Gesellschaft

Holy Shit Shopping im Advent

Ein Ausflug auf den etwas anderen Berliner Weihnachtsmarkt – ganz ohne Glühwein und Bratwurst. Dafür mit ungewöhnlichen Geschenkideen und hübschen Überflüssigkeiten.

Was für's Auge und den Magen: selbstgemachte Kekse mit kerniger Botschaft

Schallplatten als kleine Anhänger für die Ohren. Schallplatten als Schalen für Chips. Schallplatten bei den DJs. Schallplatten überall. Es ist ein Sonntag im Dezember, der 3. Advent. Die Titelmusik „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ schallt durch den Raum. Willkommen beim Holy Shit Shopping am Alex in Berlin: Besinnlichkeit exklusive.

Massen an hippen, verzweifelt-individuell aussehenden Leuten jungen, mittleren und älteren Alters mit und ohne Kinder strömen in die drei Eingänge der Karl-Liebknecht-Straße in der Galerie Spandauer Straße und im HBC. Die übliche Klientel aus den trendigen Stadtteilen Berlins: Nerd-Brille auf der Nase, Bommel auf dem Kopf und Jutebeutel um die Schulter. Ich mittendrin, zwar ohne diese Accessoires, dafür mit Schlafmangel und leerem Magen. Je später der Nachmittag, desto länger die Schlangen vor den Eingängen. Innen quetschen sich die Besucher an Ständen des temporären Kunst- und Designmarktes vorbei, an denen Waren verschiedenster Art liegen. Allen gemeinsam: schick, teuer, überflüssig. Vom Kissen mit Biodinkel-Füllung über Plätzchen in Städteform bis hin zu Fernsehturmkerzen. Schöner Schnickschnack zu hohen Preisen. Angeblich aber günstiger als in den herkömmlichen Kreuzberg-Läden oder auf DaWanda, einem Internetshop, der solchen Klimbim zum Bestellen anbietet. Ich höre Leute murmeln: „Wenn ich einmal alles hab und immer noch genug Geld übrig ist, dann kaufe ich mir diese hübschen Überflüssigkeiten.“

Von Zimtzicken und Allergien

Näher ich mich einem Stand mit diesen netten Dingen, brüllt es mir entgegen: „Echtes Leder in Deutschland gegerbt. Willste was billigeres, musste was aus Indien kaufen. Davon kriegste aber Hautallergien.“ Verstört und abgeschreckt verlasse ich den Stand. Vielleicht bekomme ich von billigem Leder ja Allergien, aber von giftigen Zimtzicken wird mir auch ganz schlecht.

Weiter geht’s zu den Auslagen mit Kindersachen und vorbei an einer Mutter, die liebevoll ihr Kind säugt. Glücklich und zufrieden schlummert es auf ihrem Schoß, während drum herum Chaos herrscht. Vielleicht liegt es am 3. Advent und dem nahenden Heiligen Abend, aber dieser Anblick stimmt mich dann doch ein wenig besinnlich. Es währt aber nicht lange und schon reißt mich ein ungehobelter Schubser von der Seite zurück ins Gewusel. Ich verlasse die Kinderabteilung; habe ja gar keinen Nachwuchs zu beschenken.

Gurkenhappen ohne Rand

Am anderen Ende des Raums erwartet mich ein Comic-Stand mit Witzen über den Führer und einer aussagekräftigen Zeichnung. Ich glaube, es ist das erste Mal, dass ich Hitler unten ohne sehe. Mir ist aber irgendwie gar nicht zum Lachen. Die Temperatur ist auf gefühlte 40° Grad gestiegen und natürlich gibt es keine Garderobe für die Jacken. Mein Kreislauf muckt auf. Es ist Zeit, etwas zu sich zu nehmen. Für den Anfang tut’s eine Fritz Cola. Wie sich später herausstellt, kann man die Pfandflasche leider nicht im zweiten Ausstellungsraum zurückgeben, wo es Austern und kleine Gurkenhappen gibt (ohne Rand). Wahrscheinlich würde eine leere Fritz Cola nicht ins Ambiente passen. Neben der Bar sitzen Leute gemütlich, lauschen technoiden Klängen und starren auf die leere Tanzfläche, auf der sich bis dahin nur Kinderwagen tummeln. Die richtige Party mag wohl erst nach 18h starten, wenn der Sandmann die Kinder mit Schlafsand bestäubt hat.

Tätowierte T-Shirts

Im dritten Raum präsentieren sich vermehrt Verlage und deren Publikationen. Fantasievoll gestaltete Cover strahlen von den Tischen, selbst gebastelte Karten lachen aus Ständern, eigen bemalte Lampenschirme leuchten von den Decken. In der zweiten Etage sitzt ein Mann an einer Nähmaschine und tätowiert T-Shirts, dekoriert sie also. Verzückt steht eine junge Frau in der Ecke und schaut ihm bei der Arbeit zu. Sieht, wie seine Hände gekonnt den Stoff umfassen und um die Nadel führen. Handarbeit macht sexy.

Ich verlasse die Szenerie mit einem kleinen Andenken – ein Portemonnaie mit Fliegenpilzen. Schön, teuer, aber für mich ein kleiner Höhepunkt an einem Sonntag im Dezember – heiliger Scheiß eben.

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Kategorie: Gesellschaft

Julia Wießner wurde am 22.09.1986 in Cottbus geboren. An den Mauerfall kann sie sich nicht erinnern. Trotzdem war sie gleich vor Ort und befragte die Menschen in der Schlange fürs Begrüßungsgeld. Da war klar: Sie wird Journalistin. Nach Abitur und neun Monaten Australien entschied sie sich, gen Westen zu ziehen. Sie studierte drei Jahre für einen B.A. an der Universität Siegen „Literary, Cultural and Media Studies“ mit den Schwerpunkten Deutsch und Englisch. Nebenbei arbeitete sie bei einem Uni-Magazin und drei Monate in Potugal. Sie machte Praktika bei Radio Cottbus, dem RBB, der Medienagentur Fulmidas, der Berliner Zeitung und dem TV-Kulturmagazin Aspekte. Neben dem Studium arbeitet sie in der Online-Redaktion der Berliner Morgenpost. Außerdem unterstützt sie das Produktmanagement von Berlin1.de. Sie merkte, dass sie gut unter Zeitdruck arbeiten kann und es freute sie, am Ende des Tages ein fertiges Produkt zu sehen oder zu hören. Ihre Spezialitäten sind die Medien selbst, Kulturpolitik, Filme jeglichen Genres, klassische und zeitgenössische Literatur. Kultur ist für sie ein offener Begriff, der alles vereint, was nicht Natur ist. Und so interessiert sie sich vor allem für gesellschaftliche Phänomene. Sie würde gern das ZDF „Morgenmagazin“ moderieren oder als Redakteurin bei einer Berliner Tageszeitung arbeiten.