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„In Deutsch ließ ich mich vom Stuhl fallen“

Schriftsteller Pascal Hermeler (Foto: privat)

Mit 17 Jahren veröffentlichte Pascal Hermeler sein erstes Buch. Das ist vier Jahre her. Dabei gehörte Deutsch nie zu seinen Lieblingsfächern. Vorm Lesen und Schreiben drückte er sich stets, denn der Schriftsteller ist Legastheniker. Wörter und Sätze verwandeln sich vor seinen Augen in ein „riesiges, fieses Mosaik“

Schriftsteller Pascal Hermeler (Foto: privat)

Kulturen: Herr Hermeler, lieben Sie das Schreiben?
Pascal Hermeler: Ja natürlich!

Und warum lieben Sie es?
Weil das Schreiben für mich ein Ventil ist, um Emotionen herauszulassen. Und es ist für mich ein unheimlich wichtiges Kommunikationsmittel geworden.

Wie haben Sie als Legastheniker Ihre Liebe zur Literatur entdeckt?
Ich habe gelernt, das eigentliche Laster in etwas Positives zu verwandeln. Zuerst habe ich in dieser unleserlichen „Legasthenikersprache“ geschrieben, die nur meine Mutter lesen konnte. Irgendwann kam ich an den Punkt, da sollte aus dem Schreiben mehr werden. Ich wollte mich verewigen.

Wann wurde Ihre Legasthenie bemerkt?
In der Grundschulzeit. Meine Lehrer nahmen die Lernschwäche kaum wahr. Sie haben nur gesagt: „Der Junge ist dumm, der muss auf eine Sonderschule.“ Meine Mutter hat das nicht zugelassen und mich zu einem Psychologen geschickt. Dort wurden Intelligenztests gemacht, die mir einen ganz akzeptablen IQ bescheinigten. Allerdings wurde eine Wahrnehmungsstörung festgestellt, welche die Ursache für meine Legasthenie ist. Ich habe eine audiovisuelle Legasthenie.

Wie haben die Wörter für Sie ausgesehen?
Wie ein riesiges, fieses Mosaik. Die Buchstaben flogen für mich immer übers ganze Blatt und ich musste sie wieder sortieren, damit sich erst die Wörter und dann eine Geschichte ergaben.

Woran erinnern Sie sich, wenn Sie an Ihren Deutschunterricht zurückdenken?
Im Unterricht ließ ich mich irgendwann vom Stuhl fallen. Ich fing an zu schreien und habe gestört, bis ich die Klasse verlassen musste. Nur damit ich nicht vorlesen musste. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch nicht mit der Legasthenie umgehen.

Deutsch war also nicht gerade Ihr Lieblingsfach?
Am Anfang nicht, aber es wurde mit der Zeit zu meinem Lieblingsfach. Nachdem ich gelernt hatte, dass es gar nicht so sehr um die Rechtschreibung ging. Es ging darum, Geschichten zu erfinden und mit der Sprache zu spielen. Erst hierdurch wurde das Schreiben etwas sehr wichtiges für mich.

Sie arbeiten an einer Autobiografie über Ihre Schulzeit. Welche Note würden Sie Ihren Lehrern geben?
Das kann ich gar nicht pauschalisieren. Manchen Lehrern würde ich eine glatte „6“ geben. Andere würden für ihr Engagement eine „1“ bekommen. Das sind leider aber nur ein oder zwei von über 40 Lehrern.

Wie wichtig sind Ihnen gute Noten?
Sie waren für mich nicht wichtig, weil ich sie nie erreichen konnte. Ich habe dann mehr Wert aufs Durchkommen gelegt und darauf, mir selbst treu zu bleiben.

Wenn es nicht die Schule war, wer hat Sie dann unterstützt?
Meine Mutter. Um mit mir das zu trainieren, was mir Schule und Staat nicht geben konnten, hat sie eine Ausbildung zur Lerntherapeutin absolviert. Sie hat mir lesen und schreiben beigebracht. Und das über Jahre hinweg, jeden Tag nach der Schule.

Mit 13 Jahren haben Sie das Buch „Shawn Stone: Die Macht der Magie“ geschrieben und mit 17 Jahren veröffentlich. Wie haben Sie Ihre Schwäche in eine Stärke verwandelt?
Das war ja nicht direkt gewollt. Ich habe nicht gesagt: Komm, jetzt schreibst du mal ein Buch. Irgendwann habe ich einfach meine erste Geschichte begonnen. Das Manuskript habe ich an sieben Verlage geschickt, drei haben geantwortet und einen habe ich ausgewählt.

Was hat Ihr Lektor gesagt als er das Manuskript sah?
Der Lektor war ziemlich verzweifelt. Das Buch wurde von meinen Eltern und drei Lektoren korrigiert, trotzdem waren noch viele Fehler im Text. Letztens habe ich eine Rezension gelesen, in der es um die Qualität des Buches ging. Der Kritiker hielt mich für einen Analphabeten und beschwerte sich, dass der Verlag kein Geld in ein Lektorat investiert hätte. Obwohl das Buch so oft korrigiert wurde, war das Ding noch immer voller Fehler.

(Illustration: Nathalie Frank)

Inwiefern spielt der Wunsch nach Anerkennung eine Rolle beim Schreiben?
Der Wunsch spielt bei mir immer noch eine besonders große Rolle. Ich wollte zeigen, dass ich nicht so dumm bin, wie es mir einige wünschten. Das Schreiben war bei mir oft mit Selbstzweifeln verbunden. Bis auf meine Mutter war Familie Hermeler immer so eine Familie vom Schlag: Schwächen gibt es nicht. Ein deutscher Sohn muss doch Rechtschreibung können! Aus dieser Randposition musste ich mich erst einmal herauskämpfen.

