Gesellschaft
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Berlins Publikumsmagnet

Die Besucherzahlen des Jüdischen Museums sprechen für sich. Seit der Eröffnung im September 2001 haben mehr als sieben Millionen Menschen das Museum besucht. Damit zählt das Jüdische Museum zu den meist besuchten Museen Berlins. Einen großen Anteil daran hat wohl die Architektur, denn schon bevor die Ausstellung in den Bau einzog, besichtigten rund 350.000 Neugierige die leeren Räume. Aber was macht dieses Gebäude bis heute so faszinierend?

Wie ein Blitz wirkt das zackige Gebäude, wenn man es von oben betrachtet und hält sich somit rein gar nicht an konventionelle Gebäudestrukturen. Trotzdem fügt sich das Jüdische Museum erstaunlich gut in seine Umgebung ein. Die grauen Zinkblech-Wände greifen die Flächigkeit der Fronten umstehender Hochhäuser auf. Gleichzeitig setzt sich das Gebäude durch seine schmalen, schräg verlaufenden Fenster, die aussehen, als hätte sich der Architekt Daniel Libeskind mal richtig mit Geodreieck und Bleistift ausgetobt, stark genug von seiner Umgebung ab, um als Museum identifiziert werden zu können.

Der Eingang des Jüdischen Museums befindet sich im barocken Altbau des ehemaligen Berlin-Museums. Er bildet einen klaren Kontrast zu Libeskinds dekonstruktivistischem Neubau. Mit seinem sonnengelben Anstrich, wirkt der Altbau freundlich und einladend. Die einzige Änderung, die Libeskind an ihm vorgenommen hat, ist der Glashof, der im Jahr 2007 im Innenhof des U-Förmigen Gebäudes hinzugefügt wurde. Die Glasdecke wird von einer verzweigten, weißen Stahlkonstruktion getragen, die an abstrakte, kantige Bäume erinnert. Hier kann man sich ausruhen, und mit den Augen über den Garten schweifen, der eine Erholung von den asymetrischen Formen des Baus bietet.

Vom Altbau führt eine gezackte, schwarze Schiefertreppe hinab ins Untergeschoss des Neubaus. Ihr schließt sich ein enger Gang an, der nur durch eine schmalen, wegweisenden Lichtspalt in der Decke künstlich beleuchtet wird. Es geht schräg aufwärts durch verzweigte Gänge. Nach draussen, in den „Garten des Exils“, der mit seinen quadratischen Stehlen der einzige symmetrische Ort im Museum ist und einen dennoch ins Wanken bringt, weil auch hier der Boden uneben ist und die Hochhäuser in der Ferne durch die eigene Position schief und ungeordnet wirken.

Wieder drinnen, der „Achse des Holocaust“ folgend, landet man in einem hohen dunklen Turm. Es handelt sich um eine der vielen Leerstellen, die sogenannten „Voids“, die Libeskind in das Museum eingebaut hat, um an die Leere zu erinnern, die nach dem Holocaust in den jüdischen Vierteln Berlins geblieben ist. Unklimatisiert, mit nur einem einzigen Lichtspalt in der Decke, erzeugt der Turm ein beklemmendes Gefühl. Man hört jeden Schritt und jedes Atmen an den Wänden widerhallen. Auch die Geräusche der Straße dringen herein.

Der Achse der Kontinuität folgend, kommt man zu einer endlos erscheinenden Treppe, die von Zwischenebenen durchbrochen wird. Am Kopfende befindet sich die eigentliche Dauerausstellung des Museums. Sie mutet durch den Einsatz von Wandfarbe weit weniger bedrückend an, als die schmalen, kargen Gänge im Untergeschoss. Die schlitzartigen Fenster nach draussen, wirken hier wie heitere Lichtspiele. Orientieren, kann man sich in der Ausstellung allerdings nicht. Zu wirr und verschachtelt wirken die Gänge. Doch auch dies ist ein Gefühl, welches Libeskind wohl beabsichtigt hat.

Mit dem Jüdischen Museum ist etwas Beeindruckendes gelungen. Die deutsch-jüdische Geschichte wird nicht nur nacherzählt, sondern durch die Architektur erfahrbar gemacht.  Der Besucher kann die Orientierungslosigkeit geflohener Juden nachvollziehen und er kann die Beklommenheit derer, die um ihr Leben fürchteten, erahnen. Das ist es, was diesen Bau besonders macht. Der Blitz schlägt ein.

Titelbild: yelacis I cc

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Kategorie: Gesellschaft

Claudia Malangré

Aufgewachsen bin ich in Uelzen. Nach dem Abitur machte ich ein FSJ Kultur bei oldenburg eins und begann an der FU Berlin Islamwissenschaft zu studieren. In den Semesterferien war ich zweimal in Ägypten und absolvierte dort fachspezifische Praktika. Außerdem arbeitete ich neben dem Studium bei ALEX TV. Seit Oktober 2012 studiere ich Kulturjournalismus an der UdK Berlin.

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