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Der Bart macht’s

Gruppe La Barbe Foto: www.labarbelabarbe.org

Gruppe La Barbe (Foto: www.labarbelabarbe.org)

Üppige Bärte am Kinn, um in Cannes gegen den Ausschluss von Frauen im Wettbewerb zu protestieren. Das ist das Prinzip, nach dem die Frauen von La Barbe arbeiten

Da war es, das Totschlagargument: In die Auswahl für die 65. Filmfestspiele in Cannes seien nur Filme gekommen, die es wert sind, auf dem Festival gezeigt zu werden. Mit dieser Aussage reagierte Festivalleiter Thierry Frémaux auf einen offenen Brief der französischen Gruppe La Barbe. Darin haben Künstlerinnen wie Fanny Cottençon, Virginie Despentes und Coline Serreau eine recht einfache Gleichung aufgestellt: Von 22 Wettbewerbsbeiträgen in diesem Jahr kommen exakt 22 Filme von Männern. Ihr Fazit: Frauen dürfen in Cannes zwar ihr Dekollete zeigen, nicht aber ihre Filme.

Inspiriert dazu wurden sie von einem Mitglied der diesjährigen Jury: Die britische Regisseurin Andrea Arnold merkte die fragwürdigen Proportionen in einem Interview an und ist seitdem damit beschäftigt, den Hass des Festivalchefs von sich fern zu halten. Spielverderberin. Schließlich fackelt wegen ihr jetzt ein kleiner Brand in der internationalen Filmszene. Mittlerweile wandert der Blick auch nach rechts und links des Schlachtfelds. So kommt auch einmal zur Aussprache, dass die Auswahl nicht nur betont männlich, sondern auch betont weiß ist. Filme aus Lateinamerika oder Afrika sind fast genauso selten zu sehen, wie Filme von Frauen. Außer vielleicht in den weniger prestigeträchtigen Nebenkategorien. Frauen, die  das ganze Theater für unnötig halten, verweisen auch gerne darauf, dass dieses Jahr in Cannes aber viele Frauenthemen an sich angesprochen werden – nur eben von Männern.

Vor nichts schreckt die selbstbewusste moderne Frau mehr zurück, als dem Stempel, sich in eine Opferrolle zu begeben und nach einer Quote zu betteln. Aber wer wird denn gleich nach einer Quote betteln? Es geht hier um ein grundsätzliches, strukturelles Problem, dessen Auswüchse in Cannes sichtbar sind. Nur etwa 10 bis 20 Prozent aller professionellen RegisseurInnen sind weiblich. Grund dafür sind die gleichen Strukturen, die es auch Managerinnen schwer macht, nach ganz oben zu kommen: männliche. Und warum nicht auf diese Probleme an dem Ort verweisen, an dem die Sonne am hellsten scheint?

Es gab einmal eine Gruppe von Frauen, die mit Quoten nichts am Hut hatten, aber eine Leidenschaft für Zahlen entwickelten. Sie zogen sich Affenkostüme an und nannten sich Guerilla Girls. 1989 zogen sie durch die Straßen New Yorks und klebten Plakate auf denen stand: „Do woman have to be naked to ge into the Met. Museum?“ Auch sie stellten eine ganz simple Rechung auf: 85 Prozent aller Nackten auf den Bildern sind Frauen, aber nur 5 Prozent der Kunstwerke sind von Künstlerinnen. Es ist dasselbe Prinzip, nachdem auch die Damen von La Barbe argumentieren.

Und wie bei den Guerilla Girls damals, geht auch heute ein großes Schnaufen herum, denn leider, leider gibt es einfach nicht so viele große weibliche RegisseurInnen. Ein guter Test, um herauszufinden, von welchem Geschlecht ein bestimmtes Gebiet dominiert wird sind spontane Umfragen im Freundeskreis. 1. Nennt mir fünf große männliche Regisseure! 2. Nennt mir fünf große weibliche Regisseurinnen! Kleine Stütze: Andrea Arnold („Fish Tank“), Sofia Coppola („Lost in Translation“), Debra Granik („Winter’s Bone“), Lisa Cholodenko („The Kids Are All Right“) oder Susanne Bier („Nach der Hochzeit“).

