Gesellschaft
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Der kontroverse Döner

Wie fasst man europäische Lebenswelten in drei Ausstellungsräume? Dem Museum Europäischer Kulturen gelingt dieses Kunststück mit überraschenden Exponaten – ohne Staub und Langeweile

Der freundlichste Museumswärter der Welt bringt ungefragt einen Übersichtsplan, als er den Anflug von Orientierungslosigkeit sieht. Tatsächlich ist das Museum Europäischer Kulturen etwas schwierig zu finden. Unter einem Dach mit zwei weiteren Dahlemmuseen (Ethnologie, Asiatische Kunst) hat es zwar einen eigenen versteckten Seiteneingang, wer aber durch den Haupteingang kommt, durchquert erstmal die verwinkelten Gänge Nordamerikas und Perus. Der Weg zum Museum ist kompliziert – heute räumlich, früher geschichtlich. Die Sammlung wurde immer wieder auseinander gerissen, zusammengeführt, erbeutet, zerstört, unter wechselnden Namen nach Ost und West verteilt, schließlich nach Dahlem gebracht. Inzwischen ist Ruhe eingekehrt – wahrscheinlich aber nur bis 2019. Dann kommt das Umzugsunternehmen, packt wochenlang die Nachbarmuseen in Kisten und bringt sie ins Humboldtforum. Das Museum Europäischer Kulturen aber bleibt in Dahlem. Im schlimmsten Fall kehrt dann die ganz große Ruhe ein.

Bis dahin streift man staunend zwischen Vitrinen, Hörstationen und einer elf Meter langen Gondel aus Venedig umher. Museumsdirektorin Elisabeth Tietmeyer und die Ethnologin Irene Ziehe zeichnen für die Dauerausstellung verantwortlich. Sie haben einen modernen Ansatz erdacht: Land für Land mit Trachten und Schmuck – das ist überholt; ein Konzept aus der Zeit, als Europa noch als ein kultureller, geographischer Raum gedacht wurde. Heute ist Europa eher eine Idee als ein Territorium; die Grenzen sind längst nicht mehr starr, sondern dynamisch. Was tut man also, wenn man Europa ausstellt? Man stellt Ideen aus.

 Begegnungen, Grenzen – und wir mittendrin

Plastikdöner

Umstritten: Der Dönerspieß als Sinnbild für kulturellen Austausch im Museum für Europäische Kulturen

Die Idee der „Begegnung“ führt uns zum Beginn der europäischen Beziehungen. Am Anfang stand der Handel, später kam der Tourismus, dann Migration im großen Stil. Menschen, Ideen und Waren durchqueren den ganzen Kontinent, kommen an oder fahren weiter. Glücklicherweise versucht man nicht, dies mit einer öden Landkarte und Pfeilen zu illustrieren. Stattdessen thront ein riesiger Plastikdöner auf einem Podest. Daneben: Espressotassen und Wasserpfeifen – Sinnbild einer Vielfalt, die aus Handel, Reise und Migration erwachsen ist. Der Wärter schaut herüber. Was hält er eigentlich vom Grillspieß? „Ja, der Döner…der ist sehr kontrovers. Manche finden den richtig gut und andere meinen, dass der überhaupt nicht hier hin gehört. Ich glaube, deswegen ist der eigentlich ein gutes Objekt, weil die Leute sehr stark darauf reagieren.“

Der zweite Raum spricht über „Grenzen“. Auch hier keine Landkarte, stattdessen ein Sinnieren darüber, welche Gemeinschaft uns am ehesten prägt: unser Ort, unsere Region, unsere Nation oder eben doch Europa? Tatsächlich ist hier dann doch eine Tracht ausgestellt, ein Schützenanzug, Seite an Seite mit dem WM-Trikot von Mesut Özil. Was daran deutsch ist und wo die Grenze zum nichtmehr-Deutschen ist, soll der Besucher selbst beantworten.

Münzen, Notenblättern, Landkarten, Zeitungen und Plakaten aus allen Ecken des Kontinents hat Modemacher Stephan Hann zu zwei „Europakleidern“ verklebt und vernäht. Ein typisch europäisches Kleidungsstück? Unmöglich, dies zu beantworten, denn die Frage nach der europäischen Identität bleibt bewusst offen. Die Ausstellung legt uns aber nahe, dass diese Bezeichnung vielleicht zu groß gedacht ist. Vielleicht sind wir keine Europäer, sondern Neuköllner, Kreuzberger – oder das genaue Gegenteil: Weltbürger. Oder alles zusammen.

 Andächtiges Knopfdrücken

Zuletzt geht es um Religion. Alle Glaubensrichtungen verfügen über heilige Objekte; eine Gemeinsamkeit, die sie gleichzeitig voneinander trennt. Stolz führt ein zweiter Museumswärter, er kommt aus dem Iran, den Weihnachtsberg vor: Eine mechanische Krippe aus dem Erzgebirge, die nicht nur die Weihnachtsgeschichte, sondern das ganze Leben Jesu nacherzählt. Die vielen Rädchen und Laufbänder, die zum Beispiel den Erzengel Gabriel hereinschweben lassen, brauchen Platz: Zwölf Meter bewegliche Christuserzählung! Man steht andächtig davor und ist begeistert; der Wärter drückt noch mal auf den Knopf: Weihnachten als globales christliches Fest für alle, tief verwurzelt im lokalen Kunsthandwerk.

Nach drei Stunden läuft man zurück zum Eingang. Die Wärter wünschen ein schönes Wochenende, freuen sich sichtlich auf ihren Feierabend. Zurück bleibt das Gefühl, ohne Anstrengung wirklich etwas gelernt zu haben. Später, im echten Leben, erinnern uns Döner und Espressotassen an die Ausstellung zurück. Die Nachwirkung hält noch lange an: Wir treten einen Schritt zurück und fragen, welche Rolle unser eigenes Handeln in der Geschichte Europas spielt und spielen wird.

 

Link zur Museumsseite

Fotos: MEK,  Geoff Gallice | CC

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Kategorie: Gesellschaft

hat viel studiert, viel gesungen, Wasservögel gerettet und einen Abschluss in Biologie und Französisch. Weiß Bescheid über niedliche Tiere, Johann Sebastian Bach und Guillotinen.

2 Kommentare

  1. manko sagt

    Warum legt ihr keine Links zu den besprochenen Veranstaltungen? Ist mir bei einem anderen Artikel auch schon aufgefallen. Oder hab ch was übersehen?

  2. Agnes Monka sagt

    Vielen Dank für den Vorschlag, der Link wurde hinzugefügt und die Anregung an alle herangetragen.

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