Gesellschaft

"Und woher kannten SIE den Verstorbenen?"

Dr. Richter ist Trauerredner in Berlin. Bei nichtkirchlichen Beerdigungen zeichnet er ein letztes Bild der Verstorbenen. Für die Hinterbliebenen ist er oft ein wichtiger Seelsorger. Vor der eigenen Trauer schützt es nicht.

An einem verschneiten Sonntag im Januar sitze ich bei Dr. Richter zum Gespräch in seinem Fernsehzimmer. Um meine Füße schleicht schnurrend Kater Felix, der ein vernarbtes Auge hat und mich an einen Piraten erinnert. Ich treffe Dr. Richter zum zweiten Mal. Die erste Begegnung war beim Begräbnis meines Großvaters. Er ist von Beruf Trauerredner.

Mit zwei Handgriffen findet er die Notizen zu der Rede meines Großvaters vor vier Jahren. Ich kann mich an keine Einzelheiten erinnern, habe die Rede aber sehr positiv in Erinnerung. Das sei fast immer so, sagt er. Als Trauernder ist man zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Er redet offen und lebhaft, ich merke: Er ist ein Profi.

Dr. Richter ist 66 Jahre alt, hat eine gemütliche Statur und schlaue Augen. Das Haupthaar ist schon licht geworden. Ein Kollege beschreibt ihn als rheinische Frohnatur. Er kommt ursprünglich aus Düsseldorf und zog 1965 zum Studieren nach Berlin. Als er 1992 als Trauerredner begann, wollte der promovierte Geschichts-wissenschaftler sich eigentlich nur etwas Geld zu seiner Arbeit an der Universität hinzu verdienen. Acht Monate dauerte seine Ausbildung. Bald erhielt er so viele Aufträge, dass er sich ganz auf die Rednerei konzentrierte.

Das größte Kompliment sei, wenn die Leute einen nach der Beisetzung verwundert fragten: „Und woher kannten SIE den Verstorbenen?“ Im Vorfeld führen Trauerredner ein Vorgespräch, telefonisch oder bei einem Hausbesuch. In der Regel dauert dies 20 bis 60 Minuten. In manchen Fällen bleibe er aber auch länger und übernehme schon mal die Rolle des Seelsorgers. „Der einzige Schutz, den wir haben, ist, dass wir die Verstorbenen nicht kennen“, erklärt er und schenkt sich Kaffee nach. Während der Rede wird er gerne sehr persönlich, für die Beerdigung gelten aber strenge zeremonielle Regeln und er wahrt die Distanz zu den Trauernden. Feuchte Augen bekäme er schon mal, vor allem bei sehr plötzlich Verstorbenen und Kindern. Er betont: Weinen dürfe man allerdings nicht, das gehöre nicht zur Rolle.

Persönliche Krise

Nach den ersten eineinhalb Jahren als Trauerredner hatte er einen melancholischen Einbruch. Die Kollegen standen ihm zur Seite. „Die Geschichten muss man gleich wieder vergessen.“ Trotzdem sei der Beruf sehr bereichernd für ihn. Wie bei allen Helferberufen, gebe ihm vor allem das Feedback und die Dankbarkeit der Hinterbliebenden viel. Die Einzelschicksale der Menschen seien lehrreich und inspirierend. Auch könne er als Trauerredner alles verwenden, was er an der Universität als Historiker und im Berufsleben bisher gelernt habe.

Beim letzten Termin allerdings vergoss auch er ein paar Tränen. Es war seine erste Rede nach einer viermonatigen Pause. Denn im Sommer fand sich Dr. Richter auf dem Hamburger Südfriedhof selber unter den Trauernden ein: auf der Beerdigung seiner Schwester. „Mein Beruf spielte dort keine Rolle, ich war nur der Bruder.“ Die Rede für seine Schwester schrieb er selber, gelesen hat sie allerdings jemand anders. „Das hätte ich nicht gekonnt. Ich war froh, als es vorbei war.“

Steuerrechtlich sind Trauerredner Künstler, das mussten sie sich gerichtlich erkämpfen. „Möchten Sie von einem Gewerbeschaffenden oder von einem Künstler bestattet werden?“, fragte einer von ihnen das Gericht. Damit können sich Trauerredner über die Künstlersozialkasse versichern.

Seine Schwester hat ihm ein Haus bei Hamburg hinterlassen, sowie Piratenkater Felix. Dieser stellt sich als sehr verschmust heraus und hopst mir zwischenzeitlich auf den Schoß. Seinen Beruf als Traueredner wird er trotz seiner Pensionierung im Juli 2008 auch weiterhin ausüben: „Freiwillig hört von uns keiner auf.“

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Kategorie: Gesellschaft