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Deutsche Sprache, schwere Sprache?

Eine neue Sprache zu lernen ist meistens anstrengend: Vieles ist neu und eigenartig. Man muss lange üben und viel Geduld sowie Disziplin aufbringen. Deutsch gilt als besonders schwierige Fremdsprache. Warum ist das so und was ist einzigartig an der deutschen Sprache?

Julika Bickel hat drei Personen zum Thema „Deutsch als Fremdsprache“ interviewt: Max Möller, ein Sprachwissenschaftler und Deutschlehrer für ausländische Studierende, Anna Teixidor Ribas, eine Architektin aus Katalonien und Nina Maria Branner, eine Kulturjournalistin aus Dänemark.

 

Mit Sprache die Herzen öffnen

Moeller_online

Max Möller, 39, ist Deutschlehrer für ausländische Studierende am Sprachenzentrum und Lehrbeauftragter im Masterstudiengang „Deutsch als Fremdsprache“ an der Humboldt Universität zu Berlin. Im Interview spricht er über seinen Beruf als Deutschlehrer und seine Erfahrungen in der Fremdsprache Finnisch.

Lieber Herr Möller, eine Person aus China hat andere Schwierigkeiten beim Deutschlernen als jemand aus England. Wie werden Sie den individuellen Bedürfnissen Ihrer Schüler gerecht?

Max Möller: Der ideale Deutschlehrer oder die ideale Deutschlehrerin weiß viel über andere Sprachen, um verstehen zu können, warum bestimmte Fehler vor dem Hintergrund einer bestimmten Muttersprache auftreten. Zu erwarten, dass er oder sie alle möglichen Sprachen der Welt gelernt hat oder gar perfekt sprechen kann, ist natürlich illusorisch.
Wenn man tatsächlich als Deutschlehrer in China arbeitet, dann sollte man sich auch mit dem Chinesischen beschäftigen, um auf typische Transferfehler eingehen zu können. Aber in vollständig gemischten Gruppen, wie wir sie hier zum Beispiel am Sprachenzentrum haben, ist es natürlich schwieriger, auf verschiedene Muttersprachen individuell einzugehen.
Allerdings lernen ja heutzutage fast alle – zumindest alle Studenten, die hier herkommen – Englisch vor Deutsch. Es ist eigentlich immer einfacher, Englisch als Vergleichsmedium zu benutzen. Darauf kann man ganz gut aufbauen. „Deutsch nach Englisch“ heißt der Forschungszweig, der sich damit beschäftigt.

Was ist Ihr Spezialgebiet?

Möller: Bei Deutsch als Fremdsprache unterrichte ich in verschiedenen Niveaustufen. Da ist alles Mögliche gefragt. Ich interessiere mich allerdings besonders dafür, wie man Grammatik möglichst wirklichkeitsnah, in möglichst natürlichen Gebrauchsformen vermitteln kann. Außerdem beschäftige ich mich in meinen Kursen immer gerne mit aktuellen, gesellschaftlichen Entwicklungen und Fragen, die den Studierenden, die hier für ein oder zwei Semester in eine fremde Gesellschaft eintauchen, ein bisschen helfen zu verstehen, was in diesem Land, in dieser teils sehr fremden Kultur – je nachdem aus welchem Herkunftsland sie kommen – um sie herum so geschieht.

Sie schreiben, dass Sie Sprache stets als wissenschaftlichen Gegenstand auf der einen und als praktisches, lebendiges Alltagswerkzeug auf der anderen Seite sehen. Was genau meinen Sie damit?

Max Möller: Als Sprachwissenschaftler habe ich mich wirklich mit Feinheiten der Sprache beschäftigt, die im Alltag vielleicht oft keine große Rolle spielen. Auf Deutsch als Fremdsprache angewandt, müssen wir immer unterscheiden: Was ist die Sprache, die man zur Kommunikation braucht, zum sprachlichen Handeln? Und was sind Details, auf die es in der Kommunikation nicht ankommt, die ich aber vielleicht brauche, wenn ich eine Masterarbeit in der Fremdsprache Deutsch schreiben möchte?
Ich versuche meinen Studierenden immer zu vermitteln: Das Wichtigste ist erstmal, kommunikativ erfolgreich zu sein, erfolgreich mit der Fremdsprache agieren zu können. Je nachdem welche Ambitionen man hat, muss man dann eventuell noch auf die Adjektivendungen und jede genaue Kasusform gucken – zum Beispiel wenn man einen Text produzieren möchte, der als Seminararbeit abgegeben werden kann.

