Film, Gesellschaft
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Shitty Times in Ebbing, Missouri

Trauer, Vergeltung und Selbstjustiz garniert mit politisch-inkorrekten Witzen und Blut. Der Kriminalfilm „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ ist mit sieben Nominierungen ein diesjähriger Oscar-Favorit – und könnte amerikanischer nicht sein.

Fuck, Bitch, Motherfucker, god damn – es wird viel geflucht in der Kriminalkomödie von Regisseur Martin McDonagh. Sein Film ist unter anderem für das beste Originaldrehbuch bei den Oscars im Rennen. Den Menschen in der fiktiven Stadt Ebbing scheint nichts ferner zu liegen als gewalt- und diskriminierungsfreie Kommunikation. Da gibt’s ein gottverdammtes Osteressen, der Polizist wird mit Fuckhead begrüßt, es fällt lapidar das N-Wort. Die drastische Sprache steht im Kontrast zur Kulisse des weiten, unbewegten Landes an dessen grünen Felder schicksalhaft die Kleinstadt klebt. Ruhig, also unheilvoll? Wir befinden uns im US-Bundesstaat Missouri im mittleren Westen des Landes. Dort sind die Menschen –  so das Klischee –  unbeirrbar, konservativ und argwöhnisch. In Ebbing sind sie auch noch wütend.

Rassistische, untätige Cops

Die Kraftausdrücke scheinen dabei ein Ventil für die Wut der Bewohner*innen des verschlafenen Ortes zu sein. Im Mittelpunkt der Geschichte steht Mildred Hayes – die Figur einer einsamen Westernfrau, die sich im blauen Overall von niemanden etwas gefallen lässt – am wenigsten von der Polizei.  Denn statt den Mord und die Vergewaltigung ihrer Tochter Angela aufzuklären, würden sich die Cops lieber damit beschäftigen, Schwarze zu misshandeln. Hayes beschließt das Unrecht anzuprangern: Sie mietet drei riesige, längst nicht mehr benutzte Werbeflächen – Billboards –  am Rand einer kaum befahrenen Straße vor der Stadt: „Vergewaltigt, während sie im Sterben lag” liest man auf der ersten Tafel. „Und immer noch niemand verhaftet?”, fragt die zweite. Die dritte greift schließlich eine Person direkt an: „Wie kann das sein, Chief Willoughby?“

Bill Willoughby (Woody Harrelson) – das ist der schlagfertige, beliebte Polizeichef der Stadt. Er hat Krebs und nicht mehr lange zu leben. Der Angriff auf seine Person bringt einige Menschen gegen die verzweifelte und sich nach Vergeltung sehnende Mutter auf. Nicht offen ausgetragene Konflikte zwischen Charakteren kommen durch die polarisierenden Tafeln an die Oberfläche. Das führt zu Gewalt, viel Gewalt: Aus Fenster stürzende Menschen, Prügeleien in einer Bar, Tritte in die Weichteile auf dem Schulhof.

Stilmittel der Übertreibung mal richtig übertreiben

Blutspritzer sind dabei ein so offenkundiges Filmmotiv, dass sie ein Fingerzeig für die gewollten Stigmatisierungen des Films sind. Ähnlich funktionieren Kostüm der Hauptfigur, die selbst beim Date im Restaurant noch ihren verwaschenen Overall trägt oder das Einsetzen von teils stereotyper Countrymusik und Operngesang in den tragischen Szenen des Films. Und wenn nach einem Selbstmord Chiquitita von Abba angespielt wird, ist das eine Fallhöhe, die nur die Figur des mutterhörigen, homophoben Prügelpolizisten mit Comicfaible –  der irgendwo auch noch ein Herz versteckt hat –  in seiner Abgedroschenheit toppen kann.

Kein anderer als dieser sperrige Titel wäre passender: „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ lebt von schnellen Dialogen im Wechsel mit ruhigen Landschaftsaufnahmen und nachdenklichen Monologen. Auch verdienen die drei Hauptdarsteller*innen Frances McDormand, Woody Harrelson und Sam Rockwell die Oscar-Nominierungen für die beste weibliche Hauptrolle und die besten männlichen Nebendarsteller. Das trockene, körperherrschte Spiel von Schauspielerin Frances McDormand erinnert an ihre Oscar-prämierte Leistung als hochschwangere Polizistin im Western „Fargo.“ In „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ erzielt jeder ihrer vernichtenden Blicke seine Wirkung: vom Pfarrer über den gewalttätigen Exmann bis hin zum Polizeichef treffen diese vor allem Männer. Ihr kühles, wütendes-Ich bricht nur in Situationen in denen sie sich unbeobachtet wähnt. Dann kommt die tieftraurige Mutter zum Vorschein, die sich ihre letzten Worte an ihre Tochter nicht verzeihen kann. Frances McDortmand spielt beide Facetten mit einer solchen emotionalen Entschlossenheit, dass ihr die volle Aufmerksamkeit der Zuschauer*innen sicher ist.

Klischeehaft amerikanisch

Der bitterböse Humor trägt die Länge des Films und kennt keine Tabus. Unkontrollierbare Lacher werden im nächsten Moment von Ungläubigkeit gestoppt. Wollte man einen Film schaffen, der in jeglicher Hinsicht überzogen ist – es ist gelungen. Mal zu drastisch, zu rassistisch, zu heroisch. Und trotz der tragischen und komplexen Figuren zu inhaltsleer. Der grausame Mord gerät durch die unterschiedlichen Erzählstränge in den Hintergrund, ebenso die inhärente Kritik. In Erinnerung bleiben die Pointen, wie die des humorvollen Chief Willoughbys: „Wer kümmert sich schon um Zahnärzte? Niemanden interessieren Zahnärzte.“

Mit den Themen Polizeigewalt, Sexismus und Degradierung von Personen aufgrund von äußerlichen Merkmalen werden wichtige, aktuelle Gesellschaftsdebatten aufgegriffen. Daher hat der dritte Langspielfilm von McDonagh – den Regisseur verbindet man vor allem mit dem Drama „Brügge sehen… und sterben?“  – beste Chancen sich bald mit der Auszeichnung der häufig politischen Academy Awards zu schmücken. Waffen, Gewalt, Unterdrückung. Nach zwei Stunden Filmlaufzeit bleibt hängen: Das ist traurig amerikanisch da, in diesem Ebbing, Missouri.

Foto: Merrick Morton. © 2017 Twentieth Century Fox Film Corporation All Rights Reserved

 

 

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