Gesellschaft
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“T” wie Theologie – “T” wie Tattoo

Pfarrsprengel Berlin-Tiergarten: Die St. Johannis Kirche in Moabit

Zehn Prozent der Deutschen sind tätowiert –  auch Geistliche? Eine Reportage über Tattoos in der christlichen Kirche

Zwischen Turmstraße und Hauptbahnhof wirkt die St. Johannis Kirche wie ein Mönch auf der Reeperbahn. Die Arkaden des sakralen Bauwerks, das klostergroße Gelände und der freistehende Glockenturm – ein Stück Florenz in Berlin. Vielleicht verwechselte der Architekt bei Wein und Muse die Landkarten, war ein Hipster des 19. Jahrhunderts oder liebte einfach die italienische Architektur der Frührenaissance. Heute steht die Kirche unweit einer doppelspurigen Straße, der JVA Moabit und der wahrscheinlich größten Dichte von Händlern, die gebrauchte Handys verkaufen.

 

Pfarrsprengel Berlin-Tiergarten: Die St. Johannis Kirche in Moabit

Pfarrsprengel Berlin-Tiergarten: Die St. Johannis Kirche in Moabit

Vorhalle der St. Johanns Kirche, 1861. Karl Friedirch Schinkel hat den Bau damals entworfen

Skizze: Vorhalle der St. Johannis Kirche, um 1861. Architekten: Karl Friedrich Schinkel und Friedrich August Stüler

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Auch Florian Fechtner wirkt in seinem Berufsfeld wie eine Ausnahme: mit seinen Tattoos, den geweiteten Ohrlöchern und den langen Haaren. Der evangelische Jugenddiakon arbeitet seit 2010 im Pfarrsprengel Tiergarten, Berlin-Moabit. Es ist Freitag Nachmittag und der 29-Jährige stimmt im Jugendraum gerade eine der E-Gitarren. Hier  probt der Berliner regelmäßig mit den Jugendlichen und betreut zudem die Konfirmandengruppen. Die Tattoos sind dabei nicht zu übersehen. Am rechten Oberarm zieren Judas und Jesus seine Haut. Auf der Brust hat er sich einen Spiegel mit der Aufschrift „advocati diaboli“ tätowieren lassen, „Anwälte des Teufels“. Für Florian Fechtner hat das Tattoo eine symbolische Bedeutung: Jeden Tag in den Spiegel schauen und dabei ehrlich gegenüber sich selbst sein, das ist sein persönliches Credo. Und wie sieht das Credo der Evangelischen Kirche gegenüber Tattoos aus? Bisher hatte der Diakon aufgrund seines Körperschmucks keine Probleme im Beruf gehabt. Allerdings wünscht sich Fechtner mehr Offenheit und Unterstützung von seinem Arbeitgeber in einem anderen Bereich: „Die Evangelische Kirche investiert definitiv zu wenig in die Jugendarbeit!“ Konkret fehle es an Räumlichkeiten, Personal und der Offenheit der Kirche, so Fechtner.

 

Florian Flechtner stimmt im Jugendraum der St. Johannis Kirche eine der E-Gitarren

Florian Flechtner, evangelischer Jugenddiakon im Pfarrsprengel Tiergarten

Florian Flechtner

Tattoo: “advocati diaboli”

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein klares Tattoo-Verbot gibt es in der Evangelischen Kirche nicht. Im Alten Testament steht zwar: „Für einen Toten dürft ihr keine Einschnitte auf eurem Körper anbringen, und ihr dürft euch kein Zeichen einritzen lassen.“, (Lev 19, 28). Jedoch ist die Auslegung eine Frage der Interpretation. Für das Judentum spielt dieser Vers eine große Rolle, für das Christentum bisher weniger. Johanna Klee, angehende Pfarrerin, erklärt sich die Vorschriftenfreiheit vor allem durch die Zeit selbst: „Wahrscheinlich ist das so neu das Phänomen, dass die Kirche gar nicht darauf reagieren konnte. Es gibt ja Tattoos als Mode-Erscheinung noch gar nicht so lange. Es gibt Vorschriften für den Gottesdienst, dass man zum Beispiel Talar trägt und sich angemessen kleidet.“  Johanna Klee macht gerade ihr Vikariat in der Martin-Luther-Gemeinde in Berlin-Steglitz. Auch sie hat sich ein Tattoo stechen lassen. Auf dem Rücken zwischen den Schulterblättern steht in hebräischer Schrift: „Der Herr ist mein Gott.“ Die Idee für das Tattoo entstand während ihres Theologie-Studiums.