Gibt es im Deutschen ein Wort, von dem es in anderen Sprachen keine entsprechende Bedeutung gibt?

Möller: Also ob es für das Deutsche ein charakteristisches Wort gibt… Mit der Frage kommen wir natürlich in den philosophischen Bereich hinein: Können wir nur das verstehen und denken, was wir ausdrücken können? Wie Wittgenstein sagte: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ Eine andere Wahl bleibt einem nicht.
Ja, es gibt natürlich solche Wörter im Deutschen, wie zum Beispiel die Gemütlichkeit. Das kann man nicht eins zu eins in jede andere Sprache übertragen. Und worin man sich vielleicht auch erst einfühlen kann, wenn man versteht, was die Deutschen damit meinen, wenn sie sagen: Er ist ein gemütlicher Typ. Oder: Wir machen es uns gemütlich.
Leider trifft das auch auf den Begriff Schadenfreude zu. Der wird auch immer wieder als Klassiker genannt.

Was ist bei der deutschen Sprache schwer zu lernen und gibt es auch etwas, das leicht ist?

Möller: Es kommt immer auf die Vergleichssprache oder den Vergleichsgegenstand an. Wenn man zum Beispiel zuerst Englisch lernt und dann das Deutsche, ist man plötzlich mit so etwas wie Kasus konfrontiert. Auf einmal lernt man, dass es Nominativ, Akkusativ, Dativ und Genitiv gibt, oder natürlich drei verschiedene Genera. Man muss sich auf Artikel – der, die, das – und auf Adjektivendungen konzentrieren. Weil das Themen sind, die früh aufkommen, erschlägt das erstmal viele und schreckt ein bisschen ab. Man muss schon sehr tief eintauchen, um einen relativ sicheren Umgang damit zu haben.
Im Finnischen, das ich mal versucht habe zu lernen, gibt’s fünfzehn Fälle. Da können die Finnen jubeln, wenn sie erfahren, dass es im Deutschen nur vier gibt. Ansonsten hat jede Sprache ihre leichter und schwieriger zu erlernenden Aspekte.

Sie haben für drei Jahre als DAAD-Lektor an zwei Universitäten in der finnischen Stadt Turku gearbeitet und haben dort deutsche Sprache, Kultur, Literatur und Geschichte unterrichtet. Was für Erfahrungen haben Sie mit Finnisch als Fremdsprache gemacht?

Möller: In Finnland kommt man gut mit Englisch durch: Die meisten Sachen kann man auf Englisch regeln oder teilweise auch auf Deutsch, weil viele ältere Menschen früher Deutsch gelernt haben. Dennoch habe ich versucht, Finnisch zu lernen. Ich finde es sehr wichtig, wenn man in einem anderen Land lebt, dass man sich zumindest bemüht und anstrengt, die Sprache von dort zu lernen. Und in Finnland habe ich tatsächlich die Erfahrung gemacht, dass man die Herzen der Menschen erst dann öffnet, wenn man versucht, ihre Sprache zu lernen, und dass man auch vieles erst dann versteht. Man bleibt glaub ich in einer gewissen Art fremd oder in seinem eigenen Mikrokosmos, wenn man nicht lernt, die fremde Sprache zu verstehen und anzuwenden.

Was war für Sie in Finnland besonders gewöhnungsbedürftig?

Möller: In Finnland übt man nicht so offen Kritik wie in Deutschland. Es ist zum Beispiel sehr ungewöhnlich, einen Vortrag, ein Referat, direkt im Anschluss offen im Kurs zu kritisieren. Das würde irritieren. Das ist dort einfach nicht üblich. Da gilt es dann, ein bisschen zwischen den Kulturen zu vermitteln: Man muss zum Beispiel Deutschlernende darauf vorbereiten, was sie in Deutschland erwarten könnte, wenn sie einen Austausch machen oder so. Man muss ihnen verdeutlichen, dass in Deutschland mit Kritik anders umgegangen wird und dass gleichzeitig Kritik die Deutschen nicht so verletzt. Wir sind vielleicht mehr daran gewöhnt, offen zu sagen: Das kritisiere ich. Dem anderen ist dann aber auch die Möglichkeit gegeben zu sagen: Ich verstehe deine Kritik, aber ich bin von meiner Sache trotzdem überzeugt.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Mietschuldenfreiheitsbescheinigung!

