Gesellschaft
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Ich sehe was, was Du nicht siehst!

Wie die Wahrsagerin Gabrielle Hoffmann zum persönlichen Happy End ihrer Klienten beiträgt

Ihr Hund heißt nur Udo und sieht nicht aus, wie ein verwandeltes Krokodil, ihre Stimme klingt so wie die einer ruhigen Psychologin und gar nicht nach Abrakadabra. Kaffee gibt es, dazu Kekse und dann redet die Hellseherin Gabriele Hoffmann davon, wie sie in die Zukunft sieht, und das so, wie andere vielleicht vom Fahrradfahren.

Die sanierte Altbauwohnung hat beeindruckend hohe, mit Stuck verzierte Decken und durch eine halb offene Tür ist ein Kamin zu sehen. Auch ihr schlicht eingerichtetes Arbeitszimmer mit den zwei gegenüberstehenden Sesseln und den langen dunklen Vorhängen sieht eher nach einer Praxis aus und nicht nach dem was es ist: der Arbeitsraum einer Wahrsagerin. Hört man den Begriff Wahrsagen, grinst man, und denkt an bunte Tücher, bizarre Zaubereien, und Kaffeesätze. Bizarr ist aber eher, dass von dieser Atmosphäre bei Gabriele Hoffmann nichts zu finden ist.

Sie erzählt von ihrer Ausbildung zur Krankenschwester. Sie habe den Patienten manchmal schon gesagt, was ihnen fehlt, bevor die Diagnose aus dem Labor kam. Viele Menschen kamen daraufhin nach Feierabend zu ihr nach Hause und wollten ihre Zukunft erfahren. Mit 19 Jahren entschied Gabriele Hoffmann sich, ihre Gabe zum Beruf zu machen, brach ihre Ausbildung ab und meldete sich als Wahrsagerin bei der Industrie- und Handelskammer an.

Die Menschen kommen zu ihr, weil sie in einer Lebenskrise stecken. Aus purer Neugierde  oder weil gerade auf irgendeinem Erdteil eine Naturkatastrophe geschehen ist, kommt niemand. Die drei großen Themen, um die es meistens geht, sind Liebe, Beruf und Gesundheit. Zu Beginn einer Sitzung wisse sie noch nichts über den Klienten, der vor ihr sitzt, erklärt die Wahrsagerin. Um zu sehen, müsse sie sich in einen Trancezustand begeben. Das sei so anstrengend, dass sie nicht mehr als zwei Sitzungen an einem Tag macht. In Trance sehe sie das Leben des Klienten aus seiner Sicht. Manchmal wie ein Filmsequenz, manchmal wie eine Serie von Bildern.

Die Menschen hoffen natürlich, eine glückliche Zukunft prophezeit zu bekommen, sagt Gabriele Hoffmann. Manche seien sogar derart darauf versessen, eine Happy End- Geschichte zu hören, dass sie versuchen, den Ausgang zu manipulieren. Sie diskutieren das Gesehene mit ihr und wollen ein gutes Ende erzwingen, berichtet sie. Gerade bei der Liebe seien viele Menschen sehr stark auf ein Happy End fixiert und hin und wieder möchte jemand von ihr einen Liebeszauber für den Partner bekommen, um sicherzugehen, dass die Liebe bleibt. Gabriele Hoffmann aber glaubt nicht an solch einen „Humbug“.

Das Leben ist immer in Bewegung, erklärt sie.. Sie findet es problematisch, dass viele Menschen ihr Glück festhalten wollen. Sie möchte ihnen raten, mehr Vertrauen in die Wandelbarkeit der eigenen Zukunft zu haben. „Wenn nur das Glück wäre, was bleibt, dann könnte man ja gleich in den Sarg steigen“. Und so lässt sie sich durch den unbedingten Drang zum Glück ihrer Klienten nicht beirren. Wenn sie für manch einen keinen guten Ausgang sieht, dann sage sie das auch.

