Gesellschaft
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Gute Zeit zum Kinderkriegen

Auch wenn es schwer ist, bereuen viele Eltern nicht, früh Eltern geworden zu sein

Viertel nach zehn ist eigentlich nicht so früh, aber wenn man noch die Wäsche aufhängen, das Kaffeepulver suchen, und den Text für das Seminar zumindest anlesen will, dann kann es morgens doch recht hektisch zugehen, auch wenn man erst um 10 Uhr c. t. in der Uni sein muss. Der Uni-Alltag ist stressig genug, wenn man nur mit sich selbst beschäftigt ist. Was aber passiert, wenn da noch jemand ist, der essen will, angezogen werden muss und nicht allein sein kann? Ist das Studium eine passende Zeit, um Kinder zu bekommen?

Anna Lena war 23 und studierte im dritten Semester, als sie zum ersten Mal schwanger wurde. Ihr war von Anfang an klar, dass sie kein Urlaubssemester einlegen, sondern „Halbzeit“ studieren würde. Sie wollte trotz des Kindes nicht ganz aus dem Rhythmus kommen. Ihr damaliger Freund arbeitete den ganzen Tag. Dennoch entschied sie, nicht sofort einen Kita-Platz in Anspruch zu nehmen. „Ich habe mir schließlich Kinder gewünscht und wollte dann auch für sie da sein“, sagt Anna Lena.

Mittlerweile ist sie 29 und hat schon das zweite Kind. Ihr Studium in Kunst- und Wissenschaftsgeschichte steht kurz vor dem Ende. Die Zweiteilung zwischen Studentin und Mutter empfand Anna Lena durchaus als anstrengend. Morgens die Kinder anziehen, Frühstück machen, zum Kindergarten fahren, dann sofort auf Studentin umschalten und sich auf die Uni konzentrieren – das war nicht immer leicht. Sie konnte nie so intensiv studieren wie ihre Kommilitonen, weil sie zu festen Zeiten zu Hause sein musste. Als sie im Kindergarten andere Mütter kennenlernte, die ähnliche Probleme hatten, wurde es einfacher.

Inzwischen lebt sie mit einer Freundin und ihren Kindern zusammen in einer WG. Sie teilen sich viele Dinge im Alltag. „Einen Gesprächspartner zu haben, mit dem man sich austauschen kann, ist ganz wichtig“, findet Anna Lena. Trotz der Doppelbelastung sieht sie das Studium als eine sehr gute Zeit, um Kinder zu bekommen, weil hier die Zeiteinteilung im Gegensatz zum Berufsalltag noch sehr frei sei. Ihr Studium hat zwar etwas länger gedauert, aber dafür sind ihre Kinder schon alt genug, um länger in der Kita zu bleiben, und sie wird sich Zeit für den Berufseinstieg nehmen können.

Mia und Thomas haben das Kinderkriegen während des Studiums sogar geplant. Natürlich nicht den genauen Zeitpunkt, aber„man kann sich ja auf die eine oder andere Weise verhalten, was die Verhütung angeht“, sagt Thomas. Beide studieren Medizin, und als Mia mit 24 zum ersten Mal schwanger wurde, war für beide klar, dass sie sich die Erziehung der Kinder aufteilen wollen. Nachdem Mia einige Zeit ausgesetzt hatte, war Thomas an der Reihe, sein Studium zu unterbrechen. Nachts und am Wochenende achten sie darauf, dass immer einer von beiden durchschlafen oder etwas mit Freunden unternehmen kann.

Mia erzählt von einem befreundeten Pärchen, bei dem die Mutter ihrem Partner die Kinder nicht anvertrauen möchte. „Das gab es bei uns nie“, erzählt sie, „wir haben uns immer gegenseitig vertraut.“ Einmal ist Mia für fünf Tage zu ihrer Mutter gefahren. Thomas erinnert sich, dass er in der Bahn komisch angeschaut wurde, weil er allein mit zwei kleinen Kindern war.

Thomas hatte auch erhebliche Schwierigkeiten, als es darum ging, während seines Praktischen Jahres vom Prüfungsamt Vaterschaftsurlaub bewilligt zu bekommen. Mittlerweile stehen beide kurz vor ihrem Staatsexamen. Zum Lernen gehen sie in einen leerstehenden Raum des Hauses, in dem sie ihre Wohnung haben. Die Kinder, jetzt drei und ein Jahr alt, bringen sie solange in den Kindergarten.

