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Die Bienenkönigin

Die Imkerei in Berlin ist heute zu einem beliebten Großstadt-Hobby geworden. Erika Mayr war eine der ersten, die in den 90er Jahren diesen Trend anstießen. Für sie ist die Imkerei eine Lebenseinstellung

An einem heißen Junitag steht Erika Mayr auf dem Dach des Aquacarré in Kreuzberg. Versonnen beobachtet sie, wie tausende Bienen um hohe Kästen aus Styropor sausen. Eifrig tragen die Bienen Pollen und Wasser ein, um ihre Brut zu füttern und Honig zu produzieren. Einmal die Woche sieht Erika Mayr hier nach ihren sechs Bienenvölkern; einige Kilometer Luftlinie weiter, auf dem Dach einer alten Fabrik, leben noch sechs weitere.

Sowohl für die Bienen wie auch für die Imkerin selbst ist dieser Standort eine Herausforderung: Die Bienen haben im Sommer viel Arbeit dabei, ihre Stocktemperatur von 37 Grad aufrecht zu erhalten, sonst drohen die Wachsplatten mit den Bruthöhlen zu schmelzen. Und da das Gebäude keinen Fahrstuhl hat, muss die drahtige Imkerin die bis zu 20kg schweren Kästen zur Honigernte alleine fünf Stockwerke hinunter und später wieder hochschleppen. „Ich bin eben gern dem Himmel so nah!“, erklärt Erika Mayr lächelnd. „Und solange ich es mir körperlich leisten kann, werde ich diese Art der Dachimkerei auch beibehalten.“ Die Freiheit, die sie hier oben genießt, ist Erika Mayr die Mühen wert. Der Blick schweift weit über die Dächer Berlins, die umliegenden Plattenbauten, alte Industriegebäude und zum Fernsehturm.

Die Wahl-Berlinerin lebt mit ihrem Lebensgefährten in einer Wohnung im Pallaseum in Schöneberg, einem riesigen Betonbau aus den 80er Jahren. Der kleine Balkon dort eignet sich nicht für die Bienenhaltung, doch davon abgesehen ist sie mit ihrer kleinen Wohnung zufrieden – da sie durch ihre drei verschiedenen Jobs einen Ausgleich hat und viel in der ganzen Stadt herumkommt. Erika Mayr ist nämlich nicht nur Imkerin, sondern auch Mitbesitzerin einer Kneipe, des Mysliwska in der Schlesischen Straße, ausgebildete Gärtnerin und studierte Landschaftsplanerin.

Ihre gesamte Kindheit und Jugend lang sah sie sich als richtiges Landei und konnte sich keinesfalls vorstellen, in eine Großstadt zu ziehen – vor allem nicht Berlin! Auf dem Hof ihrer Eltern in Oberbayern genoss sie die Nähe zur Natur, die Freiheit, eigenes Gemüse zu ziehen, Tiere zu halten. Ihre Eltern versorgen sich noch heute ausschließlich selbst. Damals konnte sich Erika Mayr nicht ausmalen, dass man inmitten der Hauptstadt landwirtschaftlich arbeiten konnte, wie sie es jetzt tut: „Ich find’s super, dass ich hier Landwirtschaft betreiben kann, ohne eigenen Grund und Boden zu haben. Dass ich hier ernten kann, aber die Bäume gehören mir nicht in dem Sinne. Die gehören uns allen.“

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Es war ihre ältere Schwester, die sie davon überzeugte, nach Berlin zu ziehen. Noch recht naiv und abenteuerlustig kam sie also ins Berlin der 90er Jahre, mitten rein in die Szene der Hausbesetzer, Künstler und Gründer von Clubs, Bars, Kneipen, … Im Mysliwska, welches Erika Mayr 2002 übernahm, übernahm sie für fünf Jahre die Nachtschicht hinter der Bar. Schon Ende der 90er erlebte sie, wie sich ihr Kiez von einem Geheimtipp zur Touristenattraktion verwandelte: „Als ich nach einem halbjährigen Aufenthalt in Kanada zurück nach Berlin kam, erkannte ich Kreuzberg kaum wieder: Touristenmassen schoben sich durch die Straßen, und im Mysliwska waren kaum mehr bekannte Gesichter.“

