Gesellschaft

Der exotische Mauerstädtler

 

Künstler und Wahlberliner: Thomas Eller Foto: Nadine Dinter (Copyright)

Thomas Eller, internationaler Künstler und Preisträger, hat sich bewusst für Berlin entschieden, um hier zu arbeiten und zu leben. Seine Kunst ist in besonderer Weise mit der Stadt und dem damaligen zerbröckelnden Sozialismus verbunden.

 

 

Ein Gesicht besteht aus einer Stirn, zwei Augen, einer Nase, einem Mund und einem Kinn. Das Haar setzt darüber an, manchmal auch schon im Gesicht. Thomas Ellers Augen sind braun, die Haare dunkelbraun und vorne etwas länger. Das Kinn ziert ein Dreitage-Bart, die Augenbrauen sind hochgezogen und spitz. Sie verleihen dem Gesicht einen leicht überheblichen Ausdruck. Doch das verschmitzte Lächeln, das seine Mundwinkel umspielt, macht ihn wieder sympathisch.

Eller ist Künstler und er lebt in Berlin, genauer gesagt in Kreuzberg. Das ist nicht verwunderlich, wo Kreuzberg und Kunst schon fast Synonyme für einander geworden sind. Der 46–Jährige wohnt in einem Kreativhaus, dem Aqua Carré, das unterschiedlichste Menschen beherbergt und berufliches und soziales Zusammenleben fördert: Fotografen, Designer und Architekten, Maler, Bildhauer, Musikproduzenten, PR-Agenturen und sogar Köche. Ein wahres Mekka an Kreativität inmitten von Plattenbau und sozialem Brennpunkt am Moritzplatz, der zum einen abgeschieden und zum anderen nah am Zentrum gelegen ist. In Kreuzberg entdeckte er eine „schräge Gegend, in der alles schnell erreichbar ist“.

„Die Berliner Mauer grau streichen“

Thomas Eller lebte schon einmal in Berlin, vor der Wende. 1964 in Coburg geboren, zog er 1985 nach West-Berlin, um hier an der Universität der Künste Bildende Kunst zu studieren. Jedoch war dies nur ein kurzweiliger Aufenthalt. Aufgrund „institutioneller Zwänge“, wie der Künstler selbst sagt, exmatrikulierte er sich bereits wenig später. Daraufhin studierte er an der FU Religionswissenschaften, Philosophie und Kunstgeschichte. Als Künstler und Student setzte sich Eller auch mit der Mauer auseinander, die mitten durch seine neue Wahlheimat verlief. Im Dezember 1986, kurz vor seiner Zwangsexmatrikulation, hatte der junge Künstler das Projekt „Die Berliner Mauer grau streichen“ begonnen. Mit vermeintlicher Erlaubnis der DDR-Behörden (die er nie erhielt) hatte er einen Mauerteil hinter dem Künstlerhaus Bethanien in Kreuzberg übermalt, um den „Skandal“ eines Mauerbaus wieder ins westliche Gedächtnis zu rufen. Wenige Jahre später fiel die Mauer.

Ein kurzes Intermezzo

Nach seinem Studium ging Eller für acht Jahre nach New York, wo er Hans Neuendorf traf, der ihn überzeugte, eine deutsche Version der Kunsthandelsplattform artnet mit dazugehörigem Magazin zu gründen. Der Künstler wurde zum Journalisten und damit laut Eller eine „schizophrene Persönlichkeit“. Von 2004 bis 2008 war er erfolgreicher Chefredakteur des Magazins und ab 2006 Managing Director der Internetplattform. In diesem Jahr kehrte er auch zurück nach Berlin, wo er ab 2008 als Geschäftsführer die Temporäre Kunsthalle Berlin leitete. Diesen zweijährigen Abschnitt bezeichnet er selbst als „Zäsur“ in seinem Leben.

