Gesellschaft
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Zahnfee mit Stahlfaust

Mit Faust und Schlagring böse Blumen säen

Baumblütenfest Werder – Mit dem Touristendampfer in die No-Go-Area

Werder an der Havel ist in den letzten Apriltagen ein Ort, den meiden sollte, wer in keine
Schlägerei verwickelt werden will. Dass für das Volksfest ahnungslose Touristen angeworben
werden schadet dem Ruf Brandenburgs nachhaltig.

Mit Faust und Schlagring böse Blumen säen

Die ersten wärmenden Sonnenstrahlen des Jahres. Raus aus Beton-Berlin Richtung Brandenburg ins Grüne, im Park Sanssoucis flanieren, bei freier Sicht frei atmen, auf der Wiese liegen und den Vögeln
zuhören. Später am Abend irgendwo einkehren, Brotzeit gegen den Hunger des ersten Ausfluges an der frischen Luft. In der Touristeninformation am Bahnhof Potsdam hängen Plakate mit Kirschblüten und einem Ausflugsdampfer: „Besuchen Sie das 133.
Baumblütenfest in Werder, das größte Volksfest Ostdeutschlands.” In zehn Tagen kämen 500.000 Menschen aus aller Welt an die Havel, erklärt die freundliche Torismus-Fachfrau am Schalter.

Werder ist keine halbe Stunde entfernt und man soll Bauernbrotzeiten unter Kirschbäumen bekommen, die Entscheidung ist schnell getroffen. Für echte Berliner klingt das jetzt vielleicht wie ein Witz:
Ich bin mit meinen indischen Freunden zum Abschluss unserer Frühlings-Tagestour tatsächlich nach Werder gefahren. Wir dachten arglos, in den Obstgärten entspannt Obstwein trinken zu können, wie es auf dem Poster angekündigt war. Für alle Nicht-Berliner: Das Baumblütenfest Werder ist soetwas wie der kollektive Rückfall auf eine vorzivilisatorische Stufe der Menschheit und das ist allgemein bekannt, denn jeder, dem ich folgende Erfahrungen geschildert habe, meinte: „Da fährt man ja auch nicht hin. Jeder weiß, dass in Werder nur Assis sind!“ Oder: „Man geht doch nicht auf ein Volksfest nach Brandenburg. Da sind nur Nazis.“
„Stimmt“, könnte man jetzt sagen, wenn man dabei war. Bereits der kleine Bahnhof des 23.000 Seelen-Ortes Werder ist an diesem Tag ein Panoptikum der Barbareien. Ein Mann zieht seiner Freundin das Top herunter, damit man ihre Brüste sieht. Wie nett von ihm, denn sonst wüsste man nicht, dass die Frau zwei Grapsch-Hände auf eben diesen tätowiert hat. Vier Polizisten in voller Einsatzmontur lotsen uns mit Megafonen durch eine Schleuse aus Absperrgittern, während mich der drängelnde Hinter- auf den schweißnassen Vordermann drückt. Spätestens nach einer Taschendurchsuchung(„Haben Sie Waffen, Drogen oder Glasflaschen dabei?“) ist klar, dass man hier keinen lauen Frühlingsabend unter duftenden Blüten verbringen wird. Aus dem Polizeibericht in der Märkischen Allgemeinen: „Insgesamt sprach die Polizei gegen 192 Personen, welche die öffentliche Sicherheit und Ordnung störten, Platzverweise aus.“

Hat man sich durch einen Parcours aus Erbrochenem und Urinpfützen einen Weg durch das Getümmel gebahnt, ist man zunächst von der erstaunlichen optischen Ähnlichkeit der Gäste verwirrt, besonders wenn man aus einer heterogenen Stadt wie Berlin kommt und eine gewisse Durchmischung verschiedener Gesellschaftsschichten gewohnt ist. Die Masse, die in Love Parade-Dimensionen die kleinen Straßen des Städtchens nahezu unpassierbar macht, besteht aus Solarium-gebräunten Frauen in Neonpink mit blondiertem Haupt- und schwarzgefärbtem Deckhaar. Auf der Oberlippe tragen sie Kristall-Stecker, auf dem Kopf Pailletten-Cowboyhüte und in der Hand Plastik-Flaschen mit süßem, rotem
Johannisbeerwein. Die zugehörigen Männer haben auffallend trainierte Oberarme, Bürstenschnitte und tragen absichtlich abgewetzte Jeans oder Jogginghosen, Strohhüte und ärmellose T-Shirts mit Spongebob-Schwammkopf-Konterfei oder Aufschriften wie: „Hass“ in altdeutschen Buchstaben „Wer Wind säht wird Sturm ernten“ oder auch „Zahnfee“ auf einer Faust platziert, was so viel bedeutet, wie „Bereit, Zähne auszuschlagen“.