 

Johanna Klee, angehende Pfarrerin aus Berlin-Steglitz

Johanna Klee, angehende Pfarrerin aus Berlin-Steglitz

"Der Herr ist mein Gott" auf Hebräisch

Tattoo: “Der Herr ist mein Gott” auf Hebräisch

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Es ist Donnerstag Abend und Johanna Klee bespricht gerade in der Kirche mit ihren Konfirmanden den Psalm 23. Sie trägt Jeans und ein dunkles Shirt, dass am Rücken ihr Tattoo zeigt. Die blonden Haare hat sie mit einem Seitenscheitel zu einem Bob frisiert. Vor dem Altar machen es sich die Vikarin und die dutzend 13-Jährigen im Schneidersitz gemütlich. In der rechten Ecke steht ein großer Mann in Mönchskleidung und betrachtet kritisch das Geschehen. Mit erhobenem Zeigefinger und einem Buch steht er stoisch da. Es ist Martin Luther, in Form einer Holzskulptur vom Bildhauer Herbert Volwahsen aus dem Jahr 1937. Die breiten Schultern und das maskuline Gesicht spiegeln die Enstehungszeit der Skulptur wider. Der ernste Blick, die erhobene Hand und das Buch – als ikonographische Darstellung der Reformation gedacht – wirkt wie eine doktrinäre Personifikation.

 

Martin-Luther-Statue in der gleichnamigen Kirche Berlin-Steglitz, Herbert Volwahsen, 1937

Martin-Luther-Statue in der gleichnamigen Kirche Berlin-Steglitz, Herbert Volwahsen, 1937

Laut Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sind zehn Prozent der Deutschen tätowiert. Dabei kommt es nicht nur beim Tätowieren selbst auf Hygiene und Qualität an. Vor allem chemische Entfernungen mit 40 prozentiger L(+)-Milchsäure sind problematisch, laut BfR.  Daher ist ein Tattoo keine temporäre Entscheidung. Zwar gibt es auch Lasermethoden. Die Langzeitfolgen sind jedoch noch nicht bekannt.

Gerade in christlichen Berufen erwartet man nicht unbedingt tätowierte Personen, warum eigentlich? „ Ich glaube, dass die Kirche als sehr altmodisch und konservativ angesehen wird. Zum Teil macht sie das auch selbst, hat es über die Jahre hinweg tradiert und deswegen rechnen die Leute damit weniger“, erklärt sich die Berlinerin diesen Gegensatz. Auf Anfrage bei den katholischen Kirchen in Berlin, kam unter anderem die Antwort: „Von denen, die hier ehrenamtlich sind, habe ich schon dieses oder jenes gesehen, dilettantisch gestochen. Nichts zum Vorzeigen. Von Interviews bitte ich Abstand zu nehmen. Ich kann mich darum nicht kümmern.“

Mittlerweile hat sich der Sitzkreis im Kirchenraum aufgelöst. Im Stehen betet die Gruppe nun das Vaterunser – der Abschluss der heutigen Konfirmandenstunde. Die Jugendlichen verabschieden sich. Johanna Klee räumt noch ein bisschen auf und macht sich dann selbst auf den Weg zur S-Bahn. Auch wenn es zunächst wie ein Kontrast erscheint, eine Sache haben Tattoos und christliche Berufe definitiv gemeinsam: Es ist eine Entscheidung fürs Leben.

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Beitragsbild: Peter Kuley

Skizze: Architektonisches Skizzenbuch, XLIX Blatt 4 (1861), Urheber unbekannt

Restliche Bilder: Magdalena Kammler

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Kategorie: Gesellschaft

2 Kommentare

  1. Martina Knoll sagt

    1862 war Schinkel schon 21 Jahre tot. Die Vorhalle ist, ebenso wie die Arkaden und der Turm, von Stüler.

  2. Magdalena Kammler
    Magdalena Kammler sagt

    Sehr geehrte Frau Knoll, herzlichen Dank für Ihren Kommentar. Ja, Schinkel war zum Zeitpunkt der Skizze bereits tot. Jedoch bezieht sich die Jahreszahl auf das Erscheinungsjahr der Quelle (Architekturbuch/ s. Quellenangabe am Ende des Artikels). Schinkel war der erste Architekt und Stüler hat die Kirche dann erweitert, wie Sie richtig anmerken. Damit der Bezug klarer wird, habe ich diese Info in der Bildunterschrift ergänzt. Viele Grüße, Magdalena Kammler

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