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Früher war mehr Lametta

Es gehört zum winterlichen Stadtbild: Berlin macht Neujahrsputz und entledigt sich seiner Ex-Weihnachtsbäume. Aber wo kommen die eigentlich her und wo gehen sie hin?

Im Augenblick mag in Berlin nichts so recht einen winterlichen Eindruck machen. Kein Schnee, frühlingshafte Temperaturen um die 15 Grad und die dicke Winterjacke ist auch zu warm. Aber eine Sache gibt es da doch, die zumindest daran erinnert, dass ja vor kurzer Zeit noch Weihnachten war – ein Fest, dass bekanntlich im Winter stattfindet: Seit dem 6.  Januar liegen wieder zahllose ausrangierte Christbäume an Laternen, Stromkästen oder einfach am Straßenrand. Und alle Jahre wieder kommen auch die netten Männer in Orange, um die ehemaligen Schmuckstücke einzusammeln und zu entsorgen. Mit ca. 400.000 Stück rechnet die Berliner Stadtreinigung (BSR) und mit Kosten in Höhe von rund 1 Million Euro. Grund genug doch einmal zu fragen, wo die Tannen herkommen und wo sie nach Gebrauch eigentlich hingehen?

Berliner legen ihre ehemaligen Weihnachtsbäume meistens an Laternen

Berliner legen ihre ehemaligen Weihnachtsbäume meistens an Laternen

Rund 30 Millionen Tannenbäume werden jedes Jahr für den deutschen Markt gefällt. Wer aber glaubt die Bäumchen werden wie zu Großvaters Zeiten aus dem Wald geholt, der irrt: Sie kommen zumeist aus Monokulturen in Nordrhein-Westfalen. Die Tannen werden ganz unromantisch auf ehemaligen Waldflächen extra angebaut und mit jeder Menge Pestizide weihnachtstauglich gespritzt. Sie müssen den ästhetischen Ansprüchen der Kundschaft entsprechen. Das erinnert schnell an den Holzraubbau und die Plantagenwirtschaft im südamerikanischen Dschungel, und so ist es auch. Die Böden werden durch den massiven Pestizideinsatz dauerhaft geschädigt und viele Tiere verlieren ihren Lebensraum, warnt die Umweltorganisation Robin Wood.

„Dieses Jahr bleibt der Baum grün und umweltfreundlich!“

Bei so einer gewaltigen Zahl an Baum-Material bleibt es selbstverständlich nicht aus, dass viele der Bäume nicht verkauft werden, also Müll sind. Schon lange hält sich das Gerücht, dass diese dann in Zoos und Tierparks gebracht werden und dort an die Elefanten verfüttert werden. Zum Teil stimmt das sogar. Rund 250 Bäume wurden dieses Mal tatsächlich an den Berliner Zoo verschenkt. Für Elefanten sind Tannen wegen des süßen Harzes eine „Delikatesse“, bestätigt der Zoo. Diese Bäume durften aber nicht gespritzt sein, waren also Ökobäume. Die meisten „Übriggebliebenen“ sind also weiterhin ein Fall für die Abfallentsorgung. Sie kommen wieder mit ihren Kameraden zusammen, die nun nackt am Straßenrand liegen und auf ihre Abholung warten.

Opa und Vater Hoppenstedt schmücken den Baum mit Äpfeln. Grün und umweltfreundlich

Opa und Vater Hoppenstedt schmücken den Baum mit Äpfeln. Grün und umweltfreundlich

Apropos nackt: Wer kennt nicht die Loriot’sche Familie Hoppenstedt, wo sich der zauselige Opa beschwert, dass ja früher mehr Lametta war. „Nein! Dieses Jahr bleibt der Baum grün und umweltfreundlich!“ Als ich ein Kind war, war wirklich mehr Lametta. Was war das ein Spaß, die Reste des gülden-silbernen Flitterzeugs von den nackten Stängeln zu rupfen und fürs nächste Jahr aufzubewahren. Oma hat das Alu früher sogar noch gebügelt. Recycling at it´s best. Die BSR bittet übrigens darum, die Nordmänner doch bitte völlig zu entkleiden. So sind sie leichter zu entsorgen.

Einmal abgeholt werden die Tannenbäume zu 2.100 Tonnen Hackschnitzeln zerkleinert und in einem Heizkraftwerk in Spandau verbrannt. Der Stromriese Vattenfall kann so angeblich 1200 Tonnen Steinkohle und damit 2.800 Tonnen Kohlendioxid einsparen. Mit der gewonnenen Energie aus Weihnachtsbaumschnitzeln könnten 700 Berliner Haushalte ein Jahr lang mit Strom und Wärme versorgt werden. Ähnliches ginge bestimmt auch mit dem tannengeschwängerten Elefantendung aus dem Zoo. Er wäre auch ein guter Dünger für die nächste Generation Tannenbaum. So schließt sich der Kreis.

Auch bei einer großen schwedischen Billig-Möbel Kette ist jetzt übrigens nachweihnachtlicher Kehraus: Knut heißt das auf Schwedisch. Werbewirksam inszeniert: Der fallende Tannenbaum als Logo des neujahrs-induzierten Kaufrausches. Doch Vorsicht! Wie viele Berliner wurden nicht schon von herabsegelnden Nordmanntannen erschlagen? Die BSR warnt eindringlich.

Fotos: Alissa Scheunemann

Screenshot “Weihnachten bei Familie Hoppenstedt” (1978) : Alissa Scheunemann

 

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