Für eine No-Go Area werben


Kurz: In Werder fallen wir unfreiwillig auf. Man dreht sich um, es ist wie eine Realsatire, ein Spießroutenlauf durch ein überdimensioniertes Sonnenstudio in Marzahn. Die Statisten in diesem Stück starren aus großen Pupillen, bearbeiten ihre Kaugummis, schubsen sich, sind nicht nur auf Johannisbeerwein unterwegs, „Speed-Opfer“ steht auf einem der T-Shirts. „Wie überheblich, sich über die Outfits Brandenburger Unterschichtszugehöriger zu mokieren“, werden nun einige denken. Doch erstens muss das exorbitant dominante Straßenbild beschrieben werden, um ein Gefühl für die Situation zu vermitteln, zweitens ist der Rückschluss, dass die unübertrieben und ungeschönt beschriebenen Personen einer bestimmten Schicht angehören ein durch einschlägige Erfahrungen konditionierter Reflex und nicht meine Idee. Drittens fallen wir in dieser Masse nicht nur aufgrund anderer Kleidung, sondern auch wegen der dunkleren Hautfarbe meiner indischen Begleiter sofort auf.

Auf unserer Strecke vom Bahnhof, die kleine Straße hinauf bis zu den Obstgärten und im Obstgarten selbst gibt es kein farbiges Gesicht. Dafür gibt es Kommentare: „Bei uns machen die Kanacken gefälligst den Deutschen Platz.“ „Was für eine schlimme Verallgemeinerung“, könnte man nun einwerfen und argumentieren, dass es auf dem Baumblütenfest Werder auch schöne Ecken gibt. „Kann sein“, würde ich antworten. Ich habe sie aber nicht gesehen und so wird es anderen Besuchern auch gehen, denn Potsdam wirbt mit dem Fest („Familienveranstaltung“) gezielt Touristen an,
die nunmal nicht alle aus Brandenburg stammen und man kommt mit dem Zug eben genau in dieser Ecke an und in keiner anderen. Würde man auf die Bekannten hören, die im Nachhinein gesagt haben, auf keinen Fall zum Baumblütenfest zu fahren und Brandenburgs Kleinstädte als Farbige ohnehin zu meiden, würde man eingestehen, dass es In Deutschland No-Go Areas gibt. Neonazis haben das Wort „Nationalbefreite Zone“ geprägt und meinen damit eben solche Gegenden.

Warum wirbt Potsdam für ein Fest in einer No-Go Area? Und ist das wirklich das Image, das Brandenburg nachhaltig anhaften soll? Nach einer Stunde haben wir den Rückzug aus den Obstgärten angetreten, nachdem Rocker in Lederkutten (sind die nicht eigentlich in den 80er Jahren ausgestorben?) laut pöbelnd neben uns Platz genommen hat. In der S-Bahn zurück nach Berlin  erbrach ein Teenager auf den Sitz seines Gegenübers, der Mann im Zahnfee-T-Shirt hielt einem jungen Mann den ausgestreckten Mittelfinger direkt vor die Nase, brüllte ihm feucht „Du Schwule Sau“ ins Gesicht und ein dünner, braungebrannter Mann schmiss den Gehwagen eines alten Mannes aus dem Zug. Sein Kommentar: „Jetzt kannste nicht mehr laufen, Alter.“ Die Antwort des Alten: „Bei uns wärst Du vergast worden.“

 

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Kategorie: Gesellschaft

Maja Hoock will keine prätentiösen Kultur-Texte lesen. Falls sie welche schreibt, darf sie keinen Nachtisch haben. Gut findet sie die Feuilletonisten, die flanieren können. Tucholsky, Hessel, ihr habt gut hingesehen.

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