückschlüsse auf das Stresserleben zulassen. Zu Beginn der Studie wurden auch Blutwerte erfasst und eine Hirnstrommessung im Schlaf (Schlaf-EEG) vorgenommen.

Alltag

Es ist belastend, wenn sich in meinen Alltag immer wieder Erinnerungen aus der Einsatzzeit drängen. Während der Phase der Schreibtherapie geschieht das zwar zu absehbaren Zeitpunkten, ist aber nicht weniger belastend. Auch das Lesen der Rückmeldungen kostet Kraft, die erst einmal im Alltag fehlt. Damit der Stress nicht Überhand gewinnt, muss ich gegensteuern. Ein Mittel dazu sind im Moment lange Spaziergänge im Tageslicht. Lichtmangel kann dazu führen, dass dem Körper Vitamin D fehlt und das begünstigt Depressionen. Insbesondere in der Winterzeit, wenn die Arbeitstage im Dunkeln beginnen und im Dunkeln enden, fehlt Tageslicht. Der Körper schüttet das schlaffördernde Hormon Melatonin aus.

Ich versuche, pro Tag mindestens zwei Stunden Aufenthalt im Tageslicht hinzubekommen. Tageslicht hat selbst an einem trüben Wintertag eine Stärke von ca. 2.500 Lux. Innenräume bringen es oft nur auf 500 bis 600 Lux. Klappt das nicht, muss eine Tageslichtlampe mit 10.000 Lux für Abhilfe sorgen. Der hohe Blauanteil im Licht der Therapielampe fördert die Ausschüttung von Botenstoffen, wie dem Glückshormon Serotonin. In skandinavischen Ländern, in denen es im Winter noch weniger Tageslicht gibt, sind die positiven Effekt dieser Lichtdusche längst bekannt. In Licht-Cafés können Besucher ausgleichen, was ihnen im Alltag an natürlichem Licht fehlt.

Erste Studien belegen, dass mit einer Therapielampe ähnliche Effekte erzielt werden können wie bei einer Behandlung mit Medikamenten. Dies betrifft nicht nur die saisonale Depression, oft auch Winterdepression genannt, sondern auch andere Arten von depressiven Erkrankungen. Eine Gruppe von Probanden wurde mit Antidepressiva, wirkungsvollem Licht, wirkungslosem Licht und Placebo-Medikamenten behandelt. Die Studie belegte die Wirksamkeit der Tageslichtlampen, gilt aber aufgrund der Anzahl der Teilnehmer nicht als repräsentativ. Krankenkassen zahlen daher weiterhin teure medikamentöse Behandlungen, nicht aber Therapielampen, die im Bereich von 100 bis 200 Euro liegen. Inwieweit eine Lichttherapie dem Patienten hilft, ist momentan nur im Selbstversuch in Erfahrung zu bringen. Mir hilft sie.

Ernährung und Schlaf

Unter großem Stress, wenn die Erinnerungen an die Einsatzzeit überhand gewinnen, fehlt mir mitunter das Hungergefühl und ich muss mich aktiv daran erinnern, regelmäßig zu essen. Ein weiteres Risiko sind Suchterkrankungen, die bei traumatisierten Menschen häufig vorkommen. Ich vermeide während der Therapie Alkohol, wenn nach den Schreibsitzungen oder beim Lesen der Rückmeldungen die Erinnerungen an die Einsatzzeiten wieder präsent sind. Lange Zeit hatte ich keinerlei Erinnerung daran, was ich nachts träumte. Ich wachte am Morgen auf und war nicht erholt, ohne wirklich zu wissen, warum. Mittlerweile kann ich mich an einzelne Träume wieder erinnern. In Stressphasen sind die Träume sehr oft mit Einsatzerinnerungen und Bundeswehrszenarien verknüpft. Ich werte das als Indiz dafür dass ich in irgendeiner Weise die Erlebnisse von damals verarbeite.

Konzentration

Mal mehr, mal weniger depressiv, mal in Gedanken wieder sehr nah am Einsatzgeschehen – all das macht die Gestaltung eines normalen Alltags und die Planung von Aufgaben im Studium sehr schwierig. Einzelne Tage frei von Therapiesitzungen zu halten ist planbar. Doch wenn die Erinnerungen wieder überhand gewinnen, dann heißt das umplanen, Kursleistungen später oder gar nicht abgeben. Auch Artikel über andere Themen gelingen in solchen Zeiten nicht immer. Daher nun dieser Text. Und auch um zu sagen: Ich bin noch da.

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Kategorie: Gesellschaft

Daniel Lücking

IT-begeisterter Onlinejournalist. 10 Jahre Bundeswehr und Auslandseinsätze in mehreren Ländern haben meinen Blick auf die Themen Politik, Krieg und Frieden geprägt und mich zu einem scharfen Kritiker gemacht. Lieblingszitat: “Denn wir sind Neinsager. Aber wir sagen nicht nein aus Verzweiflung. Unser Nein ist Protest.” Wolfgang Borchert, Draußen vor der Tür

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