Gesellschaft
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“Na?” ist eine seltsame Begrüßung

MIthila Borker
Mithila Borker

Mithila Borker hat davon geträumt, in Berlin zu studieren. Seit Oktober 2011 ist sie da. Die Hauptstadt stellt viele kulturellen Unterschiede heraus und bietet der Inderin sowohl begeisternde als auch peinliche Erlebnisse: beispielsweise über Höflichkeit, Heimweh und Hygiene

MIthila Borker

Eine Inderin schildert ihr Leben in Berlin

Den ersten Tag an der Universität der Künste begann ich voller Freude und Hoffnung, aber auch mit feuchten Händen und trockenem Mund. Denn es war für mich nicht nur der erste Tag an der U niversität, sondern auch noch der erste Tag an einer deutschen Universität.

Ich bin Inderin und komme aus Goa, einem kleinen sonnigen Bundesland in West-Indien. Seit Oktober 2011 wohne ich in Berlin, mache hier meinen Master in Kulturjournalismus. Ich hatte davon geträumt, in Berlin zu studieren. Hier endlich als Studentin zu leben, finde ich wunderbar. Jedoch ist der Prozess der Anpassung lang, schwierig und nicht ohne peinliche Momente.

Zunächst wegen der Sprache. Zwar hatte ich schon in Indien Deutsch gelernt und konnte ziemlich gut sprechen. Aber das Problem ist: Die Deutschen sprechen zu schnell. Im ersten Seminar war es noch ziemlich okay. Ich konnte alles nachvollziehen und habe sogar viele Notizen gemacht. Am zweiten Tag aber fühlte ich mich wie ein Fisch, der zufällig in ein Gespräch von Nashörnern geraten ist. Ich hörte nur ein ganz schnelles Gegrummel und verstand kein Wort.

Auch wenn man fast zwei Jahre Deutsch gelernt hat, versteht man fast nichts von der Umgangssprache, denn sie wird selbstverständlich am Goethe-Institut nicht gelehrt. Am Anfang war ich völlig verwirrt, wenn ich meine Kommilitonen sah und sie statt „Hallo“ (was wir immer im Deutschunterricht geübt hatten) „Na?“ sagten. Ein seltsames Wort. Was sollte das bedeuten, und wie sollte ich darauf reagieren? Antwortete man darauf mit „Hallo“ oder ebenfalls mit „Na“? Mir fiel nichts ein, und ich machte das, was ich in vielen anderen sozial prekären Situationen mache: Ich lächelte und nickte höflich. Und fühlte mich wieder wie ein Fisch.

Mann, die Taschentücher!

Am Anfang war ich auch immer überrascht, wenn meine Kommilitonen während einer Vorlesung den Raum für einige Minuten verließen. Das wäre für einen Studenten in Indien fast undenkbar – sogar, wenn man zu viele Gläser Chai getrunken hat und dringend auf die Toilette muss. In Berlin sah ich erstaunt, dass Studenten auch für einen Anruf hinausgingen. Das war etwas ganz Neues für mich.

Wie meine erste Fotokopie. Ich musste fünfundzwanzig Jahre alt werden und als Studentin nach Berlin gehen, um mich zum ersten Mal mit einem digitalen Kopiergerät konfrontiert zu sehen. Nach zehn schrecklichen Versuchen mit verschiedenen Knöpfen und der Platzierung des Papiers hatte ich am Ende ein brauchbares Exemplar. In Indien gibt es immer einen Kiosk, der so etwas für einen übernimmt. Fotokopien, Ausdrucke, Reparaturen, Möbel aufstellen, ja sogar die Wäsche waschen – all das machen die meisten Mittelstandsfamilien und Studenten nicht selber.

Noch ein kultureller Unterschied, den ich höchst interessant, wenn auch einwenig ekelhaft finde: dass man sich hier ganz laut die Nase schnäuzen darf. In Indien wäre es viel, viel höflicher, den ganzen Tag hindurch störend zu schniefen, als sich ein einziges Mal laut zu schnäuzen.

