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Fatih Akins preisgekröntes Rachedrama  „Aus dem Nichts“ erzählt glaubwürdig und körperlich spürbar vom emotionalen Ausnahmezustand einer Frau, die bei einem rechtsradikalen Anschlag alles verloren hat. 

Es sollte ein ganz normaler Abend im Leben einer Hamburger Familie werden. Aber der Himmel weint, als Katja Şekerci ihren Mann und ihren Sohn abholen möchte. Nichtsahnend bahnt sie sich im Auto einen Weg durch den prasselnden Regen, als es plötzlich nicht mehr weitergeht. Kurz vor dem Übersetzungsbüro von Nuri Şekerci ist die Straße gesperrt. Flackerndes Blaulicht, heulende Sirenen, massenhaft Einsatzwagen, aufgescheucht hin- und herrennende Sanitäter, Polizisten in Spezialausrüstung. Nüchtern erklärt man ihr, es habe eine Explosion gegeben. Sie wird gebeten, umzudrehen. Doch Katja Şekerci erkennt, dass der Ort der Explosion das Büro ihres Mannes gewesen sein muss. Dort, wo ehemals das Ladenlokal war, befindet sich nun ein verkohltes, rauchendes Loch. Wie von Sinnen stolpert sie aus dem Auto, rennt und schreit sich die Seele aus dem Leib. Doch es ist zu spät. Sie wird Nuri und Rocco nie mehr wiedersehen.

Die Geschichte, die Fatih Akin in seinem neuesten Kinofilm „Aus dem Nichts“ erzählt, ist an die NSU-Morde angelehnt. An die Gräueltaten jener rechtsextremen Terrorgruppe, der unter anderem vorgeworfen wird, neun Migranten und eine Polizistin ermordet sowie zwei Sprengstoffanschläge verübt zu haben und gegen deren Mitglied Beate Zschäpe seit 2013 der Prozess läuft. Doch anders als in der Realität, in der vor allem von den Tätern und wenig von den Opfern zu hören war, richtet der Regisseur sein Hauptaugenmerk auf die Betroffenen, will deutlich machen, welchen Vorurteilen und Qualen die Hinterbliebenen ausgesetzt sind. Denn Katja Şekerci, deren Mann kurdische Wurzeln hat und wegen Marihuanahandels im großen Stil für ein paar Jahre hinter Gittern saß, muss sich zunächst von allen Seiten anhören, dass ihr Mann seine Beziehungen zum kriminellen Milieu nie abgebrochen hat und er und sein Sohn deshalb sterben mussten. An einen Mafiaanschlag will sie jedoch nicht glauben und behält mit ihrer Annahme, dass Neonazis dahinter stecken, Recht. Doch Recht zu haben und Recht zu bekommen sind zweierlei. Obwohl nahezu alles auf die Schuld eines Pärchens hindeutet, wird es aufgrund mangelnder Beweise freigesprochen.

Katja (Diane Kruger) erinnert an Kiddo aus “Kill Bill”

„Aus dem Nichts“ wurde als „bester nicht-englischsprachiger Film“ gerade erst mit dem Golden Globe ausgezeichnet. Diane Kruger erhielt für ihre Rolle der Katja Şekerci bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes die Goldene Palme für die beste Schauspielerin. Und tatsächlich ist es zu großen Teilen ihr zu verdanken, dass die Geschichte eine solche Zugkraft entfaltet und so sehr aufwühlt. Diane Kruger, die normalerweise für ihre unterkühlte Ausstrahlung berühmt ist, stellt die unvorstellbare Trauer und Wut ihrer Figur so realistisch dar, dass man jede ihrer Handlungen nachvollziehen kann, selbst dann noch, als sie sich längst jenseits von Recht und Gesetz bewegt. Wenn sie in der Evakuierungshalle zusammenbricht, im Bett ihres Sohnes liegend, in sein Kopfkissen weint, sich zitternd an ihrer Zigarette festhält, befindet man sich gemeinsam mit ihr im freien Fall. Dann der Blick in ihre Augen: Es sind die Augen einer Sterbenden, der niemand helfen kann. Auch dann nicht, als sie blutüberströmt aus der Badewanne wieder auftaucht, so furchterregend schön und unbesiegbar wie Kiddo aus Quentin Tarantinos Rachefeldzug „Kill Bill“. Und auch ihr Tattoo eines Samurai-Kriegers spricht eine deutliche Sprache.

Man könnte Fatih Akin nun vorwerfen, dass er ausgerechnet in dieser Geschichte eine blonde, blauäugige Frau in den Mittelpunkt seiner Erzählung stellte. Wollte er damit beim Mainstream auf Nummer Sicher gehen? Wenn man sein bisheriges filmisches Werk bedenkt, in dem die Hauptfiguren häufig einen Migrationshintergrund haben, ist das ziemlich unwahrscheinlich. Mit seiner Entscheidung zeigt er etwas anderes: Rechtsextremer Terror macht vor niemandem halt – er ist ein gesamtgesellschaftliches Problem.

Ruppig, rau und rebellisch

Ein bisschen schade ist, dass Denis Moschitto dem Anwalt von Katja Şekerci kein markantes Profil zu verleihen vermag. Trotz der Professionalität, die der Beruf seiner Figur mit sich bringt, wäre ein bisschen mehr emotionale Beteiligung und ein schärferes Dagegenhalten oder eine größere Überforderung im Gerichtssaal glaubwürdiger gewesen. Neben dem Anwalt der Gegenseite, der von Johannes Krisch in großartig dämonenhafter Manier verkörpert wird, wirkt Moschittos Darbietung relativ weichgespült.

Nicht so die für Fatih Akin typische Ästhetik, die auch in „Aus dem Nichts“ hier und da auftaucht. Wie viele seiner Filme spielt dieser unter anderem in einem typisch multikulturellen Hamburger Kiez mit Kiosken, Dönerbuden und Moschee. Der nordische Slang seiner Figuren ist ruppig und schlagfertig. Die Kneipenszene in einer Rockerbar hat dieselbe unwiderstehliche Energie wie „Gegen die Wand“. Dazu melancholisch aggressive Rockmusik von Queens of the Stone Age. Auch die Heiratsszene im Gefängnis, die mit einer wackeligen Handykamera aufgenommen zu sein scheint, ist gewohnt rau und rebellisch.

Im Gegensatz zur linear verlaufenden Handlung, ist der Stil des Films fragmentarisch: Die verzweifelten Szenen im abgedunkelten Zuhause wirken wie ein klassisches Drama, die rationale Verhandlung im futuristischen Gerichtssaal haben etwas von einem Kammerspiel und der heroische Showdown inmitten der atemberaubend schönen Küstenlandschaft Griechenlands erinnert an einen kunstvoll überhöhten Actionfilm. Doch dieser Mix, der die Perspektive von Katja Şekerci wiederspiegelt, macht „Aus dem Nichts“ so glaubwürdig. Denn nach diesem Schicksalsschlag muss sich das Leben anfühlen, als ob nichts mehr zusammenpasst. Da wird das Zuhause zum fremden Ort, der Gerichtssaal zum Alien-Tribunal und die Verfolgung der Täter zur surrealen Vergeltungsreise, an deren Ende, als sich der Rauch verzogen hat, nur ein strahlend blauer Himmel übrigbleiben kann.

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