Gesellschaft
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Das geht nicht, lieber Atavi

Clément schreibt an seinen Onkel

Lieber Onkel Atavi,

wir haben uns lange nicht mehr gesehen. Wie geht es Dir? Ich habe neulich an Dich gedacht und dabei irgendwie auch an mich selbst.  An meine Kindheit mit Dir und meiner damals noch kleinen Cousine.

Mit Bewunderung erinnere ich mich zurück an deinen Eifer, mit dem Du deinen Kindern beibringen wolltest, wie wichtig es ist, sich den Lektüren von Bestseller-Autoren zu widmen. Dir war schon immer klar, dass die Kindheit eine Zeit ist, die man nicht vergeuden sollte. „Ein Kind muss lernen“, sagtest Du beständig.

Clément schreibt an seinen Onkel (Foto: Flickr)

Heute muss ich gestehen, obwohl ich einen schonungslosen Respekt vor Dir habe, dass ich manche deiner Erziehungsmethoden übertrieben fand. Ich war und bin der Meinung, dass ein Kind mehr Spielraum braucht.

So war ich oft bestürzt, wenn ich zu Euch kam, um meine Cousine zu besuchen, und Du uns nicht mal einen kleinen Spaziergang am Wochenende erlaubtest. Wir wurden einfach zu stundenlangem Mathematiklernen verdonnert.  Und wenn ich, wohlwissend dass es mit den Matheaufgaben nun vorüber war, an einem anderen Tag vorbeikam, mussten wir Diktate schreiben. Das geht nicht, lieber Atavi.

Meine Mama sagte stets, Du seiest, um sie wortwörtlich zu zitieren, „ein Modellbesitzer“. Ein Vorbild.

Für mich bist du sogar ein Held. Du hast es geschafft, in die gut situierte Gesellschaft aufzusteigen. Und dass in einer Zeit, in der es nicht selbstverständlich war, eine Ausbildung zu bekommen. Du hast Dein Studium mit Bestnoten absolviert, besitzt einen Doktortitel, verdienst Dein Geld als Pilot und reist um die ganze Welt. Wow.

Ich wollte zwar nie Pilot werden, aber Dein Ehrgeiz versetzte mich in Erstaunen. Daher legte ich größeren Wert auf alles, was Du für wichtig hieltest, etwa Deine Abneigung gegen das Fernsehen. Dieses Medium betrachtest Du als „ein hochgradiges Vernichtungsgerät menschlichen freien Denkens“.

Wegen Dir durfte ich zu Hause nur selten fernsehen, bis ich 15 war. „Atavis Kinder dürfen auch kein Fernsehen schauen“,  rechtfertigte meine Mutter ihr TV-Verbot. Das geht nicht, lieber Atavi.

Das Fernsehen stellt für die Ausbildung eines Kindes keine Gefahr dar, im Gegenteil. Genauso wie man ein Buch unaufmerksam durchblättern kann, kann man auch zerstreut fernsehen. So betrachtet sind sowohl Bücher als auch Fernsehprogramme reine Zeitverschwendung oder dienen im besten Fall der Unterhaltung.

Ich hielt das Fernsehen für wesentlich mehr also bloß einen heiteren Zeitvertreib. Ich konnte durch Fernsehnahrichten meine Weltanschauung schärfen und durch Filme und Fernsehserien verbesserten sich nicht nur mein Französisch, sondern auch mein Spanisch und mein Englisch. Dass ich bis zum Abitur in Sachen Sprachen immer Erster meiner Klasse war verdankte ich auch dem Fernsehen. Heutzutage ist mir dieses Medium auch beim Deutschlernen immer noch eine große Hilfe.

Ich wollte damit sagen, dass ein Kind sich ab und zu amüsieren kann, und trotzdem sein Gehirn trainieren und vieles lernen kann. Man braucht ihm nur erklären, wie das geht.

Dein Neffe,

Clément

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Kategorie: Gesellschaft

Clément de Dravo wuchs in Cotonou, in der Hauptstadt Benins, auf. Nach dem Abitur absolvierte er den Bachelor in Angewandte Fremdsprachen (Englisch, Spanisch, Deutsch), in Reims. Durch dieses Studium wurde Clément zu einem Liebhaber der deutschen Sprache: „Der Sprache der Exzellenz!“. Er machte sein erstes journalistisches Praktikum bei Stellenboersen.de in Göttingen. Danach nahm er an der Universität Sorbonne Paris III am Wettbewerb für den deutsch-französischen Journalismus teil, und wurde aufgenommen. Diesen Masterstudiengang absolvierte er durch Praktika bei France Bleu Champagne (Radio) in Reims und bei „Bayerischem Rundfunk“ in München. Somit verschärft sich sein Interesse für die deutsche Kultur, vor allem hat er seinen Weg gefunden: Er möchte Radiojournalist werden. „Deutsch ist die beste und schönste Sprache der Welt. Und das kann sich der Radiojournalist am besten merken, indem er seine Texte sowohl schreibt als auch einspricht,“ sagt Clément.

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