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Von Kanye West und Glühwürmchen

Annabel Brady-Brown

Berlin-Neukölln ist voll von jungen Kreativen aus aller Welt. Dass es falsch wäre, diese alle in eine Schublade zu stecken, zeigt die Australierin Annabel Brady-Brown, die dank einer intensiven Liebesbeziehung mit der Stadt bereits zum dritten mal in Berlin lebt.  

Annabel öffnet stolz zwei Bierflaschen mit einem Feuerzeug, das hat sie kürzlich gelernt. „Ich war ein bisschen besessen von Kanye West“, erzählt sie über die Idee zu ihrem ersten, magazinartigen Heft, einem sogenannten Zine. „Er ist komplex, überraschend und witzig, die Leute würdigen das zu wenig.“ Die meisten Popstars heutzutage seien langweilig, findet sie, sie sollten ein bisschen mehr sein wie Kanye und verrückte Popstar-Sachen machen. Wobei sie eigentlich „Crazy Popstar stuff“ sagt, was irgendwie nachvollziebarer klingt als die deutsche Übersetzung.

Das Kanyezine enthält Gedichte, Kurzgeschichten, Bilder und Essays von verschiedenen Künstlern, alles rund um das „Thema“ Kanye West. Zwischen den Wörtern eines Gedichtes, fliegen kleine gezeichnete Croissants. Wegen der Zeile in einem seiner Songs: „Hurry Up With My Damn Croissants“, eine einfach großartige Textstelle, findet Annabel und lacht wieder.

Annabel Ivy Brady-Brown ist in Melbourne geboren und aufgewachsen. Als sie mit 18 die Schule beendet hatte, tat sie das, was ihrer Aussage nach fast alle Australier tun: durch die Welt reisen. Mit keinem anderen Ort hat es dabei aber jemals so gefunkt wie zwischen ihr und Berlin. Und das trotz tiefstem Winter. Als sie nach Melbourne zurückkehrte, stand fest: ihr neuer Lebensplan hieß Berlin. Drei Jahre lang studierte Annabel Kreatives Schreiben in ihrer Heimatstadt und kam dann, vor zwei Jahren, mit der Absicht zu bleiben nach Berlin zurück. Einen ausgetüftelten Plan hatte sie nicht. Sie fand ein Zimmer in Neukölln, fing an, Deutschunterricht zu nehmen, und musste kurze Zeit später feststellen, dass ihre Ersparnisse sich bereits dem Ende zuneigten.

Sie begann, bei einem englischsprachigen Magazin zu arbeiten. Erst als Praktikantin, dann als freie Autorin und später als – Annabel verstellt ihre Stimme und spricht wie eine feine Dame – „Assistant Editor“. Sie lernte in dieser Zeit alles, was zur Veröffentlichung eines Magazins dazu gehört. Geld verdiente sie allerdings kaum. „Ich glaube in dem Bereich wird niemand in Berlin gut bezahlt. Das war in Ordnung für mich, aber dann kam ein Punkt, an dem ich dort über ein Jahr gearbeitet hatte, morgens versuchte, Deutschkurse zu besuchen, und nebenher für meine Miete auch noch kellnerte. Ich war pleite und müde.“ So kehrte sie Berlin erneut den Rücken, um in Melbourne ihren Master in „Creative Writing, Editing and Publishing“ zu machen. Seit einigen Monaten ist sie zum dritten Mal hier, hilft als Praktikantin, englischsprachige Schreib-Workshops zu organisieren, arbeitet an ihrer Masterarbeit und macht weiterhin leidenschaftlich Zine-Projekte.

„Gibt es eigentlich noch Glühwürmchen in Deutschland?“ fragt Annabel. Zumindest in großen Städten hat man lange keine gesehen. Sie erklärt, dass Glühwürmchen immer seltener werden, weil das Licht der Städte sie verwirrt. „Fireflies“ heißt das Zine, an dem sie gerade mit einem Freund zusammen arbeitet und das sich mit zwei Filmemachern, dem Thailänder Apichatpong und dem Italiener Pasolini beschäftigt. Letzterer hatte einmal einen berühmten Artikel in einer italienischen Zeitung veröffentlicht: „Das Verschwinden der Glühwürmchen“, in dem er vom Verschwinden der Schönheit in der italienischen Kultur schrieb. Annabel und ihr Freund sprachen über diesen Artikel und fanden, dass die „Grand Cinema“-Kultur zurückgehe. Annabels Interesse für Film geht auf ihren Vater zurück, der sie und ihre beiden kleinen Brüder seit je her dazu gebracht hatte, sich alle erdenklichen Filme anzuschauen. Durch das Film-Zine wollen sie Aufmerksamkeit auf großartige Filmemacher lenken. Grade wurde ihre Crowdfunding-Aktion für Ausgabe 1, mit Ziel 3.500€, erfolgreich beendet, sodass das Heft in Druck gehen kann. „Man muss ein bisschen träumen und manchmal wird es wahr“, findet Annabel. Sogar der bekannte Regisseur John Waters hat ein Kunstwerk beigetragen, eine Collage aus Pickeln von in Pasolini-Filmen auftauchenden Gesichtern.

„Ich kann besser schreiben als reden“, sagt Annabel. Wenn sie etwas geschrieben hat, mit dem sie zufrieden ist, eine Kurzgeschichte zum Beispiel, kann sie guten Gewissens sagen: „Das bin ich. Der Text bin ich von meiner besten Seite.“ Sie streicht sich die blonden Haare aus dem Gesicht. Wenn sie von ihren Projekten spricht, leuchten ihre ohnehin freundlichen, blauen Augen noch wärmer. Seit sie das erste mal in Berlin war, handelt alles, was sie schreibt, irgendwie von der Stadt.

Einige von Annabels australischen Freunden, die ebenfalls nach Berlin gegangen waren, verließen die Stadt wieder, weil sie sich in ihr verloren hatten und unproduktiv geworden waren. „Als ich erzählte, dass ich wieder nach Berlin gehe, sagten alle: Grüß mir das Berghain! Und ich antwortete: Ja, mache ich. Aber ich mache auch andere Sachen“, erinnert sie sich. „Klar, ich liebe die Clubszene in Berlin, aber erzähl bloß nicht meiner Mutter, dass ich deswegen hier bin“. In Melbourne dauere eine Party eine Nacht, in Berlin hingegen drei Tage. Den Moment leben und genießen, ohne sich um die Zukunft zu sorgen, das sei eine Einstellung, an die man sich sein Leben lang erinnern solle, findet Annabel. Die 26-jährige schafft beides: sie genießt den Moment und verliert ihre Ziele trotzdem nicht aus den Augen. In Australien würde sie das Doppelte an Miete zahlen und an einen Atelierplatz, wie sie ihn hier hat, nicht einmal denken.

Berlin sei eine Art Märchen, voller Energie, niemals stabil, sondern permanent dabei, neu geschrieben zu werden, von den Menschen, die gerade hier leben. Während Annabel das sagt ist ihr vermutlich gar nicht klar, wie sehr sie selbst daran beteiligt ist. In vier Wochen muss sie wegen ihres Studiums zurück nach Melbourne. Erst einmal.

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