“And what do you represent?“

Heute setzt sich Eller wieder mit seiner eigenen Kunst auseinander. Im Oktober und November 2010 zeigte der Künstler in seiner Ausstellung „THE ego show – a group exhibition“ Fotografien, Zeichnungen und Lithografien im Autocenter. Für ihn sei dieser Ausstellungsraum in der Eldenaer Straße die „Kunsthalle des Herzens“ und „ein Epizentrum“, weshalb er ihn auch nach langer Schaffenspause als Ausstellungsstätte wählte. Sein thematischer Schwerpunkt liegt im Verhältnis von Raum und Zeit. Er schneidet fotografierte Gegenstände aus und entbindet sie ihrem temporalen Kontext. So hatte der Künstler 1991 in Riga eine überlebensgroße Pappfigur von sich selbst gegenüber einer Lenin-Statue installiert. Diese „THE“-Skulptur stellte außerdem im Lokalfernsehen regelmäßig die Frage „And what do you represent?“. Kurze Zeit später zerbrach auch die UdSSR.

Menschen machen Orte

Was aber zieht einen Künstler wieder zurück nach Berlin-Kreuzberg und weg von New York? Berlin galt für Eller schon immer als Sehnsuchtsort und exotische Mauerstadt. Er habe sogar Spuren von New York in Berlin wieder gefunden. So hätten beide Städte einmal starke Kontraste in Mitte beziehungsweise Soho gezeigt, die durch eine wilde Aneinanderreihung von Ruinen und Galerien, Armut und Luxus generiert wurden. Nach der Wende legte Berlin laut Eller ein „aufgekratztes Selbstverständnis“ an den Tag. Für die heutige Zeit fällt sein Urteil eher nüchtern aus: „Berlin sucht. Die Stadt weiß nicht, wo sie steht. Berlin hat zu viel versprochen und steckt dabei stets in einer pubertären Phase.“ Trotz fehlender „Außenreize“ in Berlin fühle er sich hier produktiver, die Fantasie pulsiere und die Beziehungen zwischen den Menschen seien viel intensiver. Denn im Endeffekt „machen Menschen Orte“. Wie man an Thomas Eller sieht, können sie sogar indirekten Einfluss auf das politische System vor Ort ausüben und überholte Bauwerke und Ideologien zum Einsturz bringen.

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Kategorie: Gesellschaft

Julia Wießner wurde am 22.09.1986 in Cottbus geboren. An den Mauerfall kann sie sich nicht erinnern. Trotzdem war sie gleich vor Ort und befragte die Menschen in der Schlange fürs Begrüßungsgeld. Da war klar: Sie wird Journalistin. Nach Abitur und neun Monaten Australien entschied sie sich, gen Westen zu ziehen. Sie studierte drei Jahre für einen B.A. an der Universität Siegen „Literary, Cultural and Media Studies“ mit den Schwerpunkten Deutsch und Englisch. Nebenbei arbeitete sie bei einem Uni-Magazin und drei Monate in Potugal. Sie machte Praktika bei Radio Cottbus, dem RBB, der Medienagentur Fulmidas, der Berliner Zeitung und dem TV-Kulturmagazin Aspekte. Neben dem Studium arbeitet sie in der Online-Redaktion der Berliner Morgenpost. Außerdem unterstützt sie das Produktmanagement von Berlin1.de. Sie merkte, dass sie gut unter Zeitdruck arbeiten kann und es freute sie, am Ende des Tages ein fertiges Produkt zu sehen oder zu hören. Ihre Spezialitäten sind die Medien selbst, Kulturpolitik, Filme jeglichen Genres, klassische und zeitgenössische Literatur. Kultur ist für sie ein offener Begriff, der alles vereint, was nicht Natur ist. Und so interessiert sie sich vor allem für gesellschaftliche Phänomene. Sie würde gern das ZDF „Morgenmagazin“ moderieren oder als Redakteurin bei einer Berliner Tageszeitung arbeiten.