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Vom Sattel an die Singer

Um Mode zu machen, muss man eine abgeschlossene Schneiderlehre haben, Design studieren und unzählige Praktika absolvieren? Zwei junge Designer aus Rostock zeigen, dass es auch einfacher geht.

Vor zwei Jahren planten die begeisterten Rennradfahrer Felix Linström und Philipp Heyna eine Radtour, doch die perfekten Jacken waren gar nicht so leicht zu finden. “Entweder waren die Ärmel zu kurz, die Jacke rutschte hinten hoch oder sah einfach nicht gut aus”, erinnert sich Philipp. Kurzerhand klickten sich die beiden durch einen Web-Shop, bestellten atmungsaktive und wasserabweisende Stoffe und nähten sich ihre Jacken selbst. Das war vor gut einem Jahr. Mittlerweile ist aus der Notlösung das Labelprojekt “Auguste 86” geworden.

Das Logo von “Auguste 86” zeigt das Kettenblatt eines Fahrrads und zwei Nähnadeln. “Das zeigt, dass wir Radfahren und Nähen vereint haben”, erklärt Philipp Heyna. (Bild: Stay Loud)

Zu Beginn nähten die beiden Rostocker nur für sich und ihre Freunde, doch mit der Zeit sind immer mehr Anfragen aus ganz Deutschland gekommen. “Jetzt kann man unsere Stücke auch in Berlin, Dresden oder Düsseldorf auf der Straße sehen”, sagt Philipp. Eine Jacke reist derzeit sogar um die Welt. Philipp hat das Stück eigens für eine dreijährige Weltreise genäht. Meist sind es aber junge Radfahrer, die Jacken und Taschen bei “Auguste 86” bestellen.

Unikate für Dreck und Matsch

Warum die Produkte “made in Rostock” gerade bei jungen Leuten auf zwei Rädern gut ankommen? Philipp ist überzeugt, dass das an dem besonderen Konzept liegt. Wenn ein Auftrag für eine Jacke hereinflattert, spricht der 27-Jährige mit dem zukünftigen Träger erstmal über das Einsatzgebiet. Geht es nur darum, kleine Schauer in der Stadt zu überleben oder steht eine zweiwöchige Radtour durch Dreck und Matsch an? So entscheidet Philipp, welches Material er verwenden wird. Ob schräger oder gerade Reißverschluss, mit Kapuze oder ohne, knallblaue oder quietschgrüne Nähte – das überlässt er seinen Kunden. Damit die Jacke später wie eine zweite Haut sitzt, werden außerdem Rücken, Schultern und Arme ausgemessen. Zum Schluss hält der neue Besitzer ein Unikat in den Händen.

Gelernte Schneider sind Philipp und Felix indes nicht. Felix lernte durch seine Ausbildung zum Ergotherapeuten, wie man mit Nadel und Faden umgeht. Daraus wurde schnell ein Hobby. Das interessierte auch Philipp, der eigentlich Schiffstechnik studiert. Er ließ sich die Tricks und Kniffe von seinem Freund zeigen.

Zwischen Nähmaschinenrad und Ritzel

Heute wissen die beiden ganz genau, was bei “Auguste 86” genäht werden soll. Sie verwenden nur langlebige Textilien oder recyceln Stoffe. Für Tabakbeutel und Umhängetaschen zerschneiden sie ausrangierte Kite-Segel, die ihnen Freunde überlassen haben. Und auch in puncto Produktion gehen sie eigene Wege. “Wir nähen größtenteils an alten fußbetriebenen Nähmaschinen, zum Beispiel an einer alten Singer oder einer Atenburg aus der DDR”, erzählt Philipp. Mit einer gewöhnlichen Haushaltsmaschine ließe sich etwa der Rucksackstoff Cordura nicht verarbeiten. “Und es ist einfach ein anderes, ein besseres Nähgefühl. Mir macht es mehr Spaß”.

Philipp und Felix haben sich 2009 beim Radfahren kennengelernt, damals waren sie noch mit BMX-Rädern unterwegs. Heute schwören sie auf ihre Rennräder und ihre Heimat. Das zeigt sich sogar im Namen: In der Rostocker Augustenstraße 86 wohnten die beiden, als sie das Projekt begannen. “Es hat sich hier in Rostock eine krasse Szene entwickelt mit den Radfahrern, es gibt einen guten Zusammenhang der Leute”, sagt Philipp. Der Radsport inspirierte die beiden Köpfe von “Auguste 86” auch zu ihrem Logo. Schlicht, in rot und weiß, zeigt es ein Ritzel, also ein Kettenblatt. Darüber kreuzen sich zwei Nadeln. “Das zeigt, dass wir Radfahren und Nähen vereint haben und dass es sich halt auch bei uns durchzieht”, betont Philipp.

Ritzel und Nähmaschinenrad drehen sich bei “Auguste 86” täglich. Neben den Radtouren mit ihren Freunden haben sie derzeit alle Hände voll zu tun mit den Jacken und Taschen, die bis zum 24. Dezember unterm Baum liegen müssen.

Den Audiobeitrag zum Thema findet ihr hier:

Vom Sattel an die Singer mit Auguste 86

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Kategorie: Design

Angie Pohlers

Angie Pohlers ist in einer verschlafenen mecklenburgischen Stadt inmitten postsozialistischer Architektur und sterbender Kulturlandschaft aufgewachsen. In der heimatlichen Lokalredaktion entdeckte sie ihre Lust am Geschichtenerzählen und die Liebe zu schönen Sätzen. Mit dem Ziel im Kopf, Journalistin zu werden, ging sie 2008 nach Berlin, um dort erst einmal etwas ganz anderes zu machen: Europäische Ethnologie, ein Studium, das ihr den Blick für urbane Themen und Alltagskultur öffnete. Nach einer Stippvisite beim NDR begann sie 2010 als freie Mitarbeiterin der Deutschen Presse-Agentur (dpa) zu arbeiten. Seit Oktober 2012 studiert sie Kulturjournalismus an der Universität der Künste Berlin und freut sich derzeit auf ihr Praktikum beim rbb kulturradio.

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