Interview_AnnaRibasAnna Teixidor Ribas, 28, aus Girona/Katalonien, hat Architektur studiert und ist im Januar 2013 über das Leonardo-Stipendium nach Berlin gekommen. Zurzeit arbeitet sie in einem kleinen Architekturbüro und möchte sich für den Masterstudiengang „Denkmalpflege“ an der Technischen Universität Berlin bewerben. Im Interview spricht sie über Sprachkurse und sinnvolle Wörter.

Liebe Anna, Katalanisch ist deine Muttersprache. Wie hast du deine Zweitsprache Spanisch gelernt?

Anna Teixidor Ribas: Eigentlich kann ich mich nicht erinnern, wie ich Spanisch gelernt habe. Es kommt einfach. Zu Hause haben wir Katalanisch gesprochen. Die meisten Fernseh- und Radiosendungen sind allerdings auf Spanisch, auch Zeitungen und Bücher. Wenn man ins Kino geht, ist auch fast alles auf Spanisch. In der Schule hatten wir Spanischunterricht, aber man lernt dort Spanisch nicht wie eine Fremdsprache. Es gab aber immer wieder mal ein Wort, das ich noch nie gehört hatte, denn wenn das Wort nicht in einem Film oder in einem Buch oder so vorkam, dann kanntest du es nicht. Englisch kam dann ein paar Jahre später hinzu. Das war ganz anders, weil die Lehrer einem alles erklären mussten: Das ist ein Stuhl. Das ist ein Tisch.

Du lernst seit fünf Jahren Deutsch. Wie kam es dazu?

Anna: Das war eigentlich ein Zufall. Während meines Studiums habe ich ein Austauschjahr in den USA gemacht. Und als ich nach Spanien zurückkam, konnte ich sehr gut Englisch sprechen und wollte daher eine neue Sprache lernen. Ich habe mich für verschiedene Sprachen beworben, denn an dieser Schule, einer Art Volkshochschule für Sprachen, gibt es viel Konkurrenz und du kriegst nicht immer einen Platz. Sie haben mich angerufen und gesagt, sie hätten einen Platz für Deutsch. Ich hatte eine sehr gute Lehrerin in meinem ersten Jahr. Durch sie habe ich Interesse an der Sprache bekommen.

Was hat diese Lehrerin besonders gut gemacht?

Anna: Das Lernen bei ihr war immer wie ein Spiel. Am Anfang zum Beispiel mussten wir die Artikel lernen und dazu gab es ein Ballspiel: Jemand hat ein Wort gesagt und einem anderen den Ball zugeworfen. Derjenige musste dann den Artikel sagen.
Wir haben mit ihr auch viele Projekte gemacht, zum Beispiel sollten wir ganz am Anfang einen kleinen Film drehen und am Ende des Jahres haben wir noch einen gemacht. Beim ersten hatten wir nur einen kleinen Wortschatz, beim zweiten schon mehr Kenntnisse. Wir konnten dann vergleichen, inwieweit wir besser geworden sind.

Machst du gerade noch einen Sprachkurs?

Anna: Momentan mach ich keinen. Mein letzter war ein Kurs an der TU, der speziell für Architekten war: Deutsch lernen mit Architekturtexten. Das war echt interessant!

Was findest du bei Deutsch besonders schwer zu lernen?

Anna: Ganz viele Sachen. Zum einen gibt es so viele Wörter für alles. Im Büro haben sie ein anderes Wort für Massenermittlung benutzt und ich wusste nicht, worüber sie reden. Es gibt so viele Wörter, die das gleiche bedeuten.