Es war auch im Mysliwska, dass Erika Mayr zuerst mit der Imkerei in Berührung kam. Es fiel ihr gewissermaßen so zu. Ein Freund plante ein Stadtbienenkonzept für Detroit auszuarbeiten und bat sie, ihm mit ihrem gartenbaulichen Wissen zur Seite zu stehen. Während der Arbeit am Projektentwurf setzte sich die Gärtnerin in den Kopf, das Imkern auch in Berlin auszuprobieren. Nach eingehender Recherche traute sich Erika Mayr zu einem ersten Besuch einer Imkerverbandssitzung in Berlin Charlottenburg.

„Als ich damals ankam, war ich völlig eingeschüchtert: Ein dutzend grauhaariger Herren mit jahrezehntelanger Imkereierfahrung sprachen über Themen, denen ich überhaupt nicht folgen konnte.“ Doch davon ließ sich die resolute Erika nicht abschrecken. In der Gruppe der Alt-Imker fand sie bald ihren „Imkerpaten“ Bernd, der sie geduldig in die Bienenpflege einführte. Mittlerweile ist sie selbst Vorstand des Imkervereins Charlottenburg und sieht mit Freude, wie das Interesse an der Stadtimkerei steigt. Es sind vor alle Frauen um die 40, die sich die Zeit nehmen wollen, einem oder mehreren Bienenvölkern ein Zuhause zu geben.

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Wenn Erika Mayr von ihren Bienen und ihrer Vereinsarbeit redet, spürt man ihre Begeisterung und nimmt sie direkt auf. „Die Imkerei ernährt uns psychologisch“, beschreibt sie den Mehrwert der Stadtimkerei. Denn sie scheint nicht unmittelbar lebensnotwendig zu sein – in der Stadt ernähren sich die Bienen haupstächlich von den Pollen großer Bäume wie Linde, Ahorn und Götterbaum, die keine für den Menschen essbaren Früchte tragen. Es ist tatsächlich auf dem Land, auf dem die Bienen eigentlich zur Bestäubung der Ernte so wichtig sind, dass sie durch Monokulturen und Einsatz von Pestiziden drohen auszusterben.

Erika Mayr sieht die Stadtimkerei deswegen als wichtiges Mittel, diese Probleme zur Diskussion zu stellen – dass es Bienen in der Stadt mittlerweile besser geht als auf dem Land. „Das ist, finde ich, überhaupt das Wichtigste, die Leute wachzurütteln, sie zum Nachdenken zu bringen: Wo kommt unser Essen her? Wer hat es produziert? Wie wurde es verändert? Wir wollen wissen, wo das Essen auf unserem Teller herkommt. Und wir wollen endlich wieder Nahrungsmittel essen, die gut schmecken.“

Honig ist ein reines Naturprodukt. Vielleicht eines der letzten. Und das gilt es für Erika Mayr zu bewahren. „Mit Honig verbinden wir Heimat und Geborgenheit. Weil Honig in unserer Kindheit meistens noch regional bezogen wurde und damit den unverwechselbaren Geschmack der Heimat trug.“ Auch der Berliner Honig hat, sogar abhängig vom Stadtteil, in dem die Bienenkörbe stehen, seinen ganz eigenen Geschmack. Somit ist ein Glas Honig ein Stück konservierter Berliner Sommer, und für Erika Mayr hat sich erst durch die Imkerei eine heimatliche Verbundenheit mit Berlin entwickelt. Erst durch die Imkerei, dieser zunächst überhaupt nicht urban klingenden Arbeit, konnte sie im wilden Berlin Wurzeln schlagen.

 

Photos: Kajsa Philippa Niehusen

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Kategorie: Gesellschaft

Aufgewachsen in der Nähe von Hamburg, Studium der Nordamerikastudien am John F.Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin mit Auslandssemestern an der University of Nottingham und University of California, Santa Barbara. Besondere Begeisterung für den Film und das Filmen und die amerikanische Kultur(-geschichte).

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