Gesellschaft
Schreibe einen Kommentar

Abschied vom Kanzler

Foto: Matthias Heide

Wolfgang Abramowski kann die Sprache des anderen sprechen. Dadurch hat er viele verschiedene Menschen, Institutionen und Fachbereiche zusammengeführt, zuletzt als Kanzler der Universität der Künste Berlin. Ein Porträt anlässlich seiner feierlichen Verabschiedung in den Ruhestand.

1981 an der Hochschule der Künste Berlin. Ein junger, flotter Mann mit lockigen Haaren betritt das Sekretariat und stellt sich selbstbewusst als der neue Persönliche Referent des Präsidenten vor. Die Chefsekretärin Adelgunde Franz und ihre Kollegin werfen sich einen Blick zu und schütteln nur den Kopf. „Unser Urteil haben wir aber schnell revidiert“, sagt Franz heute.

Für Ulrich Roloff-Momin, den damaligen Präsidenten der HdK, kam er genau zur richtigen Zeit.„Anfeindungen von außen und innen waren an der Tagesordnung“, erzählt er. „Ich musste die HdK konsolidieren. Dazu brauchte ich einen absolut verlässlichen und notfalls verschwiegenen Menschen an meiner Seite.“ Abramowski ist – wie Roloff-Momin – ein Linksliberaler, Diplom Politologe und im Hochschulverband aktiv gewesen. „Sein Auftreten war unkompliziert, er kam nicht in Schlips und Kragen daher“, beschreibt Roloff-Momin den damals 30-Jährigen. „Er war ungeheuer locker, fast ein wenig zu sehr.“

Umbau der eigenen Identität

Inzwischen trägt Abramowski Hemd und Krawatte und ist Kanzler der Universität der Künste Berlin. Ende Mai geht der 66-Jährige in den Ruhestand. Er hat ein freundliches Gesicht und wirkt gelassen. „Das bedeutet eine Zäsur“, sagt er. „Das Umfeld ändert sich. Es findet ein kleiner Umbau der eigenen Identität statt. Das kann Krisen auslösen, aber solche, die man gut überstehen kann.“

Etwas Spitzbübisches hat Abramowski mit seinem Schnauzbart, wie er sich grinsend in seinem Stuhl zurücklehnt. Sein Büro befindet sich im Gebäude am Einsteinufer, schräg gegenüber dem des derzeitigen Präsidenten Martin Rennert. An dessen Seite war Abramowski zehn Jahre lang der Chef der Verwaltung. Bis zuletzt arbeitet er viel, es ist schwer, einen Termin mit ihm zu bekommen. „Es gibt keinen Stillstand der Rechtspflege“, sagt er und lacht. Noch 20 Tage ist er im Amt.

Konzepte für den Frieden

Als Kind wollte Abramowski Schauspieler oder Musiker werden. Der gebürtige Kieler hat die Schulzeit im Ruhrgebiet verbracht. Richtig geschauspielert hat er nie, zur Musik fand er schließlich doch noch. Auf einer Chinareise im Jahr 1986, da war er 35 Jahre alt, kaufte er seine erste Klarinette und brachte sich das Spielen selbst bei. Aber zunächst Studium in Marburg und Berlin, Sozialkunde und Geographie auf Lehramt, dann Politologie mit Abschluss Diplom. Besonders interessierten den Studenten Konzepte für den Frieden. In seiner Abschlussarbeit beschäftigte er sich mit der Regionalpolitik der Europäischen Gemeinschaft – ein Thema, das nach wie vor aktuell ist. Seine Erkenntnis damals: „Wir brauchen Gnade und Demut, um friedlich miteinander auszukommen.“

Als 1991 Roloff-Momin zum Senator für Kulturelle Angelegenheiten ernannt wurde, folgten ihm Wolfgang Abramowski und Adelgunde Franz. Beide blieben in ihren Rollen wie an der Hochschule: Abramowski leitete das Büro von Roloff-Momin, Franz war dessen Chefsekretärin. Gemeinsam ein unschlagbares Team. Roloff-Momin sagt heute: „Ohne Wolfgang und Adi wäre ich als Senator gescheitert.“

Hammerhart in der Durchsetzung

Abramowski, den viele damals nur „Abra“ nannten, setzte sich vor allem dafür ein, dass die kulturelle Vielfalt Berlins nach der Wende erhalten blieb. Manche kritisierten, es gäbe zu viele Opernhäuser in der Stadt. Abramowski empfand dies hingegen als Reichtum: „Ich habe absolut nicht eingesehen, warum vieles verschwinden soll.“ Das Schillertheater musste trotzdem schließen. „Während andere abtauchten“, so Roloff-Momin, „half Wolfgang mit, die Situation durchzustehen.“ Dessen Verhandlungsstrategie beschreibt er als „freundlich, geschmeidig und dabei hammerhart in der Durchsetzung“. Abramowski habe Ratschläge für jede Lebenslage, sagt Adelgunde Franz und bringt es auf den Punkt: „Er kann die Sprache des anderen sprechen.“

