Gesichter der Uni
Ob Fenster und Türen auszuwechseln sind, oder beschädigte Möbel repariert werden müssen – in einer Universität fallen ständig Instandsetzungsarbeiten an. Dafür ist es sinnvoll, eine eigene Tischlerei zu haben.
Die Werkstatt der Technischen Universität (TU) Berlin liegt zwischen dem Ernst-Reuter-Platz und dem Großen Stern auf der sogenannten Schleuseninsel am Landwehrkanal. Gleich daneben steht die ehemalige Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau. Mit ihrer riesigen rosa Röhre erkennt man sie schon von der S-Bahn aus. Über eine kleine Brücke gelangt man zur Zentralwerkstatt der TU. Im Untergeschoss befindet sich die Tischlerei, man muss nur dem Geruch von frisch gesägtem Holz folgen.
Der Leiter der Tischlerei ist Torsten Spielhagen. Ein jugendlich wirkender, aufgeschlossener Mann mit kräftiger Stimme. Der 42-Jährige arbeitet hier mit fünf Gesellen und acht Auszubildenden, unter denen auch ein Gehörloser ist. Zurzeit fertigen sie vor allem Fenster an, aber auch Türen, Büromöbel, Teeküchen und Messebau gehören zu ihrem Repertoire. Der Tischlermeister ist stolz auf seine routinierte Mannschaft: „Die Arbeit ist abwechslungsreich, und mit dem tollen Team macht es einfach Spaß“, sagt er.
Seit 2005 sitzen sie auf der Insel. Die Werkstatt ist modern ausgestattet. Das Highlight ist eine CNC-Maschine, die vor drei Jahren angeschafft wurde. Mit dieser großen Maschine können Werkstücke von komplexen Formen vollautomatisch und mit hoher Präzision hergestellt werden. Sie sägt und fräst nach einem Modell, das in einem CAD-Programm gezeichnet wurde, ohne dass jemand groß eingreifen muss.
Spielhagen läuft durch die große helle Werkstatt und hat für jeden der Mitarbeiter einen Spruch. Seine Gesellen sind schlagfertig: „Ich bin neidisch, ich dachte, ich komme auf Seite eins“, ruft einer, lacht und fährt er auf seinem Gabelstapler weiter. Er trägt wie alle hier Lärmschutzkopfhörer. Torsten Spielhagen ist nicht nur der Tischlermeister, sondern er leitete die Werkstatt auch einige Jahre lang kommissarisch. Er ist froh, dass 2009 ein neuer Leiter für die ganze Zentralwerkstatt gefunden wurde. Mit ihm habe der Stress stark abgenommen.
Die Tischlerei ist eigentlich eine Instandsetzungswerkstatt, aber trotzdem ergeben sich immer wieder spannende Aufgaben für Projekte einzelner Institute der TU. „Vor einiger Zeit haben wir ein Tragflächenprofil für einen Windkanal gebaut“, sagt Torsten Spielhagen. So etwas sei vor allem auch für die Azubis der Werkstatt eine interessante Abwechslung. Für den Tischlermeister ist es immer wieder eine Herausforderung, verschiedene Interessen zu vereinen. So wünsche sich ein Architekt zum Beispiel eine schön schmale Fensterdicke, „aber wir müssen auch die Isolation und Windkraft beachten“, sagt er.
Mit den Jahren kamen immer mehr Aufträge, die Werkstatt schafft es kaum, ihnen nachzukommen. Unter anderem habe die TU eine Tendenz zur Zentralisierung, und da fielen immer wieder neue Arbeiten bei Umzügen an, sagt der Tischlermeister. Weil oft spontan Aufträge reinkommen, muss er andere auf die lange Bank schieben. Instandsetzungen nach Einbrüchen oder eilige Terminarbeiten haben Priorität.
Direkten Kontakt zu Studenten gibt es wenig, aber wenn, dann macht Spielhagen nur gute Erfahrungen: „Vor ein paar Jahren haben wir mit den Architekturstudenten eine 25 Meter lange Vitrinenwand gebaut“, erzählt er. „Das war eine tolle Zusammenarbeit. Klar haben neue Studenten manchmal falsche Vorstellungen davon, was machbar ist. Aber wirkliche Probleme gibt es nie.“
Die Freizeit versucht der Tischlermeister möglichst mit seiner Familie zu verbringen. Er hat eine vierjährige Tochter, und in ein paar Wochen erwartet seine Frau noch einen Sohn. „Meine Leidenschaft ist das Segeln, aber seit meine Tochter auf der Welt ist, bleibt nur noch wenig Zeit dafür, sodass wir das Boot erstmal verkauft haben.“ Seine Arbeit macht ihm so viel Freude, dass er auch privat werkelt. Er plante zum Beispiel, sich ein eigenes, zwölf Meter langes Segelboot zu bauen. Pläne und Material hatte er bereits. „So ein Boot zu bauen, ist eine Lebensaufgabe.“ Diese liegt aber auf Eis, seit er seine Frau kennengelernt hat.
Torsten Spielhagen hofft, einmal seine Kinder fürs Segeln zu begeistern. Bis dahin kann er in seiner Werkstatt jederzeit ein Stockwerk höher gehen. Dort stehen einige Modellboote aus den Zeiten, als hier noch die Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau lag.
Dieser Artikel erschien in der Berliner Zeitung Beilage ‘Semesterstart’ vom 10. April 2012