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Vom Lokführer zum Präsidenten

an-Hendrik Olbertz ist seit 2010 Präsident der Humboldt Universität Foto: Jens Schlueter/ddp

an-Hendrik Olbertz ist seit 2010 Präsident der Humboldt Universität Foto: Jens Schlueter/ddp

Gesichter der Uni: Redegewand, bescheiden, sportlich und ein verständnisvoller Träumer. Seit 2010 ist Jan-Hendrik Olbertz Präsident der Humboldt-Universität (HU). Mit vollem Einsatz kümmert er sich um seine “kapriziöse und elegante” Institution. Das macht ihn beliebt bei den Studenten.

Den Teppich hat er selbst ausgesucht. „Ich würde sagen, die Farbe ist ein blasses Schilfgrün.“

Jan-Hendrik Olbertz ist gerne in seinem Büro. Es ist ein großzügiger Raum, so wie es sich für einen Präsidenten gehört, mit Blick auf die historische Mitte Berlins, das alte Forum Fridericianum. Dennoch findet man in dem Büro kaum große Insignien der Macht. Es stapeln sich keine Bücher in deckenhohen Regalen – nur Unmengen von Blättern auf einem Schreibtisch.

Es gibt keine aufgedonnerten Sitzmöbel – nur eine schwarze Ledercouch samt ebenso unscheinbaren Sesseln.
Trotzdem ist es „ein bisschen too much“, findet Jan-Hendrik Olbertz. „Wäre das Haus kein denkmalgeschütztes Gebäude, könnte ich diese Quadratmeterzahl bestimmt nicht mit meinem Amt rechtfertigen.“

Seit eineinhalb Jahren ist er Präsident der Humboldt-Universität (HU) zu Berlin.
Während der 57-Jährige über sein Amt und die Vorzüge der HU spricht, ruhen die großen Hände auf seinen Knien.
Olbertz redet in gewählten Worten, fast „wie gedruckt“, würde der Berliner sagen. Es fällt ihm leicht, immerhin war er acht Jahre Kultusminister in Sachsen-Anhalt.

Morgenstund hat Gold im Mund

Seinen Tag beginnt Olbertz in aller Regel um halb neun im Büro. Mehrmals in der Woche hat er Sitzungen mit allen erdenklichen Organen der HU. Wöchentlich gibt es die große Universitätsleistungssitzung (UL), dann die kleine und am Montag eine informelle Imbissrunde.

In der Zeit vor und nach den Besprechungen liest Olbertz Protokolle und Anträge, um die nächsten Sitzungen vorbereiten zu können. Der Präsident ist verkettet mit dem Universitäts-Apparat. Er trifft seine Vizepräsidenten, Verwaltungsmitglieder, Pressemitarbeiter und Studenten. Immer geht es darum, Entscheidungen vorzubereiten und zu treffen. Olbertz gibt sich bescheiden. „Es ist wichtig, seine Vorschläge geschickt zu begründen und ein Einvernehmen aller Beteiligten herzustellen“, sagt er. „Es geht nicht darum, etwas nur zu beschließen, sondern vielmehr um das konsultative Moment im Vorfeld.“

„Ich schwärmte damals für alte Dampflokomotiven.”

Olbertz’ akademische Karriere war von Anfang an vorgezeichnet. Beide Eltern sind promoviert. Früher wollte er allerdings Lokführer werden. „Ich schwärmte damals für alte Dampflokomotiven, für das Ursprüngliche, das mit Hitze, Kraft und mit handfesten Dingen zu tun hat.“

Während sich der Präsident an seine Kindheit erinnert, löst er sich aus dem Politiker-Gestus.
Olbertz erhebt sich von seinem Ledersofa und bewegt die Hände, als wolle er eine fiktive Dampfzugmaschine zum Hupen bringen. Seine große Statur und die breiten Schultern zeugen von Sportlichkeit. Es ist ein Leichtes, sich den Präsidenten als zwölfjährigen Fußballkapitän vorzustellen, dennoch gehörte Sport einst zu seinen schlechtesten Fächern:

„Ich habe mich zu jener Zeit furchtbar aufgeregt, dass meine Leistung daran gemessen werden sollte, wie hoch ich springe.“

Vielmehr prägte die Faszination für Literatur seine Kindheit, er war ein manischer Leser und ist es bis heute geblieben.

“Undiszipliniert und ein bisschen verlottert”

Nachdem der Berufswunsch Lokführer ausgeträumt war, studierte er Pädagogik in Greifswald und Halle.
In seinen ersten Studienjahren war Olbertz zwar sehr interessiert, aber auch „undiszipliniert und ein bisschen verlottert“. Einen Beweis dafür liefern Fotos aus den ersten Semestern: „Ich sah damals nicht gerade vertrauenerweckend aus“ sagt er lächelnd.

Noch im Studium wurde er Vater und stellte sich seiner Verantwortung: „Auf einmal wurde ich immer zielstrebiger und gehörte am Ende zu den Besten. Aber das hätte am Anfang des Studiums niemand vorhersehen können.“

Wie eine Frau mit viel Ausstrahlung

Olbertz macht es sich wieder auf seinem Sofa gemütlich, er gehört zu den Menschen, die ruhen, wenn sie sitzen.
An der HU fühlt er sich inzwischen zu Hause. Er gerät ins Schwärmen, wenn er über seine Universität spricht: „Wäre sie eine Frau, würde sie wahrscheinlich eine gebildete und elegante Dame sein, vielleicht auch mit kapriziösen Zügen, aber auf jeden Fall mit richtig viel Ausstrahlung.“

Der Charme der Universität gründet auch im Charme ihres Standorts. Der Präsident weiß um die Zerstreuungen, die Berlin birgt. Er erwartet nicht, dass seine Studenten Tag und Nacht lernen, sondern weiß, dass es auch ein stürmisches Leben abseits der Bücher gibt.

Berlin ist für Olbertz eine Stadt, die zwischen Inspiration und Versuchungen lebt – sowie seine Universität.

Anna Prizkau

Dieser Artikel erschien in der Berliner Zeitung Beilage ‘Semesterstart’ vom 10. April 2012

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