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Gehopft, gemalzt, geweddingt

Alles begann auf einem Balkon: André Schleypen, Julian Schmidt und Sebastian Mergel studieren nicht nur zusammen Brauerei- und Getränketechnologie, sie brauen auch selbst. Daraus ist mittlerweile die Kiezmarke Beer4Wedding entstanden. Beim Kulturfestival im Berliner Supermarkt erzählen die jungen Unternehmer, was für sie den Wedding ausmacht und warum sie mit einer Kaffee-Rösterei zusammenarbeiten.*

 

Wie entstand die Idee, eine eigene Biermarke zu gründen?

Wenn man so etwas Spezielles studiert, dann hat man ja oft den Wunsch, sich selbständig zu machen und etwas Eigenes zu schaffen. Julian braut schon sehr lange selbst. Wir haben uns alle während des Studiums kennengelernt, angefangen zusammen zu brauen und immer wieder neue Rezepte ausprobiert, oft auch jenseits des Reinheitsgebots. Zuerst haben wir das Bier auf Partys, zu Freunden oder Open-Airs mitgenommen und dabei viel positive Rückmeldung erhalten. Danach haben wir bei dem studentischen Brauwettbewerb der TU Hamburg-Harburg mitgemacht. Auch da ist unser Bier sehr gut angekommen. Mit so viel Resonanz haben wir uns dann irgendwann gedacht: Ok, versuchen wir das doch einfach mal.

Eure erste Bier-Sorte nennt sich “Wedding Pale Ale” (WPA). Was ist das Besondere daran?

Bei dem WPA handelt es sich um ein “India Pale Ale”, aus dem wir kurzerhand ein “Wedding Pale Ale” gemacht haben. Es handelt sich um einen Biertyp, der in Amerika und England sehr bekannt ist. Ursprünglich wurden IPAs gebraut, um sie in die Kronkolonien zu verschiffen. Für den langen Seeweg wurden sie stärker gehopft, um sie für die Reise haltbarer zu machen. Meist hatten sie dann noch einen höheren Alkoholgehalt.

Das “WPA” enthält Malz und Hopfen, aber auch Reis. Wie verändert der Reis den Geschmack des Bieres?

Reis enthält, genauso wie Malz, Stärke. Die Stärke wird zu Zucker umgewandelt, und dieser wird später zu Alkohol vergoren. Wir haben einen Teil der Schüttung durch Reis ersetzt, um dem Bier einen schlankeren Körper zu geben. Das bedeutet einen etwas weniger ausgeprägten Geschmack nach Malz, da wir dem Hopfen mehr Raum geben wollten, ohne dabei auf Alkohol verzichten zu müssen.

Eure nächste Biersorte wird “Oyster Stout” heißen.

Auch das ist ein historischer Biertyp. Entstanden ist das Oyster Stout aus der Tradition, in Küstengebieten Austern in Pubs zu servieren. Austern waren früher ein “Arme-Leute-Essen” und billiger als Erdnüsse. Irgendwer wird sich wohl mal gedacht haben, was gut mit Bier zusammen funktioniert, das schmeckt eventuell auch, wenn man es gleich mit verbraut. Die Eiweiße der Austern machen das Bier cremiger und vollmundiger.

Beim “Oyster Stout” wird es exotisch: Kaffee, Haferflocken, Austern und Schokolade. Wie kam es zu dieser außergewöhnlichen Kombination?

Haferflocken sind Zutaten, die häufig bei Stouts zum Einsatz kommen, wie zum Beispiel beim “Oatmeal Stout”. Wir haben uns dazu entschieden, Schokolade und Kaffee mit zu verbrauen, um die typischen Stout-Aromen zu unterstreichen. Den Kaffee beziehen wir von der Kaffeerösterei Coffee Star aus dem Wedding, wo exklusiv für uns Kaffeebohnen geröstet werden.