Und die Taschentücher, Mann, die Taschentücher! Jeder hat ein Tempo-Päckchen, und jeder ist bereit, es zu teilen. Sind die klassischen Stofftaschentücher ausgestorben? Ich bin wahrscheinlich die Einzige, die diese Frage interessant findet. Allerdings fühle ich mich inzwischen, nachdem ich die praktischen Taschentücher probiert habe, als Teil der Berliner Taschentuchkultur– wenn auch ein bisschen schuldbewusst wegen der ökologischen Folgen.

Eines der aufregendsten Ereignisse ist für mich das Wetter. In meiner Heimat haben wir einen fast unerträglichen Sommer und den Monsun. Einen Winter kennen wir auch. Es wird aber nie kälter als zehn Grad. Um einen richtigen Winter zu erleben, muss man nach Nordost-Indien fahren, was für mich ganz weit weg ist.

Neue Dinge entdecken

In Berlin erlebte ich meinen ersten Herbst. Ich war begeistert von den feuerroten und tiefbraunen Blättern, die auf dem Boden lagen. Ich gestehe, ich hatte paranoide Angst, dass ich die Kälte nicht überstehen würde. Aber ich wollte fast tanzen, als ich den ersten Frost meines Lebens sah, auf den Autos und auf den am Boden liegenden Blättern. Und dann mein erster Schnee!

Der kam, wie man mir sagte, in diesem Winter relativ spät, und ich war schon äußerst ungeduldig. Als ich dann die ersten dicken Flocken sah, fühlte ich mich wie ein Kind. Meine Kommilitonen sahen mir vergnügt zu, als ich in die Luft blies, um den „Rauch“ zu sehen. Die Versuchung, auf der frischen, weichen Schneedecke zu hopsen, war sehr groß, aber ich habe es nicht so oft gemacht. Denn wer will schon eine 25-jährige Inderin sehen, die im Schnee springt? Keiner! Oder vielleicht jeder?

In Indien habe ich oft gekocht und dabei meist exotische Gerichte ausprobiert. Exotisch bedeutet für mich: nicht indisch. In Berlin finde ich es inzwischen viel einfacher, schnell mal was Indisches zu kochen. Man kriegt allerdings nicht immer die Zutaten, an die man gewöhnt ist. Zum Beispiel knackigen, scharfen grünen Chili, der im heißen Öl köstlich brutzelt. Und es war für mich ein Grund zu feiern, als ich am Hackeschen Markt frischen Koriander entdeckte. Inzwischen kenne ich einen guten asiatischen Supermarkt, wo ich Koriander kaufe. Manchmal ist es aber auch schöner, neue Dinge in einer neuen Stadt zu entdecken.

Mehr als sechs Monate sind nun vergangen, seit ich mich von meiner Familie verabschiedete, seit meine Zehen den Strandsand von Goa spürten und ich frischen Meeresfisch aß. Dafür war es erst letzte Woche, dass ich am Alex einen leckeren Döner Kebab probierte (den man in Indien nicht kriegt). Es war letztes Wochenende, dass ich einen Lomografie-Workshop in der Friedrichstraße mitmachte. Und es passiert oft, dass Touristen mich nach dem Weg fragen.

Die peinlichen Fälle und die sozialen Ungeschicklichkeiten sind immer noch da. Aber Berlin ist jetzt nicht mehr fremd. Irgendwie ist es zu meiner Stadt geworden. Und wenn man sich zu Hause fühlt, wird am Ende alles okay. Oder?

 Mithila Borker

Dieser Artikel erschien in der Berliner Zeitung Beilage ‘Semesterstart’ am 10. April 2012.

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Kategorie: Gesellschaft

Mithila Borker kommt aus Indien. Sie wuchs in Goa (ein kleines jedoch schönes Bundesland in Indien) auf und studierte danach Anglistik in Pune (Indien). Sie hat freiberuflich als Schreiberin für eine Webseite gearbeitet sowie ein Praktikum bei der indischen Zeitung 'The Times of India‘ gemacht. Nach dem Studium lernte sie Deutsch und bewarb sich an deutschen Universitäten. Im September 2011 bekam sie einen Studienplatz an der UdK. Mithila schreibt und bloggt sehr gern und will eines Tages eine berühmte Autorin oder Kolumnistin werden.

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