Gesellschaft
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Erlösung durch den Hammer

60 Minuten lang kann man im “Crash Room” Möbel zerstören: eine Katharsis für 120 Euro. Unsere Autorin hat es ausprobiert.

Von der ständigen Wiederholung alltäglicher Handlungen lebensmüde geworden, haben die Mitglieder einer bürgerlichen Familie entschieden, sich umzubringen. Zuvor haben sie systematisch einen Plan ausgearbeitet. Sie haben sich von allem abgekapselt und die gesamte Existenzgrundlage ihrer Familie zerstört. Darunter die gesamten Möbel und jeden einzelnen Haushaltsgegenstand. Von dieser Vernichtung handelt der erste Kinofilm von Michael Haneke, „Der siebente Kontinent“, erschienen 1989. Die letzten 15 Minuten des Films verstreichen ganz ohne Musik, nur das Krachen der Zerstörung ist zu hören.
Damals ahnte niemand, dass in naher Zukunft die Zerstörung von Möbeln und Haushaltsgegenständen zu einer kostspieligen Freizeitaktivität werden könnte, die man sogar zum Geburtstag verschenken kann.
Doch genau so läuft es im „Crash Room“ in einem Hinterhof am Wiesenweg in Berlin-Lichtenberg. Laut Geschäftsführer Christian Block kommen etwa drei Personen in der Woche, um mal komplett aus sich heraus zu gehen. Hier kann man mit verschiedenen Werkzeugen wie Äxten, Hämmern, sogar Golf- und Baseballschlägern 60 Minuten lang die Möbel im dafür vorgesehenen Wutraum zerstören. „Bei diesem Angebot kann man eigene Musik, einen besonderen Gegenstand oder das Foto vom Ex-Freund mitbringen“, sagt Christian Block. Er braucht etwa zwei Stunden, um einen Raum wieder aufzuräumen. Die Möbel und Gegenstände – Teller, Vasen, Stühle, Fernseher – besorgt er sich bei Wohnungsauflösern.
Zerstörung macht glücklich
Was treibt die Vernichter an? Der Wut Raum geben, Dampf ablassen oder einfach nur Spaß haben? Das verraten mir Diana und Michael, die gerade lustvoll einen Raum zerlegt haben. „Ein sehr befreiendes Gefühl“ empfindet Diana, 23, Tierpflegerin. Ihr Freund Michael, 29, Sachbearbeiter, wollte sie mit diesem Erlebnis überraschen. „Hauptsächlich sind wir hier, um Wut rauszulassen, aber es macht halt auch wirklich Spaß“, sagt Diana. Michael, der nun „zufrieden, mit der Welt im Reinen und wieder fröhlich“ ist, erzählt, dass man anfangs noch sehr zaghaft zuschlägt. „Man weiß gar nicht, was man als erstes kaputt machen soll. Man zögert, aber irgendwann kommt man immer mehr rein und dann macht man es hemmungslos und laut.“ Dianas Frust hat familiäre Gründe. Ihr Opa ist gestorben. „Murphys Gesetz besagt, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen“, erklärt Michael. „Dann läuft alles Kacke und gerade in solchen Momenten im Leben passt so ein „Crash Room“ einfach genial. Manche gehen vielleicht trinken, manche prügeln sich. Hier aber gibt es eine Variante, die Wut rauszulassen, ohne dabei seine eigene Wohnung kaputtzumachen.“

 Wutobjekt Nummer 1

Danach befragt, was sie am liebsten zerstören wollten, antworten Diana und Michael gleichzeitig: „den Fernseher!“. Das kann und will ich selbst nachvollziehen. Jetzt gleich! Wenig später stehe ich also mit einem Hammer in der Hand im „Crash Room“ und habe die langersehnte Chance, mal etwas richtig zu zertrümmern. So, worauf bin ich wütend? Ach, es gibt immer einen Anlass, wütend zu sein. Um mich aufzuwärmen, werfe ich einen Teller gegen die Wand. Bäm! Dann greife ich zum Golfschläger, schleudere einen zweiten Teller hoch und zerschlage ihn noch in der Luft. Dann fällt mein Blick auf den Fernseher. Das lärmende Ding mit all seinen schlechten Nachrichten, dämlichen Serien, manipulativen Werbungen und unsympathischen Moderatoren mit ihrem aufgesetzten Lächeln. Ja, die Mattscheibe soll splittern. Ich nehme den Hammer, greife ihn fester, sammele all meine Kräfte und lasse ihn in den Bildschirm krachen.

In Hanekes Film ist der Fernseher der einzige Gegenstand im Haus, der unversehrt bleibt. In der letzten Sequenz sitzt die Familie im ruinierten Raum vor dem Fernsehgerät und vergiftet sich. Der Fernseher zeigt nichts mehr, nur weißes Rauschen.
Ich schlage wieder und wieder zu. Ob es gut tut? Oh ja!

 

Foto: Bahareh Ebrahimi
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