Wie hoch ist die Produktionsauflage und wie organisiert ihr die Produktion neben eurem Studium?

Pro Sud brauen wir etwa 600 Liter. Es ist natürlich zeitaufwendig, Vertrieb und Produktion sowie die Entwicklung neuer Rezepte neben dem Studium zu organisieren. Das Studium leidet im Moment auch etwas darunter, aber wir lernen unglaublich viel, was man im Studium so nicht lernt und daher ist das gerade ein Preis, den wir bereit sind, zu bezahlen.

Bierbrauen im Kiez, wie der Name Beer4Wedding schon sagt. Was macht für euch den Wedding aus?

Der Wedding zeichnet sich durch seine große Vielfalt aus. Wenn man ein bisschen sucht, findet man hier alles. Ich mag vor allem die Gegend um die Müllerstraße. Es gibt hier viele schöne und weitläufige Parks. Wir mögen die historische Bedeutung des Weddings als ehemaliger roter Arbeiterbezirk. Der Wedding ist noch nicht vollständig gentrifiziert und man hat hier auch seine Ruhe, wenn einem danach ist. Gleichzeitig tut sich hier aber auch eine Menge. Es fühlt sich ein bisschen an wie ein Bezirk, der im Aufbruch ist.

Wo gibt es euer Bier zu kaufen?

Das Bier kann man in einigen Bars im Wedding bestellen oder in einigen Fachgeschäften und Biershops kaufen. Außerdem gibt es einen Online-Shop für Bier, der uns ins Programm genommen hat. Am Anfang sind wir einfach zu Kneipen oder Geschäften gegangen, haben ihnen davon erzählt und gefragt ob sie uns mal eine Chance geben wollen. Mittlerweile bekommen wir auch Anfragen von Bars und Restaurants jenseits des Wedding.

Habt ihr die Möglichkeit gehabt, als junge Unternehmer finanzielle Unterstützung von privater oder staatlicher Seite zu bekommen?

Bis jetzt haben wir alles selber gestemmt und schaffen es, durch den Verkauf die Produktion zu refinanzieren. Das heißt wir schreiben schwarze Zahlen, wenn auch sehr kleine. Natürlich sind wir noch etwas davon entfernt, uns selber Geld auszuzahlen. Sämtliches Geld wird immer gleich reinvestiert. Um staatliche Förderungen bemühen wir uns gerade. Allerdings sind viele Gründerwettbewerbe oder ähnliches eher an technologischen Innovationen interessiert.

Beim Rating der Plattform Bier-Index habt ihr 71% erreicht. Gleichzeitig ist euer Motto: “Schmecken muss es. Aber nicht jedem”. Wie kommt das Bier im eigenen Freundeskreis an?

Grundsätzlich kommt es sehr gut an. Natürlich gibt es auch Menschen, denen das Bier einfach etwas zu bitter ist, aber überwiegend bekommen wir sehr gute Kritiken. Uns war es wichtig, ein Bier herauszubringen, das uns schmeckt und das sich nicht am Massengeschmack orientiert. Dass so etwas dann polarisiert, war uns klar, aber wir wollten kein Bier machen, das nach einem “Kompromiss” schmeckt.

Die Redaktion von Bier-Index schreibt: “Aromatisch ein sehr interessantes Bier, dem ein wenig die klare Linie fehlt.” Braucht ein Bier eine klare Linie oder lebt der Geschmack von der Vielfalt?

Ehrlich gesagt wissen wir nicht ganz, was eine “klare Linie” sein soll oder was andere darunter verstehen. Wir haben Spaß an Vielfalt und wir freuen uns, wenn man bei Bier auch so etwas wie die Handschrift des Braumeisters herausschmeckt. Unserer Meinung nach müssen Biere einer Sorte nicht alle gleich schmecken. So etwas macht die Biere dann auch schnell beliebig und austauschbar.