Wolfgang Abramowski ist ein Redekünstler. Virtuos passt er Satzbau und Wortwahl seinem Gegenüber und dem Gesprächsthema an. Er kann monströs komplizierte Sätze bilden, wenn es um Prozesse in der Verwaltung geht. In manchen Momenten klingt seine Sprache poetisch,
dann wieder nüchtern. Mal drückt er sich gewählt, mal flapsig aus. Besonders leidenschaftlich spricht er über die Reisen mit seiner Frau. Als sie noch ohne Kinder waren, fuhren sie beide Motorrad. Sie wanderten gemeinsam von München über die Alpen nach Venedig. Seit der Geburt ihres ersten Kindes vor 18 Jahren gehen sie regelmäßig segeln. Mit ihrem Boot waren sie nicht nur auf Berliner Gewässern unterwegs. Auch auf der Ostsee bis Schweden oder der kroatischen Adria.

Rückhalt in der Politik und Universität

Ab 1996 war Abramowski Referent in der Kulturverwaltung und übernahm dort für rund ein Jahrzehnt verschiedene leitende Ämter, bis er schließlich im Jahr 2007 zu seinen Wurzeln zurückkehrte. Martin Rennert ernannte ihn zum Kanzler der UdK. Die beiden waren sich zum ersten Mal im Jahr 1985 begegnet, als Martin Rennert zum Professor für Gitarre berufen wurde und Wolfgang Abramowski noch Persönlicher Referent an der HdK war. „Ich kenne an die tausend Leute in Berlin, aber mir ist keiner eingefallen, den ich lieber als Kanzler gehabt hätte“, so Rennert heute. Welch großen Rückhalt Abramowski an der Universität und in der Politik hat, wurde besonders nach einem tragischen Ereignis deutlich. Im Jahr 2010 verursachte Abramowski einen Verkehrsunfall, bei dem ein Motorradfahrer ums Leben kam. Niemand forderte seinen Rücktritt.

Der heutige UdK-Präsident Rennert schätzt an ‚seinem‘ Kanzler vor allem dessen kommunikative Fähigkeiten: im Umgang mit anderen, im Dialog immer themen- und sachorientiert, nie zufalls- oder sympathiegetragen. Dadurch trug Abramowski erheblich dazu bei, dass die Grenzen der verschiedenen Künste aufgebrochen werden konnten.

Offene Räume für interdisziplinäre Begegnungen

„Interdisziplinarität muss mehr als eine Addition von fachlichen Einzelaspekten sein“, so sein Credo. Es müsse eine eigenständige Qualität entstehen. Das Studium Generale, das Postgraduale Forum und die Projektwoche Kollisionen nennt Abramowski als Beispiele, wo fächerüber-greifendes Arbeiten bereits gelungen sei. Er wünscht sich allerdings noch mehr offene Räume für solche Begegnungen. „Interdisziplinarität sollte nicht nur auf Projektbasis, sondern als Grundstruktur verankert sein.“

Nun übergibt Wolfgang Abramowski die Verwaltungsaufgaben an seine Nachfolgerin Ulrike Prechtl-Fröhlich. „Man muss lernen loszulassen“, sagt er. Der Arbeit trauert er nicht nur nach, sieht stattdessen auch die Freiheiten, die sich ihm mit dem Ruhestand eröffnen: „Es ist die Chance, sich ein Stück weit neu zu erfahren.“

Klarinette, Kochen, Segeln und Familie

Er freut sich darauf, morgens in ausgeruhtem Zustand und nicht nur zum Stressausgleich Klarinette zu spielen. Genügend Zeit wird er außerdem haben, um seine Kreativität im Kochen auszuleben: Er liebt es herumzuexperimentieren, ungewöhnliche Kombinationen zu testen, zum Beispiel Grünkohl zu Fisch mit Weintrauben. Und dann endlich mehr Zeit für das Segelboot und – noch wichtiger – für die Familie haben. „Wie meine Frau mir über all die Jahre den Rücken frei gehalten hat, so möchte ich sie jetzt auch unterstützen.“

Foto: Matthias Heide; Illustration: Heike Fischer

FacebooktwitterFacebooktwitter
Kategorie: Gesellschaft

Julika Bickel

Mit acht Jahren habe ich beschlossen, Schriftstellerin zu werden, weil ich Michael Ende bewundert habe. Ein paar Jahre später habe ich festgestellt, dass die Geschichten der Wirklichkeit mindestens genauso spannend sind wie die der Fantasie. Seitdem will ich Journalistin werden. Meinen Bachelor habe ich in Philosophie und Englisch absolviert, nun studiere ich im Master Kulturjournalismus. Awesome! Mein englisches Lieblingswort. Und um noch ein wenig philosophisch zu werden: In der Kultur zeigt sich, so glaube ich, der Mensch sich selbst. Was er denkt, was er fühlt, was er ist.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert