Gesellschaft
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Versuch über die Freiheit

Das Gefühl, immer präsent sein zu müssen, erzeugt bei vielen Journalisten einen Zustand der Überforderung. Schuld daran sind häufig wir selbst: Obwohl das Informationsangebot immens ist, erheben wir an uns den Anspruch, stets über alles Bescheid zu wissen. Dabei bleibt auf der Strecke, was den Beruf der Journalistin und des Journalisten ausmacht und wir heute mehr denn je brauchen: Die Zeit, Informationen zu prüfen und abzuwägen.

Dieser und andere Beiträge erschienen als Kurztexte in der taz im Rahmen des Mentorenprojekts „Printjournalismus“.

Von Zeit zu Zeit erscheint uns die Welt überwältigend groß und gleichzeitig unerträglich klein. Dabei steht sie uns offen wie kaum jemandem, wir können alles sein, haben und wissen: Wir, das ist die vergleichsweise wohlhabendste, am besten ausgebildete und, was Frieden anbelangt, verwöhnteste Generation überhaupt. Wir besitzen nach westlichen Standards maximale Freiheit.

Andererseits besteht unsere Welt gefühlt nur aus Baustellen: Wachsende soziale Ungleichheit innerhalb der Gesellschaft, besorgniserregende Drohgebärden politischer Machthaber, Extremismus an diversen Fronten, das Schwinden natürlicher Ressourcen und undurchsichtige globale Abhängigkeiten. Gesteigert wird dieses Phänomen durch die Bilder eines nie ruhenden medialen Apparates, der zwar aufklärt, aber auch diffuse Angst und Überforderungsgefühle schafft. Mittlerweile hat es sich als Normalzustand etabliert, dass unser Hirn permanent mit Inhalten egal welcher Natur befeuert wird. Ständig verfügbar, fühlen wir uns regelrecht durchdrungen von den Nachrichten, den Bildern von Vorgängen im noch so entlegensten Winkel der Welt: 24 Stunden am Tag. Sie sind uns dadurch sehr nahe gerückt. Auch wenn es den Einzelnen geografisch nicht unmittelbar betrifft: Das Gefühl der Überwältigung durch die Übermacht an Katastrophalem in der Welt ist uns sehr vertraut.

Wir treiben eine Medienmaschinerie mit an, unter der wir letztlich selbst leiden

Doch es wäre zu kurz gegriffen, dem Internet allein die Schuld an unserer Verunsicherung zuzuschieben. Letztlich ist unsere Unfähigkeit, einfach mal abzuschalten, dafür verantwortlich. Wir verlernen, uns ohne schlechtes Gewissen dem permanenten Zugriff der Welt auf unseren Geist zu entziehen. Es fehlt die Souveränität, nicht immer alles wissen zu müssen, nicht augenblicklich zu allem Stellung zu beziehen. Wir haben das ständige Up to date-Sein zum höchsten Gut erhoben. Problematisch daran ist, dass unsere Fähigkeit mit diesem Modus der ständigen mentalen Verfügbarkeit umzugehen nicht proportional zu den Anforderungen wächst, die er an uns stellt.

Journalistinnen spüren dies besonders stark. Wir sollen konstant neue, aufschlussreiche Inhalte liefern und über alles informiert sein. Was wir uns nur ungern eingestehen: In manchen Situationen haben auch wir nichts Neues beizutragen. Dennoch kommunizieren wir auf allen verfügbaren Kanälen, weil wir den Stillstand fürchten. Damit bedienen wir die Strukturen dieser Medienmaschinerie, treiben sie mit an. Und leiden dann selbst darunter.

Von deren Schattenseite wollten wir lange nichts wissen. Dass wir permanent von Algorithmen globaler Unternehmen kategorisiert und unsere Profile verkauft werden, ist noch das geringste Problem. Viel schlimmer ist, dass die Art und Weise, wie Informationen – beispielsweise via Sozialer Medien – verbreitet werden, unverhältnismäßig undifferenziert, polemisch und teilweise hysterisch geworden ist. Als Folge verengt sich unsere Sicht auf die Dinge und wir halten auch unsere direkte Umwelt für bedrohlicher als sie tatsächlich ist. Anstatt Nachrichten realistisch und nach Relevanz einzuordnen, reagieren wir auf alles gleichzeitig und verhalten uns dabei pauschal und vor allem emotional.

Ändern wird dieses Bad-News-Bombardement niemand, der davon profitiert. Kommerzielle Plattformen wie Facebook und Twitter haben ein Interesse daran, in der virtuellen Öffentlichkeit beständig Aufmerksamkeit zu erregen. Damit ziehen sie Menschen an, welche diese Öffentlichkeit wiederum zur Stimmungsmache missbrauchen.

Doch was tun? Sich zurückzuziehen würde bedeuten, das Feld den nach Aufmerksamkeit Heischenden zu überlassen. Angesichts der polemischen Debatte der letzten Monate ist das keine Option. Aber wir müssen ein anderes Verhältnis zu dem Informationsüberfluss etablieren. Wir sind nicht die Rezipienten, sondern die Produzenten, und als solche haben wir Macht. Und wir sollten deutlich dem Vorwurf widersprechen, wir würden ein unvollständiges Weltbild repräsentieren, wenn wir Informationen filtern und einordnen. Das ist unser Job und wir haben das Recht, nur das in die Öffentlichkeit zu entlassen, was uns richtig und wichtig erscheint. Verweigern wir uns bewusst jedem medialen Einfluss, der uns zynisch und unsachlich werden lässt. Und sollte es nötig sein, nehmen wir uns hin und wieder die Freiheit zu sagen:
Sorry, ich bin mal kurz weg.

Foto: ein roter Luftballon von Robert Couse-Baker unter CC BY 2.0

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