Ihr studiert zusammen an der TU Berlin Brauerei- und Getränketechnologie. Was sind die Herausforderungen im Studium und welchen Klischees begegnet ihr außerhalb der Uni?

Die Meisten sind überrascht, was wir alles für Fächer belegen müssen, zum Beispiel Thermodynamik, Konstruktion und Werkstoffe, Analysis und Lineare Algebra. Die ersten drei Semester hat das Studium auch noch gar nichts mit Bier zu tun, und wir haben dieselben Vorlesungen wie Bio- oder Lebensmitteltechnologen. Es ist also nicht so, dass man sich nur mit Biertrinken beschäftigt.

Was haben eure Eltern gesagt, als ihr euch entschieden habt: “Ich studiere jetzt Bierbrauerei”?

André: “Naja, dann wirst du dir das schon überlegt haben.”

Julian: “Meine Mutter hat daran geglaubt, dass ich genau die richtige Wahl getroffen habe.”

Sebastian, du hast vorher eine Ausbildung zum Winzer gemacht. Wie empfindest du die Bierherstellung im Vergleich zur Weinerei?

Als Winzer hat man sehr viel mit der Produktion der Rohstoffe, also den Trauben, zu tun. Der landwirtschaftliche Aspekt fällt als Brauer fast vollständig weg. Ein bisschen vermisse ich manchmal die Feldarbeit beziehungsweise das Arbeiten unter freiem Himmel. Ich sehe aber in der Bierproduktion eine größere Vielfalt und mehr Möglichkeiten, sich kreativ auszuleben.

Für die meisten Studenten ist Bier ein angenehmer Gegenpol zum Studium, zum Beispiel beim Fortgehen. Bei euch ist es der Mittelpunkt des Studiums und nun auch bei der eigenen Produktion. Nervt euch Bier manchmal?

Manchmal muss man die ganze Fachsimpelei auch beiseitelassen und den Kopf frei bekommen, auch unseren Freunden zuliebe. Dann ist ein Bier einfach nur ein Bier. Allerdings muss man schon aufpassen, dass man nicht zu viel trinkt und sich den ein oder anderen alkoholfreien Tag in der Woche verschreibt. Genervt sind wir aber von Bier noch lange nicht.

Welches Bier der Konkurrenz trinkt ihr am liebsten?

Sebastian: “Ich bin aktuell ein großer Rauchbier-Fan und mag vor allem die Biere aus Bamberg und Umgebung. Aus Berlin trinke ich gerne die Biere von Johannes Heidenpeter aus der Markthalle in Kreuzberg, vor allem sein Thirsty Lady ist eine Wucht.”

André: “Allgemein bin ich ein großer Stout-Freund und probiere alles, was in die Richtung geht. Davon abgesehen freue ich mich auf die Eröffnung der Vagabund Brauerei. Was wir probiert haben, ist sehr vielversprechend.”

Julian: “Interesse habe ich immer an ungewöhnlichen Bieren, weil ich es spannend finde, was man alles aus dem Thema Bier herausholen kann. Sehr gerne trinke ich die Biere von Schoppe-Bräu. Das relativ neue ROGGEN Roll Ale finde ich richtig klasse.”

Wo seht ihr euch in zehn Jahren?

Es wäre toll, wenn wir es bis dahin geschafft hätten, aus dem Projekt Beer4Wedding ein mittelständisches Unternehmen wachsen zu lassen. Auf jeden Fall ist unser Ziel eine eigene Brauerei hier in Berlin. Es gab mal eine Zeit, da existierten über zehnmal mehr Brauereien in Berlin als heute. Da ist also noch ein bisschen Platz. Toll wäre es auch, Teil einer neuen Bewegung hin zu mehr Vielfalt zu sein.

 

* Soweit nicht anders gekennzeichnet, antwortet Sebastian im Gespräch stellvertretend für alle

Auf dem Foto von links nach rechts: André Schleypen, Julian Schmidt und Sebastian Mergel. Foto: Jascha Eidam

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