Jeder dritte Mann um die 30 kämpft mit Geheimratsecken. Die Angst vor Haarausfall ist groß. Das war schon im alten Ägypten so.
Wegen Yul Brynner habe ich mit zwölf Historienfilme geguckt. Er war Ramses, Taras Bulba und Dimitri Karamasov, und das alles mit Glatze. In den 1950er und 1960er Jahren war Yul Brynner der erste und lange Zeit auch der einzige Hollywood-Schauspieler, der ohne ein Haar auf dem Kopf zum Star wurde. Später gab es Telly Savalas als Kojak und Bruce Willis, der sich durch die amerikanische Unterwelt ballert. Sie gelten trotz Platte als besonders markante Exemplare der Gattung Mann. Und ganz nebenbei liegen diesen Kahlköpfen die schönsten Frauen zu Füßen. Schauspieler mit Glatze gelten, damals wie heute, als attraktiv und sexy. Zumindest im Kino.
Also alles gar nicht so schlimm? Offenbar doch!
Viele Männer haben große Angst vor Geheimratsecken oder eben einer Glatze, sagt Arzt Ferdinand Vennemann. Der Fußball-Trainer Jürgen Klopp hat sich wegen seiner Geheimratsecken Haare an die Stirn verpflanzen lassen und kein Problem damit, dies öffentlich zuzugeben. „Ist doch ganz gut geworden“, scherzte er neulich vor Journalisten. Der 77-jährige Silvio Berlusconi hingegen, dessen Haaransatz seit einiger Zeit einer aufgeklebten Teppichkante gleicht, versucht seine zahlreichen Haarverpflanzungen zu verheimlichen und betont, seine Haare seien von Natur aus voll und er von Natur aus jung: „Ich fühle mich wie Zweiundvierzig.“ Diese Männer stehen in der Öffentlichkeit und müssen Stärke und Vitalität ausstrahlen. Haarausfall bedeutet offenbar den Verlust jugendlicher Dynamik.
Ein Blick in die Geschichte lehrt: Volles Haar war seit jeher der Inbegriff von Jugendlichkeit, Gesundheit, Kraft und sexueller Attraktivität. In der biblischen Mythologie und im mittelalterlichen Aberglauben galten Haare als Sitz und Symbol der Macht und der männlichen Stärke. Im Alten
Testament finden sich zahlreiche Geschichten in denen Helden, ihrer Haare beraubt, Kraft und Vitalität verloren. Allen voran Simson, der kraft seiner Haare einen Löwen mit bloßen Händen zerriss, bevor er durch den Verrat seiner Frau Delila geschoren wurde. Im Mittelalter wurde Haareschneiden als symbolische Kastration empfunden. Bei den Frankenkönigen war langes Haar Pflicht. Der Chronist Gregor von Tours berichtet im 6. Jahrhundert n. Chr., dass der Verlust des herrscherlichen Haares als Schande galt und ein guter Grund war, den Freitod zu wählen. Haarausfall kam einer Strafe Gottes gleich und folgerichtig wurde auch der Teufel gerne mit einer Glatze dargestellt.
Das hat sich nicht groß geändert. „Die Scham wegen eine beginnende Glatze empfinden viele Männer“, sagt Susanne Stransky, Haarberaterin der Schönheits-Klinik „Medical one“ in Berlin. „Jeder zweite Kunde will, dass den Eingriff keiner mitbekommt.“ Diese Öffentlichkeitsscheu kennt auch die Visagistin und Maskenbildnerin Kathrin Krüger. In ihrem Berliner Salon „siebenSchön“ hilft sie haarausfallgeplagten Männern mit „Schütt-Haar“, einem Pulver aus Mikrofasern, die sich an feine Flaumhäärchen der kahlen Stellen anlegen und so die Illusion von vollem und dichtem Haar erzeugen – bis zur nächsten Haarwäsche. „Die Angst davor, alt auszusehen und nicht mehr attraktiv zu sein, spielt für die Betroffenen die größte Rolle.“
Versuche, den frühzeitigen Haarausfall zu verhindern, sind keineswegs ein Phänomen unserer Zeit. Schon im alten Ägypten galt Haarausfall als eines der größten Ärgernisse. Vor allem die Pharaonen begegneten ihm mit zahlreichen Hausmitteln. Das „Papyrus Ebers“ aus dem 16. Jahrhundert v. Chr. berichtet, dass eine Paste aus Hundebeinen, Dattelkernen und Eselshufen Abhilfe schaffen solle. Auch im Alten Rom war eine Glatze eine mittlere Katastrophe: So musste sich laut Sueton sogar Caesar – trotz Lorbeerkranz – allerlei Hohn und Spott wegen seiner beginnenden Glatze anhören.
Eselshufspaste ist heute eher selten – doch auch die Kosmetikindustrie des beginnenden 21. Jahrhunderts hält zahlreiche Wässerchen, Sprays und Pillen für den Mann parat. Nur – sie wirken meist nicht. Dies liegt vor allem daran, dass die meisten Männer unter erblich bedingtem Haarausfall – der sogenannten Androgenetischen Alopezie – leiden. Das heißt: Haarausfall durch männliche Hormone. Mit steigendem Alter reagieren die Haarwurzeln empfindlicher auf Testosteron, genauer gesagt auf dessen Abbauprodukt Dihydrotestosteron (DHT). Weniger Haar wird nachproduziert und es fällt schneller aus.
Die würdigste Art mit Haarausfall umzugehen, bleibt offenbar trotzdem der Kahlschlag. „Die meisten Männer, die ich kenne, rasieren sich die Haare einfach ab“, erzählt Kathrin Krüger. Die Glatze ist salonfähig geworden. Sogar die Werbung setzt auf den neuen Trend: Der Parfumhersteller Bruno Banani wirbt mit einem glatzköpfigen Model und dem Slogan „ Für Männer, die sich nicht so ernst nehmen.“ Ein Satz, den Yul Brynner wahrscheinlich nicht unterschrieben hätte.
Screenshots und Foto: Alissa Scheunemann
Kupferstich: Meister E.S. (1460/65) bei Wikimedia Commons