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Gruß und Kuss vom Tegernsee

hallo privat

Uschi Glas alias Julia steigt aus ihrem cremefarbenen Cabrio und betritt die Lobby des Hotel Bachmann. In der Serie aus den Achtziger Jahren spielt sie die wohlhabende Tochter des Hauses. Sie kehrt zurück an den Ort, in dem sie laut Drehbuch ihre Kindheit verbracht hat. Ein Ort, an dem die Welt noch in Ordnung ist, an dem die Natur unberührt und der Mensch anständig ist. Wie dieser Ort heißt, spielt keine Rolle, fiktive Welten brauchen nur soviel Realität, wie die Erinnerung nicht mehr hergibt. Schließlich sollen sie für jeden Zuschauer gedanklich erreichbar sein – innerhalb der Zielgruppe versteht sich. Der Altersdurchschnitt für letztere dürfte beim Vorabendprogramm á la Heimatnovela im Öffentlich-Rechtlichen jenseits der 50 liegen. Ebenso wie der des Touristen im Drehort Rottach-Egern. Ist hier vielleicht trotzdem alles schöner? Eine Spurensuche.

Das Hotel Bachmann heißt eigentlich Bachmair und liegt direkt am Tegernsee. „Hier werden Träume wahr“ steht in der großformatigen Hochglanz-Broschüre des Hauses. Auf den cremefarbenen Seiten des Werbeprospekts wechseln sich erhabene Bergpanoramen mit Hüttenromantik ab, die zugleich urig und edel wirken möchte. Die Achtzigerer Jahre sind hier noch nicht vorbei, was nicht nur am Kleidungsstil der Hotelgäste, sondern auch am Alter der abgebildeten Prominenz zu erkennen ist. Auf den Seiten mit der Überschrift „30 Jahre Bachmairs Nightclub“ prangen ein junger Thomas Gottschalk neben dem bereits verstorbenen Rudi Carell und einer mädchenhaften Anne-Sophie Mutter. Der Nachtclub sei die „erste Adresse für passionierte Nachtschwärmer“ und ein „Mekka für junges und junggebliebenes Publikum“ – letzteres fühlt sich bestenfalls davon angesprochen. Das Hotel empfängt den Besucher erwartungsgemäß mit viel Tradition und wenig jungem Publikum, in der Eingangshalle schlappt einsam ein älterer Herr im Bademantel vorbei, schwere Perserteppiche und dunkles Holz verströmen Kurortluft von über 100 Jahren.

Jutta Seidel, verantwortlich für Pressearbeit und Events im Hotel Bachmair ist erst vor drei Wochen an den Tegernsee zurückgekehrt. Ursprünglich kommt sie aus Bremen, hat mehrere Jahre in Berlin und Äthiopien verbracht und wohnt jetzt nur 10 Autominuten von ihrem Arbeitsplatz entfernt. „Ich bin hierher zurückgekehrt, weil es für mich das schönste Fleckchen Erde ist. Man kann hier Lederhose und Bierchen haben, aber auch ganz exklusives Ambiente.“ Das Wort „exklusiv“ gebraucht sie gern, bei dem Gespräch in der üppig dekorierten Hotel-Lobby wirkt es fast niedlich. Die vielen internationalen Größen aus Showgeschäft und Sportwelt, die sie hier schon begrüßt haben will, kann man sich in diesem Moment schwer vorstellen. Aber vielleicht ist es ja genau das, was den Reiz des verschlafenen Örtchens am Tegernsee ausmacht: Die Abschüssigkeit von der modernen Welt.

Seine geografisch isolierte Lage ist für Rottach-Egern Fluch und Segen zugleich. An der verschneiten Promenade vor dem Haupthaus der am See gelegenen Bachmair-Residenz langweilen sich beleibte Damen in Schulterpolsterkostümen in ihren kaum zu unterscheidende Edelboutiquen. Dazwischen erscheinen die kaum moderneren „Bistros“ mit ihrem bodenständigen Speisenangebot nahezu wie kleine Oasen. Wer sich bei „Andy’s“ zwischen Kartoffel- und Gulaschsuppe entschieden hat, darf sich an seiner Fotowand ergötzen, die dem Promi-Katalog des Bachmair-Hotels in nichts nachsteht: Udo Jürgens, Tina Turner, Roberto Blanco – einige Aufnahmen dürften sogar das Restaurant selbst überdauert haben. Auf der Hauptstraße im Ortskern von Rottach-Egern trifft zünftiger Schick auf Textildiskont: Von der hochpreisigen „Trachtenalm“ sind es nur wenige Schritte zur gut gefüllten KIK-Filliale. Noch vor ein paar Jahren hätte man hier ständig auf das internationale „Jetset“ treffen können, erklärt eine Juwelierin, ohne persönliche Erlebnisse mit Conny Froebes, Thomas Gottschalk und Harald Juhnke auszusparen. Mittlerweile wollten die jungen Leute nur noch „Action“, der Spaziergang am See könne keinen mehr beglücken.

