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Party-Patriotismus auf Abwegen

Die Fußball-Weltmeisterschaft ist immer eine Zeit großer Gefühle, vor allem in Deutschland, das stolz auf die Erfolge seiner Nationalelf blickt. Doch die Grenzen zwischen Party-Patriotismus und Nationalismus sind in diesen Tagen schwer zu ziehen

Alle Jahre wieder, um genau zu sein alle zwei Jahre, verfällt Deutschland in einen Ausnahmezustand: Plötzlich hängen große Flaggen von den Balkonen, kleinere flattern an Autos gesteckt durch die Straßen, selbst Bierdosen werden in schwarz-rot-gold gekleidet und mitten im Sommer gibt es Feuerwerk und Böller. Tausende Menschen drängen sich in überfüllten Bars, Biergärten und beim public viewing, um auf Fernsehern oder kontrastarmen Leinwänden gebannt das Spiel aller Spiele zu verfolgen und keine Chance auf ekstatisches Gejubel zu verpassen, wenn das deutsche Team ein Tor schießt oder einen Sieg erzielt.

Patriotismus und Nationalstolz werden in Deutschland für gewöhnlich eher kritisch beäugt. Doch vor allem seit der WM 2006 scheint die deutsche Bevölkerung alle zwei Jahren einen Anlass zu brauchen, offen und exzessiv schwarz-rot-goldene Gegenstände herumzuschwenken und für einige Wochen völlig im Fieber für die deutsche Mannschaft aufzugehen. Die Bundesregierung beschreibt in ihrem Abschlussbericht zur „Sommermärchen“-WM 2006 die deutschen Fans als weltoffen und gastfreundlich, die WM galt als erfolgreiche Image-Kampagne für Deutschland. Selbst die sonst so unzugänglich wirkende Angela Merkel lässt sich während der WM in Brasilien zu selfies in der Kabine der Nationalelf hinreißen.

Doch Soziologen und Verhaltensforscher warnen vor dem nationalistisch gemünzten „Party-Patriotismus“. Bereits zur EM 2012 stellte eine Forschungsgruppe um den Bielefelder Erziehungswissenschaftler Wilhelm Heitmeyer fest, dass Nationalstolz automatisch zu „Fremdgruppenabwertung“ führt. Der Sportwissenschaftler und Fankulturforscher Dr. Gunter A. Pilz bezweifelt, dass die von der Bundesregierung gelobte unverkrampfte Identifikation mit Deutschland wirklich so harmlos und gelungen ist wie von offizieller Seite erklärt.

Kann es denn überhaupt einen Patriotismus ohne Nationalismus geben? Viele Forscher sagen nein, denn schon Patriotismus beinhaltet immer einen Vergleich, ein Aufwiegen oder sich höher stellen gegenüber anderen Ländern. Dr. Gunter A. Pilz, der für die DFB die Arbeitsgruppe Fair Play leitet, weist darauf hin, dass der deutsche „Party-Patriotismus“, manchmal scherzhaft Partyotismus genannt, Andockungspunkte für unauffälligen, aber gefährlichen Rassismus bietet und als eine Bühne für nationalistische Äußerungen missbraucht werden kann.

Rassistische Ausschreitungen und Entgleisungen gibt es während dieser WM immer wieder, gerade auf Twitter und Facebook finden sich verunglimpfende und abwertende Kommentare gegen andere Nationalmannschaften. Die Italiener werden zu Spaghettifressern degradiert, den Ghanaern wird in einem Tweet gar der Tod gewünscht. Vor allem nach dem Halbfinalspiel Deutschland gegen Brasilien schlugen die Wellen in den sozialen Medien hoch. Videos geistern durch das Netz, in denen ein „brasilianischer Cocktail“ von einem „typisch deutschen“ Bierhumpen zerschmettert wird, von einem Automatikstaubsauger mit Deutschlandfähnchen, der eine brasilianische Flagge verschlingt. Das ist vielleicht witzig gemeint, aber auch unüberlegt und befremdlich. Diese satirischen, aber unterschwellig rassistischen Kommentare nach Siegen der deutschen Mannschaft verbreiten sich unheimlich schnell und finden selbst bei Menschen anklang, die sich niemals als fremdenfeindlich oder nationalistisch bezeichnen würden. Jakob Augstein kommentiert einen Aufmacher der Frankfurter Allgemeinen Zeitung aus der Woche vor dem Halbfinalspiel, der Manuel Neuer als einen „Arno-Breker-Hünen“ und einen am Krückstock gehenden Brasilianier unter der Überschrift „Die Chance – Kaum zu glauben, aber zum Greifen nah: Diese Mannschaft kann es gegen Brasilien packen“ zeigt: „Herzlichen Glückwunsch. Dieses Cover hätte auch Leni Riefenstahl gefallen.“

