Wie verbringt man Weihnachten auf einem zugeschneiten Flughafen in England? Lea Dlugosch hat es erlebt. In ihrem persönlichen Happy End erzählt sie vom Fixieren der Anzeigetafel und Schlafen zwischen Kofferhügeln.
Neun feindliche Buchstaben in einer gemeingelben Reihe. 27 gemeingelbe Reihen auf schwarzem Grund, militärisch genau übereinander gestapelt. Zwei mal 27 militärische Reihen die die schönsten Städtenamen mit nur einem Wort zunichte machen: CANCELLED – gestrichen.
Wem schon einmal ein Flug gestrichen wurde, der weiß, wie hässlich ein einziges Wort sein kann. Mir ist ein paar Tage zuvor wegen heftigen Schneefalls am Flughafen Heathrow ein letzter Gabelflug von London nach München gestrichen worden. Ich habe einen 20-stündigen Billigflug aus New York über Reykjavik und drei Nächte auf dem Sofa bei Freunden von Freunden in East London hinter mir und sitze nun, einen Tag vor Weihnachten, mit einem Hautausschlag aus roten Pusteln bereits die dritte Nacht fest. Diesmal in Stansted. Hier warte ich jetzt seit acht Uhr abends auf einen Flug, der um neun Uhr morgens planmäßig abfliegen könnte. Wenn er nicht, wie alle anderen vor ihm, gestrichen wird. Noch steht er nicht dran. Nur der um 6.30 Uhr nach Bilbao: CANCELLED.
Traurige Leere anonymer Abflughallen
Alle zwei bis fünf Sekunden fällt mein Blick wieder auf die große Anzeigetafel neben dem Cafe „Pret-a-Manger“, wo ich seit 23.45 Uhr sitze. Davor war ich von 20.35 bis 21.05 in der Drogerie am Terminal eins, hier gibt es außerdem drei Damen und eine Herrentoilette sowie eine Kapelle, von 21.10 bis 21.40 im SPAR-Markt und von 21.45 bis um 22.33 Uhr im Presseshop. Danach habe ich schlafende Leute zwischen Kofferhügeln fotografiert und versucht, mir eine Meinung über die Architektur des Gebäudes zu machen – ohne Erfolg. Die traurige Leere der anonymen Abflughalle wird auch mit Kofferbergen nicht netter: vielleicht doch noch mal checken, ob wieder Busse fahren? Mittlerweile steht auch ein Flug nach Frankfurt um 7.45 Uhr an der Tafel: CANCELLED.
Kurz nach Mitternacht. Eine Pappdose mit Tomatensuppe steht vor mir, halbvoll. Hunger hatte ich um diese Zeit und nach sämtlichen englischen Süßigkeiten nicht, aber ist ja schließlich Weihnachten. Was könnte an so einer Tafel eigentlich noch stehen – „Haut endlich ab, hier gibt’s nix zu holen!“ oder „Vorsicht vor Trickbetrügern im Terminal 2“. Ich könnte in Tiefschlaf versinken und bin gleichzeitig hellwach. Jedes mal wenn die kleinen Lamellen mit den Städtenamen rotieren, kann ich meinen Herzschlag bis in die Fingerspitzen spüren. Wenn auch dieser Flug nach Hause gestrichen wird, muss ich hier Weihnachten feiern. Kann ich dann wenigstens meinen Kindern erzählen. Und dann drehen sich die unteren Buchstabenreihen wieder, zeigen ganz links MUNICH an. Ein Feld weiter noch schwarz. Dann ein wunderschönes neues Wort: DELAYED.
Lea Dlugosch war Online-Redakteurin für die taz-Beilage “Happy End” – eine Sonderbeilage des Masterstudiengangs Kulturjournalismus an der UdK.