Ganz viele Synonyme…

Anna: Genau. Das macht meine Arbeit manchmal ein wenig schwer. Und dann die ganzen Artikel… die sag ich normalerweise auch nicht richtig. Und der Dativ…
Ich habe außerdem bemerkt, dass ich beim Schreiben nicht so viele Fehler mache, aber wenn ich spreche, vergesse ich oft das Verb ganz am Ende des Satzes zu sagen. Für mich ist es dann so weit weg. Entweder vergesse ich es oder ich sage es zu früh im Satz, wie auf Englisch.

Gibt es auch etwas, was leicht ist an der deutschen Sprache?

Anna: Ja! Obwohl du ein Wort nicht kennst, kannst du es lesen. Und wenn Leute klar sprechen, kannst du es auch aufschreiben. Das ist nicht wie im Englischen, wo man etwas ganz anders ausspricht als wie man es schreibt.

Was war für dich bei der deutschen Sprache besonders gewöhnungsbedürftig?

Anna: In Deutschland ist alles sehr geregelt: Sehr geehrte Damen und Herren! Aber das macht Dinge auch einfacher, weil du diese Muster lernen kannst und dann nur den Text in der Mitte ändern musst. Außerdem sind die Wörter alle supergenau. Das finde ich auch gut. Ich mag zum Beispiel das Wort “ausschlafen”. Das ist ein Wort, das wir im Katalanischen gar nicht haben, wir müssen es stattdessen erklären: Schlafen bis dein Herz „Genug!“ sagt oder so. “Feierabend” ist auch ein sehr nützliches Wort und Konzept, das wir gar nicht haben.
Und es gibt so viele Möglichkeiten bei Verben, zum Beispiel messen, vermessen, abmessen…

Hast du ein deutsches Lieblingswort?

Anna: Mietschuldenfreiheitsbescheinigung! Das ist nicht mein Lieblingswort, aber ich finde es sehr lustig und es hat lange gedauert, bis ich es gelernt habe. Als ich eine Wohnung gesucht habe, konnte ich es noch überhaupt nicht aussprechen. Auf Katalanisch gibt es einen ganzen Satz dafür.
Hmmm, ein Lieblingswort… Ich weiß nicht… “Genau”! Ich sage “genau” sogar jetzt auf Katalanisch und Spanisch. Egal, welche Sprache ich spreche, ich sage dauernd genau, genau.
Und “doch”! “Doch” ist ein Wort, das man eigentlich in allen Sprachen bräuchte. Bei uns im Katalanischen gibt es nur ja und nein. Wenn du zum Beispiel fragst „Du kommst nicht, oder?“ und der andere “ja” sagt, weißt du nicht sicher, was er damit meint. Bedeutet es “ja, ich komme” oder “ja, stimmt, ich komme nicht”? „Doch!“ würde eindeutig bedeuten, dass er kommt. “Genau” und “doch” sind also meine Lieblingswörter.

Zwei wirklich praktische Wörter…

Anna: Mein Problem – da ich vier verschiedene Sprachen fast täglich nutze – ist, dass ich manchmal etwas sagen will, aber es nur auf einer dieser vier Sprachen ganz präzise sagen kann. Ich muss es aber auf einer anderen Sprache sagen als ich möchte, aber ich weiß nicht wie, und dann muss ich lange erklären, was ich meine.

Manchmal wäre eine Mischung aus allen Sprachen super.

Anna: Genau. Die perfekte Sprache.

Was magst du an der Sprache Deutsch am liebsten?

Anna: Ich finde es sehr toll, dass man auf Deutsch neue Wörter entwickeln kann: Man mixt verschiedene Wörter, die man kennt, und dann entsteht ein neues. Und niemand sagt, nö, das klingt ganz komisch. Oft gibt es dieses Wort tatsächlich, was ich selbst gebaut habe.
Und auch andersrum: Wenn du die einzelnen Teile eines langen Wortes schon kennst, dann kannst du erraten, was das ganze Wort bedeutet. Das finde ich toll. Du bist stolz und sagst: Guck mal, ich habe es entdeckt! Das Wort “Sonnenuntergang” zum Beispiel. Jemand hat „Sonnenuntergang“ gesagt und ich kannte das Wort nicht, aber ich hab es verstanden und mir gedacht: Das macht total Sinn!