Beim Anblick der torkelnden, gröhlenden, Fahnen-schwingenden Massen an Tagen von WM-Spielen fragt man sich, ob die Mehrzahl der Fans nun eigentlich für die Nationalelf oder für Deutschland ist. Gemeinhin wird das ja gleichgesetzt. Aber Deutschland ist nicht die deutsche Nationalmannschaft. Die Nationalelf kann unmöglich die Heterogenität der Gesellschaft abbilden, immerhin besteht sie größtenteils aus einem Kader männlicher Mitt-Zwanziger. Frauen, Kinder, Behinderte, Alte finden hier natürlich keinen Platz. Wir wählen die Spieler auch nicht per Volksentscheid, sondern sind als Zuschauer relativ ohnmächtig darüber, welcher Spieler in welchem Team spielt und wer es in die Nationalmannschaft schafft. Und trotzdem scheint die Nationalelf eine weitaus besser zugängliche Identifikationsfläche zu bieten als beispielsweise die Entscheidungsträger in der Politik, die Deutschland in der Welt repräsentieren, sich aber die meiste Zeit hinter gläsernen Fassaden die Nächte an endlosen Sitzungstischen um die Ohren zu schlagen scheinen. Profifußballer sind Teil einer milliardenschweren Industrie und verdienen ein vielfaches dessen, von dem die meisten Deutschen nur träumen können. Und doch wirken sie so viel menschlicher, so erfrischend normal und teils auch überzogen bescheiden, wenn sie bei Pressekonferenzen und Interviews die eigenen Leistungen herunterspielen.

Tatsächlich kann man auf die Leistungen der Spieler der Nationalelf stolz sein, spielerisch wie menschlich. Gar als Vorbilder können sie in einiger Hinsicht gelten. Der Kapitän der Mannschaft setzt sich für Gleichberechtigung und gegen Homophobie im Breitensport ein. Miroslav Klose ist bekannt für seine Ehrlichkeit im Spiel, für die er auch auf Tore verzichtet. Über seinen Twitter-Account lobt Mesut Özil nach dem gewonnen Halbfinale das brasilianische Team und Land, beinah, als täte es ihm leid, dass der Gastgeber so hoch verlor.

Auch auf dem Rasen ist die Begegnung zwischen den verschiedenen Nationalteams regelrecht liebevoll. Die meisten Spieler kennen sich gut, spielen außerhalb der WM oft in denselben Teams. Es gibt nur wenige Fouls zu sehen, man hilft sich gegenseitig auf, nach Abpfiff wird sich auf den Rücken geklopft und durch’s Haar gestreichelt.

Das gesamte Konzept der WM ist zwar international, dadurch aber zwangsweise auch nationalistisch angelegt. Spieler müssen die jeweilige Staatsbürgerschaft haben, um für eine Nationalmannschaft spielen zu können. Beim DFB und auch bei der FIFA ist man trotzdem sehr darauf bedacht, gegen Nationalismus und jegliche Form von Extremismus anzugehen. Die deutsche Nationalelf eignet sich auch denkbar schlecht für eine rechte, ausländerfeindliche Propaganda. Beliebte Spieler wie Özil, Khedira und Podolski stammen aus türkischen, tunesischen oder polnischen Familien.

Umso verwunderlicher ist es, dass bei Deutschlandspielen überhaupt noch nationalistische Ressentiments hochschlagen. Die Vorsitzenden der Grünen Jugend und der Jusos machen hierfür vor allem das übertriebene Fahnengeschwenke verantwortlich, das ihnen überhaupt nicht behagt. Ein Übermaß an nationaler Symbolik sei problematisch und schüre nationalistische Stimmung. Die Sozialpsychologin Julia Becker legte eine Studie vor, die belegt, dass der bloße Anblick einer Deutschlandflagge bei den Befragten Gefühle wie Dominanz und Fremdenfeindlichkeit steigert, während beispielsweise die amerikanische Flagge im Gegenteil Gefühle von Toleranz und Gemeinsinn verstärke. Ohne irgendwas zum Winken macht das Anfeuern beim Fußballspiel aber natürlich nur halb so viel Spaß. Vielleicht braucht die Nationalelf ihre eigene Flagge. Dann wird man bei public viewings viel leichter zwischen bloßen Fußballfans und patriotistisch-nationalistischen Trittbrettfahrern unterscheiden können.

Bild: © Arne Müseler / arne-mueseler.de / CC-BY-SA-3.0
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Kategorie: Gesellschaft

Aufgewachsen in der Nähe von Hamburg, Studium der Nordamerikastudien am John F.Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin mit Auslandssemestern an der University of Nottingham und University of California, Santa Barbara. Besondere Begeisterung für den Film und das Filmen und die amerikanische Kultur(-geschichte).

1 Kommentare

  1. Johnny Gnaneswaran sagt

    Sehr geehrte Frau Niehusen,

    ich selbst bin, wie Sie an meinem Namen sehen können, ein Immigrantenkind. Ich kann diesem Bericht nicht zustimmen. Die Fußball-Nationalmannschaft ist eine Repräsentation eines Landes und dazu gehört auch Patriotismus. Ich als Immigrantenkind stehe Deutschland gegenüber sehr patriotisch und bin der Meinung dass Ur-Deutsche IMMER Patriotismus zeigen sollten, unabhängig davon ob ein Fußball-Turnier stattfindet oder nicht.

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