Mia und Thomas finden, dass das Studium die richtige Zeit sei, um Kinder zu bekommen. Die Wohnung sei vielleicht kleiner, der Urlaub falle eher kurz aus, aber dafür sei man zeitlich flexibler, sagen sie. Thomas möchte „gleich noch mehr Kinder“, aber Mia bremst. „Erstmal reicht’s.“ Denn viel Arbeit ist es natürlich schon.

Eine der größten Schwierigkeiten sei es, einen Kita-Platz zu bekommen, gerade für die ganz Kleinen, erzählen die Studenten. Das bestätigt auch Susanne Rinck, Angestellte der Kita der Technischen Universität und der Universität der Künste. Sie musste gerade die dritte schwangere Studentin wegschicken, die zwar erst einen Platz für Oktober sucht, doch selbst bis dahin sind die Plätze schon ausgebucht. Das liege nicht an finanziellen Engpässen des Studentenwerks, sagt Susanne Rinck, sondern daran, dass es nicht genügend ausgebildete Erzieher gebe.

Das Berliner Studentenwerk sowie die Hochschulen sind allerdings bemüht, studierende Eltern mehr zu unterstützen. Unlängst richteten sie Krippenplätze für Säuglinge ein, berichtet Beatrix Gomm von der Sozialberatung des Studentenwerks. Neu sei auch die Vortragsreihe, die das Studentenwerk mit den Familienbüros der einzelnen Hochschulen organisiert. Dort werden angehende studierende Eltern und solche, die es bereits sind, rund um das Thema
„Studieren mit Kind“ aufgeklärt.

Die Namen der Eltern wurden verändert.

 

Urlaubssemester sind möglich

Mehr als 1300 Studenten mit mindestens einem Kind leben in Berlin, sagt das Studentenwerk. Mit 9 Prozent Elternanteil unter den Studenten liegt die Stadt weit vorne. Bundesweit sind es etwa 5 Prozent. Ein flexibleres Studium für Eltern sieht das vor einem Jahr novellierte Berliner Hochschulgesetz vor. Die Hochschulen sollen ein Teilzeitstudium ermöglichen „zur Pflege und Erziehung eines Kindes im Alter von bis zu 10 Jahren“. Das beinhaltet auch Urlaubssemester.

Die Broschüre „Studieren mit Kind“ enthält Informationen zu Studienorganisation, Krankenversicherung, Wohnen, Betreuung sowie zu finanziellen und juristischen Fragen. Auch viele Adressen und Musteranträge sind darin zu finden. Jüngst überarbeitet, kann man die Broschüre bestellen unter: www.studentenwerk-berlin.de/bestellservice

Anlaufstellen sind u. a. die Familienbüros der FU (Tel.: 838-51137, familienbuero@fu-berlin.de) der TU (Tel.: 314-233 32, E-Mail über TU-Homepage), der Humboldt-Universität (Tel.: 2093-2191, familienservice@uv.hu-berlin.de). Auch andere Hochschulen haben Anlaufstellen – zu erfragen bei den jeweiligen Studienberatungen.

Dieser Artikel erschien in der Berliner Zeitung Beilage ‘Semesterstart’ vom 10. April 2012

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Kategorie: Gesellschaft

Anna Bordel ist am 20. April in Emmendingen in der Nähe des Schwarzwalds geboren. Richtig erinnern kann sie sich an die Gegend aber nicht, denn ab ihrem 5. Lebensjahr wuchs sie in Osnabrück auf. Nach dem Abitur hat Anna ihren Bachelor in Romanistik und Geschichte an der Universität in Bonn gemacht. Schwerpunktmäßig konzentriert sie sich auf die spanische und lateinamerikanische Literatur. Um ein bisschen mehr davon zu erleben, hat sie ein Semester in Andalusien auf der Halbinsel Cadiz studiert. Während des Studiums hat sie als Tutorin für Literaturwissenschaften gearbeitet. Außerdem hat Anna mehrere Praktika in Redaktionen gemacht: bei einem Onlineportal, in einem Zeitschriftenverlag und bei Radio Köln. Jetzt freut sie sich darauf, einige Wochen bei der Süddeutschen Zeitung zu verbringen. Zum Glück hat sie die fixe Vorstellung vom absoluten Traumjob noch nicht, dann kann sie sich besser von dem leiten lassen, was eben so kommt.

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