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Millionär auf dem Charité-Campus

Hirnforscher Michael Brecht (Foto: Bernd Prusowski, HU Berlin)

Gesichter der Uni: Michael Brecht gehört zu Deutschlands führenden Köpfen auf dem Gebiet der Neurobiologie. Als Kind wollte er eigentlich Tierforscher werden – heute vereint er beide Disziplinen. Seine innovativen Forschungsmethoden brachten ihm jüngst 2,5 Millionen Euro ein.

Das Gehirn eines Pottwals wiegt bis zu neun Kilogramm. Das eines Menschen bringt es lediglich auf 1,2 bis 1,4 Kilo.Die beeindruckend schwere Hirnmasse der Säugetiere brachte Michael Brecht zu seiner Forschung. Nach einem Studium der Biochemie in Tübingen absolvierte er einen Forschungsaufenthalt in San Francisco – seine„Wal- und Delphinphase“. „Die großen Gehirne der Tiere waren für mich Anlass, mehr über die Hirnforschung zu lesen“, sagt er. Heute ist er einer der bedeutendsten Neurobiologen des Landes.

Forscher ohne Kittel

Brecht sieht nicht aus wie der Stereotyp eines Forschers. Ihm fehlt der klassische weiße Kittel und auch eine gewisse Zerstreutheit. Das Einzige,was an ein bestimmtes Klischee erinnert, sind seine Haare: grau meliert und mitunter wirr abstehend. Seit 2006 ist Brecht Professor für Tierphysiologie an der Humboldt-Universität (HU) zu Berlin. An Walen lässt es sich in der Hauptstadt, auf dem Campus der Charité kaum praktisch forschen. In seinem Labor auf dem Gelände untersucht Brecht deshalb das Verhalten von Nagern, also von Ratten oder Spitzmäusen.

Vor allem von Letzteren schwärmt er, wie von liebgewonnenen Haustieren: „Das sind einfach ganz tolle Biester.“ Allerdings sind sie deutlich kleiner als die Ozeanriesen, meist nur zwischen sechs und acht Zentimetern groß. Gemeinsam mit seinen wissenschaftlichen Mitarbeitern erkundet Brecht derzeit das soziale Tastverhalten. „Wir lassen Ratten einander unter einer Infrarot-Kamera begegnen und untersuchen dann den Teil der Hirnrinde, der ihren Tastsinn repräsentiert.“ In seinen Experimenten sucht Brecht nach Ursprüngen der sozialen Verhaltensleistungen im Hirn der Säuger. Brecht zeigt auf kleine Diagramme, die die Signale der Zellen sichtbar machen. Während er von seiner Forschung spricht, suchen seine Augen Bestätigung beim Gegenüber, als wollten sie stets herausfinden, ob alles verständlich ist. Es sind große, fragende Augen.

Mit dem Rad zur Arbeit

Den Tag verbringt der 44-Jährige vorwiegend in seinem Arbeitszimmer über dem Laboratorium. In der Ecke am Fenster stehen seine Sportschuhe. Brecht fährt jeden Morgen mit dem Rad in das Bernstein Center for Computational Neuroscience auf dem Charité-Gelände. Im Gebäude trägt er der Bequemlichkeit halber dunkelbraune Birkenstock-Pantoffeln. Ab vierzehn Uhr streift Brecht durch das Zentrum, kontrolliert Versuche, bespricht Diagramme und trifft seine Doktoranden, bis er am späten Nachmittag wieder in sein Büro zurückkehrt.

Spitzmauskopf in fluoreszierenden Farben

Die Einrichtung seines Arbeitszimmers könnte auch auf die Tätigkeit eines Buchhalters schließen lassen, wäre da nicht ein großes Bild neben dem Sofa: Die leuchtenden Farben auf schwarzem Grund erinnern zuerst an ein surreales Sujet. In Wirklichkeit ist es der mikroskopierte Kopf einer Spitzmaus. Mit einem chemischen Verfahren wurde die Maus durchsichtig gemacht, ihre Zellen wurden mit leuchtenden Fluoreszenzfarbstoffen markiert. Wie in einer Vorlesung doziert Brecht neben dem Bild über die Funktionen der Nerven. Es ist seine liebste Aufnahme eines Versuchstiers, da es die weitläufige Organisation des Gehirns vollkommen deutlich mache.

2,5 Millionen Euro für die Forschung

Seit Kurzem ist der Neurobiologe Millionär. Genaugenommen sein Institut. Im Februar wurde er für seine Arbeit mit dem Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis 2012 ausgezeichnet, dotiert mit einem Preisgeld von 2,5 Millionen Euro. „Das nimmt natürlich viel Druck, weil man sich sonst immer darum kümmern muss, Fördergelder zu beantragen“, sagt Brecht.

Als er von seiner Auszeichnung via E-Mail erfuhr, konnte er es zuerst kaum fassen. „Ich musste mich lange am Schreibtisch festhalten, denn eine Nachricht über 2,5 Millionen Euro im Postfach ist ja sonst immer Spam.“ Brecht wird das Geld in das Labor investieren und weiter an seinen Sozialstudien mit Nagern arbeiten.

Begeistert seit der Kindheit

Die Begeisterung für Tiere hat sich der Neurobiologe seit der Kindheit bewahrt. Mit elf Jahren gelang es ihm, nach monatelangem Drängen, seine Eltern zu überzeugen, einen Papagei anzuschaffen. Fasziniert von dem „beeindruckenden Wesen“ des neuen Haustiers, beschloss Michael Brecht, Tierforscher zu werden. Zwar ist er nicht – sowie zu seiner Schulzeit geplant – Dinosaurier- Forscher geworden, aber er hat doch eine Arbeit zwischen Tierwelt und Forschung gefunden. Dazu noch eine sehr einträgliche.

Anna Prizkau

 

Dieser Artikel erschien zuerst in der Berliner Zeitung Beilage ‘Semesterstart’ vom 10. April 2012.

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