„Das Problem des Tegernsees ist der Tegernsee selbst“ titelt der meistgelesene Artikel des Jahres 2011 im Online-Forum „Tegernseer Stimme“, das sich erstaunlich offen mit den aktuellen Problemen des Kreises auseinandersetzt. „Zwar haben wir`s schön am Tegernsee. Aber um den Tourismus ist es gelinde gesagt suboptimal bestellt. Der Wintertourismus – nicht existent.“ heißt es darin. Die Gemeinden verließen sich fast ausschließlich auf die Vorzüge der natürlichen Gegebenheiten ohne sich den veränderten Bedürfnissen der Besucher anzupassen. Begründet wird die „Misere“ des Tegernseer Tals auch mit der Unabhängigkeit vieler Ansässiger vom Tourismus. Den Gemeinden ginge es wirtschaftlich gut, Investitionspläne in neue Projekte blieben häufig so lange in den Schubladen, bis sie wieder veraltet seien. Der Leidensdruck sei noch nicht hoch genug, um Bewegung in die verstaubten Örtchen zu bringen, auch wenn alle Bewohner letzlich vom Tourismus abhängig seien.

Allein filmisch eignet sich Rottach-Egern nach wie vor außergewöhnlich gut als Sinnbild für Alltagsflucht, Idylle und Zeitlosigkeit. Dass ihm genau dieser Vorzug seit einigen Jahren zum Verhängnis wird, ist vielen Bewohnern mittlerweile bewusst. Was fehlt, ist nicht die Bereitschaft, die einmalige Landschaft zeitgemäß in Szene zu setzen, sondern eine Identität, die unabhängig vom Tourismus besteht. Vermutlich lässt sich diese weder in der „Trachtenalm“ noch im neu gebauten „Sansibar Sylt“-Store finden, der die bizarren Auswüchse der Hilflosigkeit am Tegernsee verdeutlicht. Um dem Besucher und Fernsehzuschauer ein besonders authentisches Bild zu vermitteln, wird die Realität geschönt und entfremdet, bis die Kulisse, die unbezahlbare Schaufensterware und das neoromantische Cafe nicht mehr den Bedürfnissen der Anwohner entsprechen. Serienheldin Julias Mutter formuliert es so: „Mir darfs doch nicht schlecht gehen, wenn die Gäste hierher kommen um sich zu erholen“

 

 

 

 

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Kategorie: Film

Viel zu nah an den Bergen ist Lea Dlugosch ihrer Meinung nach groß geworden. Wenn man trotz intensiver Bemühungen der Eltern nie lernt, Ski zu fahren, hat man zwischen Allgäu und Zugspitze keine Chance, sich mit den Alpen anzufreunden. In ihrer Heimatstadt Landsberg sind die Berge leider oft zu sehen, vor allem bei Föhn. Es war also ein logischer Schritt, sich nach dem Abitur gen Norden zu orientieren, wo das weite Meer sich einem zahm erstreckt statt den Blick zu versperren. Sie zog nach Berlin, wo man mit der Bahn nur anderthalb Stunden ans Meer braucht. Theoretisch. Bis heute hat sie es sich aufgehoben, stattdessen die Vorzüge der Großstadt genossen. An der Freien Universität schloss sie einen Bachelor in Publizistik ab, danach arbeitete sie als Assistentin in einer Berliner Galerie, bis sie ein Angebot für ein Praktikum beim ART Magazin in Hamburg erhielt und von da an am liebsten über Vergessenes und Randständiges schrieb – bestenfalls an einem warmen Ort mit weitem Ausblick.

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