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das ist halt so

Nina_onlineNina Maria Branner, 29, ist vor zwei Jahren als Erasmus-Studentin nach Berlin gekommen, wo sie ihren Bachelor in Literaturwissenschaften abgeschlossen hat. Seit Oktober 2014 studiert sie Kulturjournalismus an der Universität der Künste Berlin. Im Interview spricht sie über Interviews, altmodische Wörter wie „komisch“ und über das lästige Siezen.

Liebe Nina, es ist schon schwer, einen journalistischen Text in seiner Muttersprache zu verfassen. Letztes Semester hast du ein Journalismus-Studium auf Deutsch, einer Fremdsprache für dich, angefangen. Wie bist du mit dieser Herausforderung umgegangen?

Nina Maria Branner: Ich wusste am Anfang nicht, ob ich es schaffen würde. Aber ich bin zum Studium zugelassen worden. Und dann hab ich gedacht: Jetzt ist es nicht mehr meine Verantwortung. Ich habe gedacht: Ich wurde angenommen, daher muss ich ja gut genug sein.

Wie stellst du dir später dein Berufsleben vor?

Nina: Nach dem Studium möchte ich noch für eine Weile in Berlin bleiben und von hier aus für dänische Zeitungen oder Magazine schreiben, vielleicht auch für englische Magazine hier in Berlin, oder – also ich hab keine Ahnung, ob das realistisch ist – gerne auch für deutsche Medien. Aber keine Ahnung, ob das klappt. Ich will auf jeden Fall viele verschiedene Sachen machen.

Gibt es in Dänemark andere journalistische Textformen als im Deutschen?

Nina: Ich glaube, sie sind recht ähnlich, aber ich habe im ersten Semester hier an der UdK herausgefunden, dass man Interviews anders schreibt als im Dänischen. Ich habe letztes Semester ein Interview mit einer dänischen Schriftstellerin für eine Printbeilage der taz geführt. Als ich meinen Kommilitonen meinen Text gezeigt habe, haben sie gesagt: Ja, es ist gut, aber was für ein Genre ist das? Ich habe dadurch herausgefunden, dass man Interviews in Deutschland als Frage-Antwort-Frage-Antwort aufschreibt. Das wusste ich gar nicht. Im Dänischen ist die Textform „Interview“ mehr ein zusammenhängender Text. Der Journalist darf den Interviewten am Anfang länger einführen und zwischen den Antworten länger erzählen. Die Frage ist oft im Text integriert. Es ist schon fast wie ein Porträt.

Was sind die größten Unterschiede zwischen dem Deutschen und dem Dänischen?

Nina: Es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen den beiden Sprachen. Und gerade weil es so viele Ähnlichkeiten gibt, ist es schwierig, wenn sie sich plötzlich nicht ähnlich sind. Die Satzstruktur ist zum Beispiel sehr anders.
Für mich ist die deutsche Sprache – das ist jetzt nicht böse gemeint – ziemlich altmodisch. Viele Wörter, die es im Deutschen noch gibt, benutzen wir im Dänischen nicht mehr. Es gibt Wörter, die haben wir früher vor 20 oder 30 Jahren benutzt und diese Wörter benutzt ihr immer noch! Zum Beispiel das Wort „komisch“, was ja sowas Ähnliches bedeutet wie „lustig“. Das Wort „komisch“ gibt es auch im Dänischen, aber das wäre sehr altmodisch, wenn man das sagen würde. Dieses Altmodische gefällt mir aber. Ihr seid ganz präzise und genau. Ihr sprecht ein wenig so, wie man auf Dänisch schreiben würde.

Hast du ein deutsches Lieblingswort?

Nina: Ja! Eichhörnchen.

Gibt es ein deutsches Wort, das es im Dänischen nicht gibt?

Nina: Ihr sagt sehr oft „halt“. Das ist halt so. Das kann man eigentlich immer sagen. Ich weiß nicht, ob es das im Dänischen gibt. Oder „quasi“. Das haben wir glaub ich auch nicht.

Was findest du bei der deutschen Sprache besonders schwer zu erlernen?

Nina: Alles. Die Grammatik. Ich weiß immer noch nicht, wann man „sie“ oder „ihr“ sagt, oder „ihm“ oder „ihn“, oder ob es “der”, “die” oder “das” heißt. Deutsch lernen ist eine Herausforderung. Die Sprache ist schwierig.