Einmal habe sie sich in einen Mörder hineingefühltDamals sei ein Wiener Journalist mit einer Fotoreihe einer Frauenmordserie zu ihr gekommen. Über eines der Bilder konnte sie sich in ein Mädchen in einem Treppenhaus hineinfühlen, erzählt Gabriele Hoffmann. In diesem Treppenhaus sei plötzlich ein Mann aus einer Nische hervorgetreten, in der sonst Kinderwagen abgestellt wurden. Er habe sofort begonnen auf das Mädchen einzustechen und die Wahrsagerin erinnert sich, wie sich die Stiche in der Brust, wie dumpfe Schläge anfühlten und sie erschrocken war.
Von einem Moment auf den anderen sei sie nicht mehr im Körper der Sterbenden gewesen, sondern der Mörder selbst. Als das Mädchen tot am Boden lag, fühlte sie sich ausgebrannt und schämte sich. Während Gabriele Hoffmann diese Geschichte erzählt, wird ihre Stimme, die sonst schwungvoll und fest ist, leiser und brüchiger. Ihr Blick schwebt ins Nirgendwo. Das ist das schlimmste Erlebnis in ihrem Leben gewesen, sagt sie.

Oft sei es aber auch witzig. Zum Beispiel, wenn sie eine junge, hübsche Frau als alte, faltige Greisin vor sich sehe. Am Schönsten ist es für die Wahrsagerin, wenn sie ihren Klienten helfen kann, eine schwierige Episode zu überwinden. Gabriele Hoffmann erzählt von einer Frau, der sie in den achtziger Jahren prophezeit hat, dass ihre Enkelin einen schweren Unfall haben wird, diesen aber überlebt. Kürzlich sei jene Enkelin selbst zu der Wahrsagerin gekommen. Sie berichtete, nach dem Unfall für längere Zeit im Koma gelegen zu haben, und dass die Ärzte der Familie nicht mehr viel Hoffnung auf eine Genesung gemacht hätten. Die Prophezeiung sei in jener Zeit das Einzige gewesen, was der Familie Mut gegeben habe. Die junge Frau habe schließlich tatsächlich zurück ins Leben gefunden und Lehramt studiert. Auch diesmal blickt Gabriele Hoffmann beim Erzählen in die Ferne, aber jetzt lächelt sie.

Dass sie Menschen über bestimmte Ereignisse ihrer Zukunft aufklären kann, ist für sie zwar zentral, aber nicht das Entscheidende. Viel wichtiger ist es, mit den Menschen einen Weg in dieser Zukunft zu finden. So richtig, glaubt sie nicht an das Happy End: „Das ist etwas, das eigentlich nur im Film vorkommt. Das Leben geht immer weiter“.
So unglaublich sich die Geschichten der Wahrsagerin auch anhören, völlig abwegig wirken sie aus Gabriele Hoffmanns Mund nie. Es ist auch egal, ob sie wahr sind oder nicht. Denn mehr und mehr wird klar, sie arbeitet nicht als Zauberin, vielmehr gibt sie ein Lebenscoaching. Und so lange man ihrer ruhigen Stimme und ihren ermunternden Worten lauscht, möchte man ihr einfach glauben.

Für Gabriele Hoffmann ist das Schicksal zu 65 Prozent vorbestimmt, die anderen 35 Prozent liegen in den Händen jedes Einzelnen. Wenn sie einem Klienten voraussagt, dass ihm eine Scheidung bevorsteht, dann sieht sie diesen Umstand wie einen Punkt auf der Lebenskarte ihres Klienten. Mit welcher Farbe er diesen ausmalt, ob grau oder bunt, das entscheidet er selbst. Das Beste aus der Zukunft zu machen, darin liegt für sie das wirkliche Happy End.

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Kategorie: Gesellschaft

Anna Bordel ist am 20. April in Emmendingen in der Nähe des Schwarzwalds geboren. Richtig erinnern kann sie sich an die Gegend aber nicht, denn ab ihrem 5. Lebensjahr wuchs sie in Osnabrück auf. Nach dem Abitur hat Anna ihren Bachelor in Romanistik und Geschichte an der Universität in Bonn gemacht. Schwerpunktmäßig konzentriert sie sich auf die spanische und lateinamerikanische Literatur. Um ein bisschen mehr davon zu erleben, hat sie ein Semester in Andalusien auf der Halbinsel Cadiz studiert. Während des Studiums hat sie als Tutorin für Literaturwissenschaften gearbeitet. Außerdem hat Anna mehrere Praktika in Redaktionen gemacht: bei einem Onlineportal, in einem Zeitschriftenverlag und bei Radio Köln. Jetzt freut sie sich darauf, einige Wochen bei der Süddeutschen Zeitung zu verbringen. Zum Glück hat sie die fixe Vorstellung vom absoluten Traumjob noch nicht, dann kann sie sich besser von dem leiten lassen, was eben so kommt.

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