War die Legasthenie wichtig für Ihren Bildungsweg?
Ich wäre ohne sie nicht da, wo ich heute bin, aber ich habe die Legasthenie immer gehasst. Wenn ich heute gestresst bin, kommt sie wieder zum Vorschein. Wenn es laut ist und ich mich in einer engen Räumlichkeit befinde, kann es sein, dass meine Wahrnehmungsstörung zurückkommt. Eine Legasthenie ist nichts, was du loswirst. Du versuchst sie dein Leben lang zu verschieben und zu vertuschen. Ein Jahr ohne das Schreiben und ich wäre wieder ein Analphabet.

Wie wichtig ist es, „gebildet“ zu sein oder zumindest den Anschein zu erwecken?
Ich habe vor zwei Jahren meinen Hauptschulabschluss gemacht. Danach habe ich eine Ausbildung zum Sozialhelfer begonnen und danach eine zum Lerntrainer. Beide habe ich abgebrochen. Ich kam nicht mehr mit der Form „Schule“ klar. Heute bin ich selbstständig, organisiere Kulturveranstaltungen und muss mich jeden Tag beweisen. Ich bin 21 und arbeite in einem Gewerbe, in dem man normalerweise mit 30 anfängt. Ich muss mich wesentlich weiser geben als andere in meinem Alter. Bildung ist in vielen Bereichen so ein krasses Druck-Ding. Gebildet zu wirken oder einen guten Abschluss zu haben ist in diesem Land anscheinend ein Maßstab für Intelligenz.

Wurden Sie schon öfter damit konfrontiert?
Ich habe mich vor kurzem bei verschiedenen Radios für ein Praktikum beworben. Seit vier Jahren moderiere ich verschiedene Kleinkunstbühnen und habe dort mittlerweile einen großen Namen. Trotz all meiner Referenzen bekam ich die Antwort: „Sorry, nur mit Abitur“. Es ärgert mich, wenn Kompetenzen weniger zählen als Schulbildung. Ein Praktikant mit Abitur, der sich vor das Mikro stellt und stottert wird genommen. Auf diese Weise werden Talente übersehen.

Sie treten seit einigen Jahren auf Poetry Slams auf, bei denen Künstler mit ihren Texten gegeneinander antreten. An Schulen geben Sie Poetry-Slam-Workshops. Wie ist es, auf der anderen Seite zu stehen?
Ich komm immer ganz locker in die Klasse, setz mich auf den Tisch und sage „Moin“. In dem Moment sagt der Lehrer: „Herr Hermeler, setzen sie sich doch bitte auf einen Stuhl“. Ich sage: „Nö“. Mir ist es wichtig, das schulische Konzept aufzubrechen. Persönlichkeit ist mit einer steifen Schulform und stumpfem Lernen nicht zu vereinen. Das hat auch bei mir nie funktioniert, deshalb bin ich immer Umwege gegangen.

Was braucht jemand, um solche Umwege zu gehen wie Sie?
Jeder kann sie gehen. Die passenden Eigenschaften entwickeln sich dann mit der Zeit. Man muss das Glück haben, die richtigen Leute zu treffen, um nicht durchzudrehen. Wäre es bei mir anders gelaufen, hätte ich zu einem dieser Schüler werden können, der mit der Pump Gun durch die Schule läuft. Ich hatte das Glück, von meiner Mutter unterstützt zu werden. Und ich hatte schon immer diese verdammte Arroganz, durch die ich über den Dingen stand. Die hat mich vor dem Durchdrehen bewahrt.

Rein hypothetisch – was glauben Sie, wäre aus Ihnen ohne die Legasthenie geworden?
Ich wäre wahrscheinlich ein bürgerlicher Kaufmannssohn geworden. So wie es mein Vater wollte.

Wie wichtig ist eine gute Rechtschreibung?
Für mich privat ist es Jacke wie Hose. Allerdings bin ich Unternehmer und muss Briefe, Rechnungen, Angebote und den ganzen Kram schreiben. Da bekomme ich natürlich sofort Ärger, wenn die voller Fehler sind. Die korrigiert vorher meine Familie.

Ihr erstes Buch handelt von Magie und Parapsychologie. Ist das Ihr heimliches Anti-Wissen?
Ich habe mich damals sehr viel mit alternativem Glauben beschäftigt. Heute weiß ich, dass das nicht meine Lebensart ist. Aber in erster Linie ging es natürlich um das Genre Phantasie. Dafür musste ich mich mit dem Zeug auseinandersetzten. Und das hat mir Spaß gemacht.

Was lesen Sie gerade?
Momentan lese ich Anschreiben und Buchungen. Ich bin eine Anti-Leseratte und lese ungern. Es ist anstrengend für mich. Ich muss mich unheimlich konzentrieren und bekomme Kopfschmerzen. Da schaue ich lieber einen Film oder höre mir die Geschichte an.

Viele Schriftsteller haben Vorbilder. Wie ist das bei Ihnen?
Das wird mir oft unter die Nase gerieben. „Pascal“, sagen sie, „fang doch mal an, dich an anderen zu orientieren, du machst immer so einen außergewöhnlichen Mist.“ Da denk ich nur: Du mich auch!

Also gibt es die immer noch, die einem sagen, was man zu tun und zu lassen hat?
Natürlich. Ich bin kontrovers und gehe immer andere Wege. Da gibt’s natürlich viele Kritiker. Aber daran reift man.

 

Das Interview führte Christine Stöckel.

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