Gibt es auch etwas, was dir besonders leicht fällt?

Nina: Für mich, weil ich aus Dänemark komme, sind Vokabeln leicht zu lernen, weil wir viele ähnliche Wörter haben, zum Beispiel die Wörter Schokolade oder Tasche. Ich konnte deswegen schon viel verstehen, als ich vor zwei Jahren nach Berlin kam.

Du hast des Öfteren gesagt, dass das Siezen für dich sehr gewöhnungsbedürftig ist und du am liebsten alle duzen würdest. Was stört dich am Siezen?

Nina: Ich finde, dass es eine Distanz aufbaut. Auf jeden Fall. Gestern hab ich ein Interview mit einer Australierin geführt und sie ist ja auch nicht daran gewöhnt, Sie zu sagen. Wir haben das Interview aber auf Deutsch geführt und deswegen habe ich zu ihr gesagt: Ich werde „Sie“ sagen, weil ich das Interview für die Uni benutzen werde. Und das hat irgendwie eine Distanz zwischen uns erzeugt, weil wir beide nicht daran gewöhnt sind. Das war wirklich komisch.

Zu manchen Personen möchte man aber vielleicht ganz bewusst eine Distanz wahren. Wie macht man das im Dänischen ohne das Siezen?

Nina: Im Dänischen zeigt man Distanz einfach anders. Mit seinem Körper und seinem ganzen Verhalten. Ich habe es noch nie erlebt, dass Siezen in irgendeiner Situation gut gewesen ist. Ich vergesse es daher oft immer noch.

Spricht man denn andere mit Herr oder Frau an?

Nina: Nein, immer nur mit dem Vornamen. Den Nachnamen benutzt man eigentlich nicht. Man duzt auch berühmte Personen.

In Deutschland wäre es undenkbar, die Bundeskanzlerin zu duzen und mit Angela anzusprechen…

Nina: Also wenn ich die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt* treffen würde, dann würde ich auf jeden Fall du sagen und sie mit Vornamen ansprechen. Wir haben ein dänisches Wort für „Sie“, aber seit so 50 Jahren benutzen wir das nicht mehr. Wir benutzen es nur noch bei der Queen. Da sagt man noch Sie. Und das ist auch irgendwie komisch. Königin Margrethe II. ist die Einzige, die man siezt.

Gibt es noch etwas, woran du dich im Deutschen gewöhnen musstest?

Nina: Allgemein sind die Deutschen höflicher, was ich eigentlich auch schön finde. Die Deutschen sind außerdem sehr direkt, was ich auch mag. Aber manchmal fehlt mir ein bisschen Humor und ich bin ein bisschen verwirrt, wenn etwas nicht mit einem Lächeln gesagt wird. In Dänemark machen wir manchmal wiederum zu viel Spaß. Wir sagen alles irgendwie immer, als wäre es ein Witz.

Hast du schon mal ein peinliches Missverständnis erlebt?

Nina: Ja, oft… Einmal habe ich mich mit einem Typen zu einem Date verabredet, da war ich erst seit ein paar Monaten in Deutschland. Ich hab ihm auf Deutsch geschrieben und war so stolz darauf. Ich hab ihm geschrieben: Wir treffen uns IM See. Darüber hat er sich sehr gefreut.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

* Zum Zeitpunkt des Interviews war Helle Thorning-Schmidt die dänische Regierungschefin. Sie war die erste Frau in diesem Amt. Seit dem 28. Juni 2015 ist Lars Løkke Rasmussen der amtierende Ministerpräsident.

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Kategorie: Gesellschaft

Julika Bickel

Mit acht Jahren habe ich beschlossen, Schriftstellerin zu werden, weil ich Michael Ende bewundert habe. Ein paar Jahre später habe ich festgestellt, dass die Geschichten der Wirklichkeit mindestens genauso spannend sind wie die der Fantasie. Seitdem will ich Journalistin werden. Meinen Bachelor habe ich in Philosophie und Englisch absolviert, nun studiere ich im Master Kulturjournalismus. Awesome! Mein englisches Lieblingswort. Und um noch ein wenig philosophisch zu werden: In der Kultur zeigt sich, so glaube ich, der Mensch sich selbst. Was er denkt, was er fühlt, was er ist.

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