Tatsächlich hat bisher nur Kathryn Bigelow als Frau einen Oscar für beste Regie bekommen, in Cannes war diese eine Frau Jane Campion. 65 Jahre Filmfestival Cannes und nur eine Frau mit einer Goldenen Palme für Regie – das soll nicht demotivierend sein? Eine Art Manifest für die feministische Bewegung in der Kunst gab 1971 der Essay„Why have there been no great women artists“ von Linda Nochlin. Darin geht Nochlin auf die strukturellen Probleme ein, die es Künstlerinnen so schwer machen, auf dem Markt genauso anerkannt zu werden, wie ihre männlichen Kollegen. Die Guerilla Girlshaben die Frage umformuliert: „Why haven’t more women been considered great artists?“ Denn „great“ ist ein ziemlich subjektives Konstrukt. Als gute Kunst oder Kunst überhaupt gilt nur das, worauf sich eine Gesellschaft über ständigen Diskurs irgendwann einmal geeinigt hat. Bestimmt wird der Diskurs von denjenigen, die etwas zu sagen haben in dieser Gesellschaft. Und das sind zumindest in den Auswahlkommissionen für Oscar und Palme vorrangig Männer.

Wenn es also schon fast utopisch ist, als Regisseurin einmal eine dieser wichtigen Preise zu gewinnen, gibt es doch andere Vorteile, die das Küstlerinnendasein hat. DieGuerilla Girls haben sie zusammengefasst: Arbeiten ohne Erfolgsdruck. Der Kunstszene mithilfe von vier Mini-Jobs entkommen zu können. Nicht in Ausstellungen oder Wettbewerben mit Männern sein zu müssen. Zu wissen, dass deine Karriere vielleicht nach deinem 80. anfängt. Nicht die Peinlichkeit durchmachen zu müssen, als Genie zu gelten. Endlich in der Kunstpresse gezeigt zu werden – mit einer Gorilla-Maske im Gesicht. Ziemlich überzeugende Argumente, die aber vor allem eines zeigen: Hinter ein paar Zahlen versteckt sich ein strukturelles Problem, das es Frauen kontinuierlich schwer macht, ähnlich in der Kunstwelt anerkannt zu werden, wie ihre männlichen Kollegen.

Mit den Guerilla Girls haben die Künstlerinnen der französischen Gruppe La Barbe aber nicht nur die Liebe zum Rechnen gemein, sondern auch das Verkleiden mit Fellfetzen. Denn am vergangenen Sonntag legten sich La Barbe üppige Bärte um das Kinn, um vor den Festivaltoren noch einmal gegen den Ausschluss von Frauen im Wettbewerb zu protestieren. Frauen müssen eben erfinderisch sein, wenn sie gesehen werden wollen und nicht bereit sind, dafür ihre Brüste à la Femen zu zeigen. Also muss der letzte Punkt der Guerilla Girls umformuliert werden. Ein weiterer Vorteil, eine Regisseurin zu sein: In der weltweiten Presse und von der Festivaldirektion endlich wahrgenommen zu werden – mit einem Bart im Gesicht.

Zuerst veröffentlicht auf missy-magazin.de

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Kategorie: Film

Katrin Gottschalk, geb. 1985 in Dresden, hat Kulturwissenschaften studiert und ist Absolventin des 9. Jahrgangs des Studiengangs Kulturjournalismus. Inzwischen ist sie Mitglied der Chefredaktion des Missy Magazine und arbeitet als freie Journalistin für DRadio Wissen, Spiegel Online und die Frankfurter Rundschau.

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